Mittwoch, der 28. Juni 2006.

6.07 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg, der Himmel bedeckt und
hinter ihm eine getuschte Sonne, die inmitten sehr weiß
ist, schaut man hinein; außen hat sie einen dunkelgelben
Ring, vor allem aber ist ihr Hof nicht rund, sondern flächig
schimmert er durch die Wolken.]

Nachts lange mit einer Freundin telefoniert. Nun wird aus der intensiven Begegnung, die >>>> zu den letzten Gedichten führte, >>>> ein kleinbürgerliches „Ich habe ihn durchschaut, den Herbst“ – im Sinne von Der-nimmt-sich-jede, als wär nicht gerade mein Problem, daß „jede“ so oft zurückscheut vor meiner Präsenz und lieber in die zweite und dritte Reihe schaut, um dort ‚Gefahrloseres’ zu finden. Indem ich das tippe, ist mir bewußt, daß manche Leser nun abermals von meinem Narzißmus erschrecken: ‚Wie kann man so etwas schreiben?’. Je nun, wenn jemand schwarzhaarig ist, darf er das doch ebenfalls sagen, und warum soll nicht jemand sagen dürfen, er habe diese und jene Fähigkeit? Keiner Firma, die an den Markt geht, nimmt man das übel und kauft, sofern überzeugt, die Produkte. Da erlaubt man sogar Schummelei. Ich hingegen schummle nicht mal, sondern spreche einfach offen und handle dementsprechend. Was wiederum zum Grund fürs Zurückschrecken wird und für Skepsis. Daß ich kaum Scheu kenne, irritiert. Ich kenn sie, Leser, wirklich nicht. Wie sollt ich denn anders meine Bücher geschrieben haben, so wie sie sind? Ich könnte überhaupt nicht schreiben, hätte ich Vorbehalte gegen etwas, das Menschen und also auch mich im Innersten betrifft. Ich stell es doch dar, versuche, das Nahste darzustellen! Dazu gehören die Organe, dazu gehört Sexualität. Es ist unser aller Fundament. Dem soll ich mich nicht stellen, darüber soll ich schweigen? Über das soll ich im öffentlichen und privaten Umgang eine Decke legen? Das darf ich doch gar nicht. Täte ich’s, mein Beruf würde unwahr. Und was ich beschreibe, darüber sprech ich auch direkt. – „Er zieht sich zurück wie ein trotziges Kind“: auch d a s kam noch. Einfach, weil ich sage: Es ist schade, daß es so ist, aber wenn du nicht willst, dann mach ich hiermit einen Schnitt und unterbreche die Verbindung. Ich les nicht einmal mehr ihr Weblog. Wozu auch? Sich den Schmerz kultivieren, indem man Tag um Tag die Schwärmereien über einen anderen aufleckt? Und seine Ichmagdichs, die sie mit Liebe entgilt? Nee, Leser, nee. Außerdem versteh ich nicht, wie jemand Klarheit für Trotz halten kann – sie erwartete nämlich indirekt, daß man sich einer Gegenwart weiterhin aussetzt, die abweist. Wozu soll solcher Masochismus denn aufgewandt werden? Für wen? Oder wird auch hier Heimlichkeit verlangt?: daß man sich zwar zurückzieht, es aber nicht ausdrückt? (Sie hatte mir nahegelegt, wir könnten doch korrespondieren, es gebe schließlich andere Formen des Kontakts als die der persönlichen Begegnung. Das einem Begehrenden, einem vergeblich Liebenden! Sagen Sie mal, gibt’s Leute, die auf so etwas eingehen? Was für Luschen! Im übrigen zieh ich mich gar nicht zurück, sondern verlagere nur den Ausdruck meiner Haltung und überlasse das Weitre der Zeit. In ihr wird mir irgendwann, sofern sich mir nicht anderes hineindrängt, der richtige Einfall kommen: was nunmehr getan werden muß. Dann w e r d ich ihn tun, den nächsten Schritt. Aber nicht vorher.)
Egal. Die Geschichte ist vorerst ausgeschwitzt, unterm Strich kommt ein Gedichtbändchen heraus, was ja sehr schön ist. Für alles übrige sind meine Handlungsmöglichkeiten erschöpft, allein schon deshalb, weil ich nicht dort, sondern hier lebe. Um einen solchen Liebeskampf führen zu können, und ich meine ‚Liebe’ sehr ernst, muß man zugegen sein mit Lächeln und Stimme, mit Geist und Pheromonen. Ah ja, erinner ich mich plötzlich ganz ungefähr: davon hat mir ebenfalls geträumt: daß die andere versuchte, mich auf eine Distanz zu bekommen, die ihr dennoch eine Form von Nähe ermöglicht. Sie sagte es auch, Δ nämlich, in meinem Traum: „Ich möchte mit dir wieder umgehen, aber ohne dich dabei ansehen zu müssen.“ Sie bat auf einem kryptischen Billett, das mir zugespielt wurde: „Bitte laß uns immer chatten.“ So stand das nicht da, es waren seltsam unverbundene Worte, von einer fast unheimlichen Grammatik aneinandergefügt: „Chat – eine Bitte – wolle doch“. Und weitere solcher Reihungen.
Außerdem von einer zweiten, von einer riesigen Ratte geträumt, die im Zimmer meines Sohnes lebte, ganz weiß, knöchelhoch. Das Zimmer befand sich in eben dem Konzerthaus, das sich schon in meinen gestrigen Mittagsschlaf erhoben hatte, von dem ich dann hinuntergerutscht war. Ein enormes Tier, das Ratzfelix angriff, sowie es ihn sah. Ich gab dem Vieh eins übers Maul, obwohl es mich so schaudern machte: Angst ist dazu da, daß man sich ihr stellt, sie überwindet. So hab ich’s immer gehalten, seit ich erwachsen bin – als Junge und junger Mann hingegen lief ich dauernd weg. Daher weiß ich: Wer’s anders hält, wird klein.

10.32 Uhr:
[Dallapiccola, Volo di notte.]
Na, das wird vormittags nichts mit der Arbeit. Habe aufgeräumt, den Schreibtisch geklärt, mich selber geklärt und gepflegt, außerdem Briefe geschrieben, nach der Verbindung für morgen geschaut, da ich zum Verlag nach München fahre… und gleich um 11 fallen hier Schülergruppen ein, um sich Künstlers anzugugge. Jetzt frühstück ich erstmal.