Arbeitsjournal. Dienstag, der 19. September 2006.

7.43 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Pettersson, 14. Sinfonie.]
Zwar klingelte der Wecker bereits um halb fünf, dennoch blieb ich bis eben liegen; habe mir gestern nacht, von ziemlicher Unruhe erfüllt, noch einen ausgesprochen blutigen Vampirfilm angesehen, blutig von fast warhol’schem Ausmaß, ge‚adelt’ durch Geraldine Chapline, Ben Kingsley, Udo Kier. Woran sich dann immer sofort Fragen anschließen: nicht dasjenige Erstaunen darüber, daß sich Schauspieler von solcher Qualität dafür hergeben (allerdings auch ziemlich outrieren dabei, zumal speziell Kingsley aber auch nicht im entferntesten die Präsenz des kinski’schen Nosferatu erreicht – dessen Überzogenheit den Manierismus hochtrieb und genau dadurch brach, so daß das Bewußtsein seiner sinnlichen Macht sich mit Tragik verschränkte und das L e i d des Vampirs hindurchkam. D e s h a l b ist Herzogs Film so große Kunst. Sondern die Frage, was denn auch jemanden wie mich daran reize, sich zerschnittene Körper anzusehen, abgehauene Arme, Schwerter, die quer durch den Kopf gestoßen werden – ein Feuerwerk technisch-brutalen, genüßlich inszenierten Sadismus (Sadismus meint die Rezeptionshaltung), der in d i e s e m Film („Bloodrayne“ von Uwe Boll) nur ganz gelegentlich mit ein bißchen Erotik verbunden wird, sondern, wie das vorgängige Computerspiel offenbar auch, tatsächlich pures Schlachten ist. Es muß irgend etwas Reinigendes dabei sein, etwas Bannendes; schon die „Kill Bill“-Filme haben etwas von einem profanierten, bzw. säkularisierten Ritual: So mögen wir Zuschauer bei panem et circensis zugeschaut haben, so andere Wirs bei Boxkämpfen. Wie in jedem Ritual ist etwas Bannendes daran, das durch Hinsehen, nicht durch Wegsehen bannt (wegzusehen verdrängt). Hier irgendwo liegt auch die Verbindung zu einem Aspekt von Kunst (ohne, wirklich nicht, Kunst tatsächlich zu sein, also dieser Film).
Jedenfalls wurde es spät, eigenverschuldet, und ich wachte auf mit meiner Vision des DIES IRAE für das PETTERSSON-Stück: Aufzählung von Weltkatastrophen, von Totenmeldungen, von schweren Krankheiten usw., und zwar streng durchrhythmisiert – vielleicht sollte ich sogar aus dem Furchtbarsten insgesamt drei S o n e t t e formen -, und dazwischen, wie die Engelsstimme bei Berlioz, ein „Gesang“ der Stimme der Sehnsucht, für die ich ja gerne wieder Antje von der Ahe hätte, die im >>>> SAN-MICHELE-Stück den Afrodite-Part gesprochen hat. Und wiederum gleichzeitig – ich las dann um zwei Uhr nachts wieder in den >>>> Menninghaus hinein – eine Quintessenz aus den Schönheitsüberlegungen, wovon ich heute im Lauf des Tages noch einen Aphorismus zuspitzen und in den >>>> Paralipomena publizieren will. Wichtiger ist allerdings, die Strophen der Stimme der Sehnsucht zu entwerfen und auch schon mal die Katastrophenmeldungen zusammenzunehmen; bin mir noch unsicher, ob man nicht – es wäre einer Radio-Ästhetik angemessener – statt dieser, sagen wir, ‚Hexameter des realen Horrors’ einfach Katastrophenmeldungen aus den Nachrichten aufnimmt und ins Stück dann einmontiert. Jedenfalls sollte heute der DIES-IRAE-Part zumindest im Entwurf abgeschlossen sein. Mein Redakteur, dem ich gestern schrieb, ich sei ein wenig in Verzug, scheint wegen des nahrückenden Abgabetermins immerhin so wenig Nervosität umzutreiben wie mich selbst.
Jetzt, übrigens, höre ich Petterssons Vierzehnte zum sicher zehnten Mal hintereinander, und jetzt schließt sich auch dieses mir bislang eher sperrige Stück dem Ohr auf. Kunstrezipienten brauchen Eindringungskraft; irgendwie scheint mir das mit Benns Wort von der Zusammenhangsdurchstoßung zusammenzuhängen – das, was ich als „Rezeptionswille“ dem „Kunstwillen“ an die Seite stelle.
Guten Morgen, Leser, erst mal. Und danke für die vielen neuen unter Ihnen, die – offenbar wegen >>>> Sprachsalz – hinzugekommen sind. Der Dschungel Zugriffscharts haben signifikante neue peaks; Sie haben Die Dschungel, Leser, nun mehrfach in die >>>> TOP 100 bei blogcounter.de katapultiert. Für die Neuen eben noch den Hinweis auf >>>> die fiktionäre Website, wo Sie unter „Texte“ auch größere zusammenhängende Überlegungen finden, nicht-Bruchstückhaftes, Geschlossenes, Ausformuliertes – anders als in Der Dschungel selbst, die ja eher ein Steinbruch poetischen und poetologischen Denkens ist.
An die Arbeit also. Und endlich kann ich auch mal wieder einen >>>> Arbeitsfortschritt notieren (‚DTs’ steht übrigens, vertrautere Leser wissen das, für ‚Den Tag strukturieren’).

Was ich eben noch vergaß: Heute abend findet hier im Haus die Präsentation von Gerald Zschorschs >>>> Cerwonka statt, mit Suhrkamp-Präsenz und später gemeinsamem Essen in der Bürgerbräu. Da werd ich dann selbstverständlich hingehn.

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