22.58 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung.]
Zurück aus Frankfurtmain, den Tag dort mit dem Jungen verbracht, gefrühstückt mit Do, die ins Hotel kam, wo ich auch kurz Ulrike Draesner traf, die ebenfalls für das Frankfurter Literaturfest engagiert war. Da es sich um ein ziemlich teures Hotel handelte, gab es keinen freien, sondern nur kostenschweren Internet-Zugang. Deshalb erst jetzt ein paar Zeilen. Man saß eh nach der >>>> gestrigen Veranstaltung noch einiges beisammen, der Junge war bei mir, ich brachte ihn zum Schlafen, dann ging’s hinab in die Casablanca-Bar, wo ich mit Menninghaus noch sprach, weiters kam >>>> Axel Dielmann hinzu, der übrigens mit >>>> dem Engel-Gedicht Schwierigkeiten hat, jedenfalls mit den letzten beiden verklärenden Zeilen. Er machte einen Vorschlag, sie zu brechen, ich opponierte und opponiere weiter. Es sind dazu jetzt so viel zustimmende und ablehnende Meinungen eingetroffen, daß ich mich davon nicht kirre machen lasse; ähnliches gilt für die >>>> Elegien. Dielmann: „Das ist das Kühnste, das du in den letzten zwei Jahren unternommen hast – aber funktioniert an einigen Stellen noch nicht.“ Weiß ich, aber einige der Vorschläge, die ich zu hören bekomme, liegen gänzlich neben dem, was ich will und verfolge. Es ist ja nichts Neues, daß ich ästhetische Absichten und Ansichten auch gegen die Allgemeinmeinung durchhalte; dabei war kaum je Zuspruch wie jetzt. Soll ich mich da von den Kritikpunkten nervös machen lassen? Ich höre zu, notiere, warte ab, werde die dreizehn Dinger zuende schreiben und dann in den Korrekturgängen entscheiden. Dennoch, ärgern oder leis weh tun mir manche Einwände s c h o n.
Gearbeitet heute wurde im eigentlichen Sinn nichts; es wurde ein Kinder- und abends auch noch kleiner Familientag. Ab morgen zieh ich dann wieder an und will früh an den PETTERSSON. Danach der Junge, danach Familie, dann geht’s auch schon wieder, am Montag, nach Bamberg.
Gute Veranstaltung, übrigens, mit Menninghaus. Allerdings ärgerte es mich abends dann schon, daß er, wie ich zufällig mitbekam, 200 Euro mehr Honorar erhalten hat als ich. Das liegt nicht an ihm, sondern am >>>> Kulturamt Frankfurt, das die Honorare festsetzte. Ich werd noch ein paar entsprechende Zeilen dahin schreiben und mein Gefühl ausdrücken, in der Arbeit mindergeachtet zu sein. Wenn man das spürt, weiß man, wo Gegner sind, auch wenn sie schöntun.
Wenn die letzten zwei Zeilen des Engel-Gedichtes gebrochen werden, dann bricht das ganze Gedicht. Ja – und bitte nicht kirre machen lassen… das gilt auch für die Bamberger Elegien. Das sind übrigens keine dreizehn Dinger… sondern Elegien.
Ach, wissen Sie, svarupa. Ich hab so die Eigenart, immer dann, wenn mir was wichtig ist, ein „übrigens“ davorzuschreiben oder überhaupt erst in einem nachklappenden Hintersatz zu nennen, was mir das Vorsätzige ist. Ähnliches gilt für meinen Sprachgebrauch zu „Dingern“. Aber Sie haben mit den letzten beiden Zeilen des Engelgedichtes natürlich recht. Find‘ ich ja auch. Bei den Elegien allerdings ist tatsächlich später streng zu strukturieren. Und manches Bild abzuklopfen. Vielen stößt auch der Aneinanderprall von Anglizismen (‚cleanmachen‘ etwa) oder Alltäglichkeiten wie Finanzamt, Steuererklärung usw. innerhalb des lyrischen Sprachflusses auf. Dielmann wandte fürs Ende der Sechsten Elegie ein, daß ich auf keinen Fall die Katastrophenorte (Auschwitz etwa oder Gunatánamo) n e n n e n dürfte, schon gar nicht in solcher Ausführlichkeit, eben weil sie ausführlich nicht sein kann. Darüber ist dann ebenso nachzudenken wie über Zschorschs Einwand, man verliere sich als Leser darin, daß mal rein persönlich dieser, dann wieder jener Adressat angesprochen werde, daß der Text dann aber jeweils sofort wieder ins Allgmeine übergehe usw. Für alledies ist ganz gewiß noch eine Lösung zu finden – wie auch dafür, daß ich ganz gern das Korsett des Hexameters verließe, das während der Schreibphase aber unabdingbar ist und später, wenn die „Dinger“ fertig sind, gleichwohl jedem Leser gegenwärtig bleiben sollen, und zwar gerade auch dort, wo die strenge Form längst aufgebrochen wurde. Doch, wie jetzt schon oft gesagt, ist das etwas, über das ich mir formende Gedanken erst machen will und kann, wenn alle 13 Stücke als Rohlinge vorliegen.