Paul Reichenbachs Dienstag, der 12.September 2006. Durfte Ringelnatz reimen?

Ich bin heute nicht ganz nüchtern und bitte die Welt mich ernst zu nehmen.
Wenn man den sächsischen Dialekt/Ein bisschen dehnt und ein bisschen streckt/Und spricht ihn noch ein bisschen tran’ger;/Dann hält ein jeder für einen Spanier! //War Ringelnatz ein Dichter, obwohl er Reime über Reime dichtete? Schauen wir nach dem „Regelwerk moderner Lyrik“ a la >>>trisam, wer immer das auch sein mag. Die Autoren von Gebrauchsanweisungen bleiben ja meist im Hintergrund. Wer schon einmal versucht hat eine Schrankwand aufzubauen, weiß von welchen Tragödien die Familie solch eines Gebrauchsanweisungsautors verschont blieb. Ich bin sicher, hätte sein Name am Zettelrand gestanden, so hätte ich mich nach dem Aufbau des Schrankes in einen Racheengel verwandelt und meine Familie ins Unglück gebracht. Zwei unglückliche Familien, wegen eines Namens. Das ist ein Drama und keine Lyrik, womit ich wieder beim Eigentlichen, und nicht im Befremdlichen bin.
1. Anschaulichkeit:
Ist bei dem Lyriker Ringelnatz gegeben, wer die Strophen: und schiffte ein von dem Balkon/ sich ein in einen Luftballon/ …kennt wird über Bildhaftigkeit nicht klagen können.
2. Schnelligkeit:
Hier hat der Dichter Probleme, einzig der Vers Ob du im Bettchen liegst/Oder über Frankfurt fliegst… deutet ebenso wie die Worte Gonokokken kieken (genial) Tempo an. Bewegung ist also da, Flugzeuge und Gonokokken sind Metaphern des Tempos unsrer Zeit.
3. Leichtigkeit:
Manche Poesie ist so von wolkiger Leichtigkeit, dass man das Gedicht gar nicht wiegen kann. Leicht wird im Gedicht Übergewicht die verhängnisvolle Kopulation einer Briefwaage mit einem Wal besungen.
4. Genauigkeit: In dem kleinen aufklärerischen Text Wie mag er aussehen wird der Lebensspur eines Steuerformulars eindringlich und mit hoher Präzision nachgegangen.
5. Vielschichtigkeit + 6. Konsistenz:
Die Begriffe sind nur im Zusammenhang darstellbar.
Auch hier erweist sich Ringelnatz als Meister, so dass sich ein Kommentar erübrigt. Lassen wir den Dichter sprechen: Überall ist Wunderland/Überall ist Leben/Bei meiner Tante im Strumpfenband/wie irgendwo daneben./Überall ist Dunkelheit/Kinder werden Väter./Fünf Minuten später
stirbt sich was für einige Zeit./Überall ist Ewigkeit….

13.09. Nachtrag: Ich lese, zugegeben es ist selten, ganz gern mal ein Gedicht. Wenn mich Thema, Bilderwelt und Klang der Verse erreichten, war es mir wurscht, ob sie gereimt oder in freien Rhythmen ihre Wirkungen entfalteten.
Denn: Überall ist Wunderland und Überall ist Dunkelheit.
Ich korrigiere mich: Überall kann poetisches Wunderland oder lyrische Dunkelheit sein.

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