4.47 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Morgenkonzert der Bamberger Vögel mit obligatem Wasserbaß.]
Problemlos um kurz vor halb vier auf; mit dem Kaffeepott auf die Terrasse hinaus für die Morgenzigarette; es wird gelärmt, in der tintigen Regnitz spiegeln sich die Lampen des gegenüber verlaufenden Uferweges, und Fledermäuse huschen dicht über ihrer deutlichen Strömung. Durch die geöffnete Terrassentür kommt es kühl herein, ich hab mir einen der Schals über den Schädel gelegt. Es geht mir milde, ich will schreiben. Über mir schläft tief mein Kind. (Ich bin verlangsamt heute früh, merk ich: eben schlug eine Kirchenuhr fünf; aber ich fühl keine Eile).
Der Gedanke eben: Hier lebe ich im bezahlten Exil; eine persönliche, n i c h t-politische Form des Vertriebenseins; auch ist die Bedrohung in Berlin (also der „Heimat“) von rein seelischer Natur. Es ist ein s c h ö n e s Exil, angenehm ausgestattet, alles andere als ärmlich; allerdings wird man nur unter Argwohn ‚gehalten’ – – siehe das >>>> Besteckzählen (im Nachtrag gleich, um 4.52 Uhr).
22.57 Uhr:
Ein nahezu völlig verregneter Tag; deshalb war an Arbeiten, nachdem der Junge einmal wach war (also so gegen 8) nicht mehr zu denken. Es ist zu eng hier im Studio, es ist zu deutlich auf nur eine Person angelegt, als daß man sich irgend aus dem Weg gehen, bzw. Eigenes verfolgen könnte. Scheint allerdings die Sonne, ist es okay, dann gibt es den ganzen Garten. Es ist mir auch unklar, wie gesagt werden kann, die Studios seien auch auf Familien angelegt; allein, daß es nur zwei Kochplatten und nicht einmal ein Eisfach gibt, zeigt die völlige Unkenntnis dessen, was Eltern und Kinder brauchen: Man kocht doch nicht selten doppelt, weil Kinder vieles nicht mögen, das Erwachsenen mundet, und weil die nicht immer nur Kindergerichte essen wollen. Es war dann heute also ein gewaltiges Jonglieren zwischen Töpfen, der Pfanne, der Mikrowelle; aber zum Essen war es momentlang trocken, so konnten der Junge und ich hinaus.
Da haben wir uns dann am Spätnachmittag den neuen Asterix-Zeichentrickfilm angeschaut, danach fast zwei Stunden Rechnen geübt, und vorhin schauten wir noch auf dem Straßenfest in der Judenstraße vorbei, keine 5 Minuten von hier, die Verlängerung ist es der Concordiastraße, einem Sträßchen, das die Villa Concordia zur Sackgasse macht. Alexandra war da, außerdem der Leiter der Villa Concordia; ich lächelte in mich hinein, weil ich es nach wie vor genieße, mit schönen Frauen gesehen zu werden. Man hat ja einen Ruf zu verlieren, zumal jetzt, wo mich nach wie vor die Treue reitet, auch wenn es nun gar keinen Grund mehr gibt. Und dennoch.
Schwer – für m i c h schwer – war zuvor, mit dem Jungen ein Gespräch zwischen Vater und Sohn zu führen: Ich will einfach, daß er nicht demselben Schweigen ausgesetzt wird, wie ich ihm ausgesetzt gewesen bin; ich will, daß er w e i ß, daß die nun wieder so verfahrene Situation nicht seine Schuld ist. Habe ihm von meinem Beruf erzählt und daß es dazu gehört, sehr sehr offen öffentlich zu sein und zu beschreiben, was geschieht. Daß genau das aber zu Schwierigkeiten führt, auch zu Opfern, auch zu Leid; daß aber, einen Beruf, den man wirklich fühlt und hat, um eines ersehnten Glückes wegen zu verraten, dieses Glück im letzten Ende ganz ebenso zerstören würde, wie wenn man bei sich bleibt. Denn ein Beruf ist Berufung. Ein Job ist davon das Gegenteil. „Sei dem immer treu, woran du glaubst“, sagte ich, „vorausgesetzt, d a ß du daran glaubst und es lange geprüft und getan und damit gelebt hast.“ – Mehr darf ich hier und jetzt darüber nicht mehr schreiben, aber Sie werden ganz sicher verstehen, wovon ich spreche. Ich zeigte ihm noch die Seiten im Netz, ich erklärte das Tagebuch. Was der Sechsjährige davon verstand, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß, wenn über Konflikte geschwiegen wird, es für ein Kind in j e d e m Fall traumatisch ist. „Und sei sicher“, fügte ich noch bei und nahm den Jungen in den Arm, „daß deine Eltern, beide, dich unbändig lieben, und daß keiner von ihnen dich jemals jemals jemals alleinlassen wird.“ „Ich habe die beste Mama von der Welt“, sagte er eben beim Einschlafen, „und ich habe den besten Papa von der Welt.“ Alles, alles ist zu tun, daß er dieses Gefühl behält. Diese Sicherheit. Dieses Glück.
Ich werd grad ein bißchen sentimental, verzeihen Sie. Aber das alles schleicht sehr in mir um.
Morgen geht es wieder nach Berlin. Ich fürchte mich davor. (Werde, wenn wir ankommen, dem Jungen Blumen kaufen, die er der Mama für den Muttertag mitbringen kann; ich selbst werde mich absentieren und möglichst gar nicht in Erscheinung treten. – Darf ich d a s jetzt eigentlich noch schreiben, oder ist auch das schon juristisch prekär? GEWALT DES ZUSAMMENHANGS: Man s o l l sich nicht öffnen können, es soll alles möglichst geschlossen bleiben und untern Teppich gekehrt:: So will es… nein, nicht die Matrix, sondern in solchem Fall tatsächlich noch das System. Folgst du, geht alles seinen sozialistischen Gang. Und du wirst Held der Verdrängung.)
EA Richter ist gestürzt, er wird nun nicht an der Veranstaltung in Oldenburg teilnehmen können. Es ist wie ein Kampf mit unsichtbaren Gegnern: erst sagt Buschheuer ab, dann kann auch Richter nicht kommen. Da steht man dann ziemlich dämlich da; andererseits muß der Text dann zeigen, was er kann. Er wird geprüft. So irre das ist, aber das ist exakt das Gefühl, daß ich derzeit mit ARGO habe: Wenn du, scheint mir jemand Mächtiges zu bedeuten, dieses Ding schaffen willst, dann gegen jeden Widerstand, der sich denken läßt. Hältst du das aus, dann – und nur dann – ist es recht.
Ich weiß selbst, welch ein magisches Denken das ist. Die Situation ist freilich nicht neu; beim WOLPERTINGER lagen die Dinge ähnlich, allerdings anders gefärbt: 33 (Verlags-)Ablehnungen waren seinerzeit zu verkraften. Heute gehört das Buch in den geheimen Kanon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.