Desexualisierung. Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. Oktober 2006.

7.19 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]Vorhin kam mir der Gedanke, daß die nun seit Jahren schwärende und sich immer weiter durchsetzende Tendenz, das Rauchen gesellschaftlich zu kompromittieren und schießlich per Dekret ganz zu verbieten, auf einer Linie mit der Entkörperung von Welt liege, die einer Desexualisierung von Welt entspricht und Fortsetzung jener Bewegung ist, die mit dem aufrechten Gang begann: Das Tier Mensch entfernt den Kopf, den es zugleich das für die Art wichtigste Organ haltende Körperteil werden läßt, von der Erde und w i r d ‚der Natur übertan’; es emanzipiert sich (scheinbar) von ihr, merkt aber dieses „(scheinbar)“ sehr wohl und legt es nun darauf an, sich tatsächlich zu emanzipieren; religiös ausgedrückt: „rein“ zu werden. Also entwickelt es, wo das ohne weiteres nicht geht, Verfahren der Sublimation, die Hand in Hand mit einer Geringschätzung des Körpers einhergehen, insbesondere seiner Funktionen und ganz besonders da, wo sie ‚natürlicherweise’ das Entstehen der Art selbst (noch) bedingen. Der entsprechende Bereich wird als ‚schmutzig’ diffamiert und schließlich, ist nur erst einmal die Technologie so weit, entmachtet. So gibt es eine gerade Linie, die über Aristoteles und den Monotheismus in die säkularen Formen der Esoterik einerseits führt und andererseits über die Ästhetisierung des Körpers in den funktionalen Markt und darüber dann in die erstrebte Pathenogenese: der Mensch schafft sich in der Retorte selbst. Der Homosexuellen-Ehe folgt die Adoption von Kindern durch Homosexuelle, was ja auch eine Entmachtung der natürlichen Genese bedeutet; und in der Heterosexuellen-Ehe wird der Geschlechtsverkehr zum notwendigen Übel; das machten einem die monotheistischen Kirchen vor; ketzerische Bewegungen wie Tantra gewannen hingegen nie eine eigentliche gesellschaftlich wirkende Gestaltungsmacht. Auf die gleiche Schiene setzt die gender-Bewegung: naturgeformte Geschlechterverhältnisse werden potentiell egalisiert, die Geschlechter selbst erfahren eine Umformung zu einem, sagen wir, ‚Dritten Geschlecht’ hin, dessen Existenz n u r denkbar unter den vorangeschrittensten technologischen Umständen ist, die das Tier Mensch eben schuf, u m sich von ‚der Natur’ zu lösen.Und nun wird d e s i g n t: was als unsauberer Rest hängenblieb – leidenschaftliche Verstricktheit, Süchte, unklare Gerüche, überhaupt das Pheromonale -, erfährt gesellschaftliche Ächtung und wird schließlich per Gesetz abgeschafft. Der Tabakgenuß, weil er stinkt und unvernünftige (Primat der Vernunft!, des Kopfes) Risiken birgt, gehört als Querläufer dazu. Tatsächlich ist auch der so auf Gesundheit und Ästhetik ‚gestaltete’ und gestaltbare Leib dann eben de-sexualisiert; jedes Hochglanzmagazin spricht davon ebensolche Bände wie die verschiedenen Formen von Mutilierung, sei es per Silicon (um dem ‚Standard’ zu entsprechen), sei es per Tattoo und/oder Piercing: body shaping meint die Modellierung eines Gegenstandes. Der Körper als Handhabbares und zu Verhandelndes, als etwas, das frei disponibel und schließlich sogar auf dem Wege retortisch programmierter Kinder ‚bestellbar’ ist (im Kapitalismus bedeutet bestimmbar ‚bestellbar’). Es gibt keinen transzendenten Rest mehr. Und kein Geheimnis. Nur noch Gemachtes. Das Bleibende Tier verhungert, und Welt insgesamt wird zur Anti-Kunst.

4 thoughts on “Desexualisierung. Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. Oktober 2006.

  1. Des Dichters Schraubstock Sie biegen da Themen zusammen,
    die m.E. nicht zusammengehören.
    Rauchen ist ungesund.
    Sex ist gesund. Zum Beispiel.

    Und wer wären denn nun jene,
    die uns entsexualisieren wollten?
    Der Staat, die Konzerne, die Ideologen?
    Ich weiß das nicht. Wissen Sie’s?

    Ich halte das Maß öffentlich gelebter
    Sexualität für kaum noch erträglich.
    Wer gewinnt denn, wenn der Blick
    ständig nur auf nackte Haut schweift?

    Und warum muss Kunst sich
    denn zwanghaft mit Sex verflechten?
    Ist die sexuelle Befreiung nicht
    schon längst vollzogen?

    Fragen über Fragen, Herr Herbst.
    Sex ist vor allem privat, im
    Gegensatz zu allem Staatlichen.
    Das ist doch gut so, oder?

  2. auf einer linie scheint mir das nicht zu liegen mit den anderen repressiven gesellschaftlichen tendenzen, die unsere natur verleugnen und unterdrücken wollen. warum das rauchen gerade jetzt eine solche verfolgung erfahren muss, ist mir nicht ganz klar. sind es die steigenden kosten in den gesundheitssystemen, oder eher die christlichen sekten der USA, die zum halali geblasen haben? oder beides in einer verlogenen mischung, wie sie am besten zu konservativen kreisen passt?
    (- unglaubwürdig bleibt die scheinbare moral aber immer, sind es doch dieselben, die sich vorher und noch immer finanziell am vertrieb dieser tabakprodukte bereichert haben. in österreich erleben wir die schizophrenie, vor einigen jahren die werbung für zigaretten verboten zu haben (bis auf eine österreichische hausmakre natürlich, „memphis“), was, im stadtverkehr jedenfalls, sehr angenehm für meine gequälten sinne war; das wurde nun heuer wieder aufgehoben, weil die EU bessere und stärkere gesetze hat, und man wird jetzt wieder zugekleistert mit werbung für zigerettenmarken, die es vorher hierzulande gar nicht gab. aber darum geht es ja nicht.)

    edit: eben habe ich >>das gelesen, das auch irgendwie hierher gehört. um die gesundheit kanns den rechten behörden also nicht gehen …

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