Schönheit ist geradezu das Paradigma der sich verwirklichenden Allegorie.

Sie zieht durch die Menschen hindurch. Bei wenigen verbleibt sie lange, zieht schon weiter, aus dem einen in die nächste, die sie weiterträgt, bis sich auch in ihr das Trägermedium, das sie war, erschöpft hat. Schönheit zehrt, aber oft bleibt ein Nachglanz auf der Haut, der diese Menschen zeichnet, auszeichnet: nicht selten im Gesicht, in den Augen, oft auf der Stirn. Dann sagen wir: Diese Frau, dieser Mann ist einmal schön gewesen. Nicht Armut, wie es Rilke meinte, sondern s i e ist dieser Glanz von innen: dann, wenn sie ging. Deshalb verbindet sich verlorene Schönheit nicht selten mit einer Güte des Alters, die in der Blütezeit der Schönheit gar nicht gewesen sein muß. Schönheit ist nicht notwendigerweise moralisch, doch kann sie es werden: indem sie verließ. Nämlich weiß die Güte: ich kann, was Schönheit unbedingt braucht, nicht mehr sein. Ist solches Einverständnis da, legt Schönheit ihrer verlassenen Hülle die Hand auf und läßt sie dort wohltuend liegen. Das dann ist i h r e Moral.

[Im ICE Bamberg-Berlin.]

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