Donnerstag, der 29. Juni 2006. Bamberg – Eine andere Stadt – Bamberg.

5.04 Uhr:
Bis so was nach zwölf mit >>>> June über Frauen und Männer, Feminismus, meinen ‚Maskulinismus’, sowie über >>>> Camille Paglia diskutiert, deren „Masken der Sexualität“ ich für eine Errungenschaft halte, auch wenn June völlig recht mit ihrer Kritik daran hat, daß Paglia letzten Endes, kulturell, eine vom homosexuellen Mann bestimmte Gsellschaft favorisiert. Letzten Endes aber; es gibt dagegen in dem Buch einige Tellerminen, die ein solches Konzept, tritt man drauf (liest und durchdenkt die entsprechenden Stellen also), dionysisch in die Luft fliegen lassen. Computer sind derart praktisch, ich hatte sofort meine Notate und Exzerpte zu dem Buch im Zugriff, das ich vor einigen Jahren gelesen habe. Jedenfalls sprachen wir abermals lange über gender, geheime Matriarchate, Hermaphroditismus usw. Ich genieße diese Gespräche sehr, auch wenn sie über einen Messenger im Netz geführt werden müssen; sie bekommen sogar etwas Intensiveres als andere, da man sich, unabhängig von einer realen Diskussionsdynamik, immer mal wieder zurücklehnen, nachdenken, Belege suchen kann; sie sind insofern tatsächlich konzentrierter. Und haben, diesmal wegen Junes vorurteilsloser Struktur, den großen Vorteil, daß sich auch Positionen vertreten oder auch nur ausprobieren lassen, für die man sonst in die Ecke des Bösen Mannes geschickt wird. Und vergessen Sie nicht, daß hier eine nicht ganz unbekannte Feministin und einer miteinander sprechen, an dessen Stirn der männliche Sexist klebt.

Wird ein spannender Tag heute. In einer Dreiviertelstunde muß ich zum Bahnhof, um den ICE nach München zu nehmen, wo ich ***** treffen werde, der mich in einem bekannten Verlagshaus unterbringen will. Mehr sag ich hier nicht — aus, wie mir immer wieder dringend nahgelegt wird, ‚strategischen’ Gründen. Ich sollte Ihnen sogar noch für ‚München’ den Gedanken nahelegen, daß es sich um eine ganz andere Stadt handelt; das tu ich hiermit; schließlich hab ich keine Ahnung, wer unter Ihnen es ist, die und der da mitliest, wie viele Gegner darunter sind, und wer vielleicht hinter den Kulissen herumintrigiert, um das Vorhaben zu unterlaufen. Nein nein, Leser, ‚München’ könnte tatsächlich auch Köln sein, um die vier Stunden hin und um die vier Stunden her, das kommt hin. Auch Stuttgart wär drin, da führe ich nicht g a r so lange. ICE-Fahrten sind Arbeitszeiten für einen Berufler wie mich, vergessen Sie das nicht.
Jedenfalls hab ich, um was Schwarzaufweißes zeigen zu können, unveröffentlichte Erzählungen ausgedruckt, denen das Rot ganz sicher fehlt; in dieser Hinsicht bin ich, trotz Fußball-WM, republikanischer März’ler. Über die Deutschlandfahne wollt ich eh mal was schreiben. Kommt später, Leser, ich muß mein Zeug erst zusammenrecherchieren, aber mich anziehen nun. (Nein, ich sitze n i c h t nackt am Schreibtisch, aber mir fehlt noch der richtige Anzug am Leib).

