6.56 Uhr:
Gestern war es wie ein Rausch, nur zur Arbeit bin ich da g a r nicht gekommen – oder doch nur so wenig, daß ich mir die Protokollierung des ‚Arbeitsfortschrittes’ besser verkneife. Dennoch sind diese Zeilen sehr schön: Du hast mich so umarmt, wir schaffen das, Liebes
Ich war keine zwanzig Dann bin ich vierzig
Du, Mann, bist fort, Du, Sohn, bist, als du fragtest
Zu ihm Dein Vater war ein Soldat hab ich gesagt
Er ist mir gefallen Ich öffnete seine Liebesschwüre
Nicht mehr Aber habe sie alle gesammeltStatt weiterzuarbeiten, also, stundenlang aktiven Cybersex gehabt, worunter eben nicht zu verstehen ist, daß man „es“ macht, sondern daß man sich aufputscht mit dem, was man machen w i r d (oder werde, sofern es nicht auf Realisierung angelegt ist. I s t es aber: Morgen vormittag will ich das Comtess’chen in Nürnberg treffen, bevor ich >>>> nach Gelnhausen zum Kirchentag weiterreisen werde). Tatsächlich hatte/habe ich den aktiven, dominanten Part und führe die Imaginationsbewegung, so auch danach noch, als eine andere Freundin spätnachts ins Netz kam und geradezu verlangte, daß ich meine Fähigkeit an ihr perfektionierte, allein vermittels von Worten Gedankenströme zu erzeugen, die zu sexueller Erregung führen. Ich kenne das von Lesungen meiner Texte her; lese ich einer Frau privat vor, ist sie hinterher nahezu immer erotisiert; interessanterweise funktioniert das bei öffentlichen Lesungen um so weniger, je mehr Leute da sind, ja oft schlägt es ins Gegenteil um und erzeugt Abwehrhaltung. Meine Erzählungen haben also keinen Groupie-Effekt, was, rein persönlich betrachtet, schade ist, aber eben die enorme Ambivalenzkraft zeigt, die in ihnen und durch sie wirkt: Läßt sich jemand privat darauf ein, daß ich vorlese, dann ist imgrunde schon die Tür geöffnet, die Ambivalenz auf sich wirken zu lassen und eben n i c h t abzuwehren.
Die Amibalenz geht auch aus den Cybersex-Gesprächen hervor. Es ist ein Zittern dabei, das zwischen den Beinen der Sätze heraustropft: derart naß sind sie. Die Person möchte sich völlig auflösen, hautlos sein, heißt das, die Ich-Grenzen, welche vor allem solche der Moral sind, verschwimmen; zugleich muß aber die reale Grenze gewahrt bleiben, wenn man denn lebensfähig bleiben will. Genau zwischen diesen Polen ist die Lust aufgespannt, und dieser typische Frauenpragmatismus sorgt dafür, daß das Leben ‚danach’ nicht gefährdet wird. Deshalb sind Frauen zu Doppelleben sehr viel besser geeignet als Männer: Was soll eine Frau mit einem Löwenkopf an der Wand?
Also das Comtess’chen und eine Ungenannte, und auch Prothoe meldete sich, bekam dann aber Besuch. Wird am Sonntag ja ohnedies herkommen. Ich habe mir einen Moment lang die Gesichter der Concordia-Direktion vorgestellt, wenn nächste Woche z w e i Frauen mit mir hier übernachten sollten. Und wieder sind sie so jung. Langsam komm ich in ein sokratisches Alter: da liegt der Vorwurf nah, ein Jugendverführer zu sein. Nun, den will ich tragen. Keck. Und mir den Schierling sparen. Der dennoch unversehens in mich hineinkippen kann: Es ist nicht abwegig, daß eines Tages jemand sich als so ein Comtess’chen nur ausgibt, mich aufputscht, sich scheinbar aufputschen l ä ß t, in Wirklichkeit aber schneidet er (oder sie) mit, um mich dann öffentlich anzuprangern. Gegner genug hab ich, und manchmal kommt mir auch der Gedanke, ich spränge grad auf bösen Leim. Allerdings gehe ich derart offen mit meiner Sexualität und sowieso Leidenschaft um, daß ich wiederum nichts befürchten müßte, das nicht ohnedies bekannt ist. So würde ich ggbf. auch reagieren: lachend sagen:: „Ja und?“ (Abgesehen davon, ich hab mit der jungen Frau dreimal telefoniert, also, liebe Leser, sie existiert.)
So, Herbst, ab an den Text. Ich will heute das Libretto wenigstens zur Hälfte fertigbekommen. (Der MOZART ist raus, schrieb ich ja schon, der KASCHMIR ist aber a u c h raus seit gestern; für beides hab ich bislang noch keine Reaktion der Auftraggeber bekommen. Und als ich aufwachte, war mir, sozusagen in meinen Testestoronwolken badend, klar, daß die Pointe der Erzählung d e s h a l b so aufgesetzt wirkt, weil sie redundant ist. Ich werde den letzten ohnedies nur kurzen Absatz einfach streichen, dann wird die Erzählung ungewisser und stärker.)
15.36 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg; die Sonne bricht momentlang durchs schwarzgraue, tiefhängende Gewölk.]Mittagsschlaf gehalten. Jetzt weiter ans Libretto, das Form gewinnt. RHPP, den ich anrief und über den Stand informierte, war ein wenig sauer; er arbeitet nach enorm engem Zeitplan, da auch Dirigate zu führen sind. Ich kann mich aber nicht zerreißen, das Stück braucht seine Zeit. Vielleicht krieg ich’s aber dennoch bis Mittwoch hin; dann wäre es okay. Außerdem mit >>>> Source noch einmal den KASCHMIR-Text durchgegangen; ein feines Lektorat war das, fast nur in Kleinigkeiten, die es aber oft sind, was einen Text leuchten läßt. Mit dem nunmehr gestrichenen Ende war sie nicht einverstanden, verstand aber jetzt mein Problem; ich weiß auch, wie es lösen – den richtigen Satz aber noch nicht (es darf nicht mehr als einer sein). Außerdem für Do, die morgen Geburtstag hat, ein Geschenk besorgt und weggeschickt; das lag mir schon die ganze Zeit auf der Seele. Falls sie das hier liest, schreib ich Ihnen allerdings nicht, was es ist, hä. Und mit >>>> Dielmann über ANDERSWELT nachgesonnen, das heißt: über Finanzierungsmöglichkeiten. Mal sehen. Schöner Anfangssatz seines zweiten Briefes:Allem voran erst mal: Glückwunsch zum Status von »Die Verwirrung des Gemüts« bei Amazon – das ist ja fast schon hoch-spekulative Wertsteigerung (mindestens unter den Sammlerstücken). – Und die Herbst-Preise beim ZVAB sind höchst aufschlußreich, finde ich.Und Jubel!: Die Villa Concordia hat es geschafft, >>>> ihre Website zu aktualisieren. Das heißt allerdings nicht, daß nicht >>>> eine veraltete Site i m m e r noch im Netz steht, und zwar bei google sogar auf Platz eins. Ich hab aber keine Lust mehr, was zu sagen. Der Webmaster ist schlecht, aber das will man nicht hören. Und was das fehlende Foto anbelangt, so schauen Sie sich die Bilder halt bei >>>> Susanne Schleyer an.
16.41 Uhr:
Falls Sie sich wundern, daß ich über die Einträge keine Musikangaben mehr stelle: Ich kann, wie bei Gedichten, wenn ich an dem Libretto werkel, Musik nicht hören: sie würde aus dem K l a n g, den ich will, hinausführen. Das ist völlig anders als bei Prosa, da führt sie nämlich oft hinein, und zwar o b w o h l ich auch da nahezu immer rhythmisiert schreibe.