6.50 Uhr:
[Im ICE.]
ARGO.
Und das Gespräch von gestern abend >>>> geht mir nach.

[ICE nach Bamberg.]
Welch schöner ruhiger Tag! Gespräche mit ***** über Literatur, Literaturbetrieb, Spaziergang mit ihm und seiner kleinen Tochter durch Planten und Blomen, hin auf einen Spielplatz beim Dornbusch, ich wippe auf der Hollywoodschaukel. Es ist schon so, wie ich dachte und es vor zehn Jahren prophezeite – später nachmittags bestätigt es mir eine befeundete Lektorin aus einem anderen Verlag noch einmal: Die Zeit der belletristischen Bücher nähert sich ihrem Ende, jedenfalls im Hochliteratur-Segment. Weder Verlage noch die meisten Autoren sind darauf vorbereitet und Experimente vergleichsweise wenig, die hinüberzuretten versuchen, was an Schriftkultur es wert ist. „Du mußt glühen, Clara!“ rufe ich in dem anderen Verlagshaus aus. „Bildung muß glühen!“ Und erzähle abermals von der Einheit von Möse/Schwanz und Herz und Bauch, ohne die k e i n e Kulturleistung überlebensfähig ist, sondern allenfalls musealisiert/antiquarisiert wird. Worum es mir bei diesen Verlagsgesprächen neben der Sicherung meiner Bücher eben a u c h geht, ist, daß man mir Netzmöglichkeiten an die Hand gibt und eben auch finanziert – und auch mich finanziert -, die ich ästhetisch füllen kann. Es gibt Tausende Möglichkeiten, aber sie sind teuer; so haben also andere das, sagen wie, Material, ich sorge dann für den Inhalt. „Aber du weißt“, sag ich *****, „wie umstritten ich bin und für wie wenig politisch korrekt ich gelte.“ „Nenne ich deinen Namen im Haus“, antwortet er, „heißt es immer: ANH ist schwierig. Je nun, das ist doch gerade gut! S e i schwierig, wir bringen das dann an den Markt.“ „Ich bin aber auch sexuell schwierig“, sag ich, „meine Arbeiten erregen Anstoß, man möchte gern den Sexisten in mir sehen. Und so etwas dann bei e u c h?“ Er lacht nur. „Ja“, sagte er, „bei uns.“
Nun werden wir sehen. Er liest jetzt THETIS, das kennt er noch nicht; er will die sieben Erzählungen lesen, die ich dazugab. Um THETIS aber geht es, darum und um die Folgebücher. „Eine Kassette“, sag ich, „die Bücher möglichst einfach gemacht, am besten nur Taschenbuch, alle drei, knapp 2000 Seiten: Schuber drum und fertig. Ein reader, kein Fetisch. Gutes Satzbild, aber sonst auf billigste Weise zusammengeklatscht. Und preiswert die Schmöker unter die Leute.“ Er kapierte sofort, was ich meinte und will.

20.28 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Händel, Ariodante.]
Wieder… tja, fast hätte ich „daheim” geschrieben. Bin in Mannheim durch den Regen gelaufen, was wohltat, kam in Bamberg trocken an. Sitz nun hier, Ratzfelix pest rum, habe keine rechte Lust mehr zu arbeiten (im Zug ging’s recht gut mit ARGO voran); Post, außer der einer Freundin, die vielleicht mehr wird und ausgesprochen innig schreibt, ist auch keine da – aber auf den Postkästen stand ein Päckchen für mich, darin eine Frechheit, die ich mir bei ebay zu kaufen vorgestern erlaubt: nämlich Kontaktlinsen, ABER – jajajajaja – als W o l f s a u g e n. In Gelb! >>>> June dazu gestern: „So lassen Sie das doch sein! Sie schüchtern doch schon genug ein! Sie müßten b r a u n e Kontaktlinsen tragen. Das würde wenigstens e t w a s Sicherheitsgefühl suggerieren.“ Nun will ich das ja gerade nicht, es käme mir vor wie ein ausgefütterter BH.
Allerdings hab ich keine Ahnung, ob mir die Dinger denn tatsächlich gefallen. In ihren Gläschen sehen sie sehr künstlich aus und haben was von Karneval. Aber ich dachte mir eine Szene s o: Ich trag dunkle Sonnenbrille, komme mit jemandem ins freundliche Gespräch, wir sprechen lange, dann setz ich mal so die Sonnenbrille ab und schau die junge Dame an… noch schöner wär’s mit einem Literaturbetriebler; im übrigen bin ich ja nun schriftlich zum >>>> LCB-Fest an den Wannsee eingeladen; hübsche Gelegenheit. Aber auch eine Lesung böte sich für so etwas an. Ach ja, und Leukert vom hr in Frankfurtmain hat sich gemeldet: Er möchte mein Hörstück über >>>> Allan Pettersson haben; es soll bereits am 31. 10. ausgestrahlt werden. Das hat mich jetzt überrascht, und es wird eine irre Arbeit für reichlich wenig Geld werden. Aber ich kann für Pettersson etwas tun, kann ihm ein Requiem schreiben. Das verlohnt es allemal.

Sagte ich schon, daß ich Händel l i e b e? (Kinderbücher für meinen Jungen hab ich abgestaubt).