Arbeitsjournal. Dienstag, der 19. Dezember 2006.

6.47 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Erst um kurz nach sechs Uhr hochgekommen, allerdings war ich auch erst um halb zwei im Bett. Ein schönes langes Gespräch wieder im ODESSA, das leider Mitte Januar schließen wird… Gespräch also mit dem Profi, auch mit U., die ihn anrief und dann auch mir noch ein paar Sätze sagen mochte. Wieder die BAMBERGER ELEGIEN durchgesprochen, kurz über ARGO geredet, dann die Möglichkeiten eines Nebenberufes erörtert: was wäre da so möglich… Er, immer wieder: halte Vorträge an den Unis, ich immer wieder, abwinkend: „Das wird nichts.“ Auf der Radfahrt tagsüber sah ich kurz Müllmännern zu, das gefiel mir. Ich hätte auch Lust auf den Bau: körperliche Arbeit, ja, würde mir gefallen, harte, den Körper beanspruchende Arbeit, von der man Muskeln bekommt. Eher in d i e s e Richtung denke ich grade. E i n f a c h e, basale Arbeit, die sich einem ins Gesicht gräbt, es gerbt. Mir würde auch der Weg gefallen, den >>>> Arndt ging. Aber das ist wegen meiner Familie ausgeschlossen. – Ich weiß, Leser, ich romantisiere. (Guten Morgen. Werd eben den Jungen zur Schule bringen, dann kurz in der Arbeitswohnung vorbeiradeln, um den Postkasten zu leeren, dann geht’s zum ICE nach Bamberg.)

Ich glaube, >>>> B. J. hat sich wieder gemeldet und, wie sie es früher immer nannte, ‚piekst’. Arme Frau. Ich muß an mich halten, nicht bös zurückzuschießen – mein erster Impuls war so; ich hab dann wieder gelöscht. Wenn jemand psychisch so erkrankt ist, zumindest derart verwundet, dann ist es unfair, noch daraufzuhauen. Und zwar auch dann, wenn man zur Projektionsfläche einer Erlösung von dieser Erkrankung wird und also zum verschobenen Objekt der aus ihr quellenden Wut. (Allerdings kann ich mich auch irren, und fremde sowie ‚ihr Partner‘ Kowalski sind ganz andere Leute. Auffällig ist nur, daß sie von Der Dschungel offenbar nicht loskommen. Mir ist das unangenehm, aber bis zu einem gewissen Grad muß ein literarisches Netz-Unternehmen auch netzcharacteristische Unbill mit protokollieren; sie gehört zum Produktionsprozeß ebenso hinzu dazu, wie daß Angreifer nahezu prinzipie maskierte, also ungefähre sind.)

8.49 Uhr:
Wir sprachen gestern nacht auch noch über Geburt. Ob Väter dabeisein sollten, ob nicht. Über Blut und Exkremente, über den Schmerz, über die Überwindung – daß der Geburtsakt ein gewaltsamer sei. Das ist n i c h t Gottes Strafe, sondern pure Natur, Natur an sich. Weshalb jeder, der das Leben will, auch diese Gewaltsamkeit wollen muß. Auch und gerade als Vater. Ich möchte dazu später noch etwas genauer formulieren. Aber die Geliebte eben sagte: „Als ich unseren Sohn gebar, hatte ich in allem Schmerz – er war ganz furchtbar, es ist nicht auszudrücken – das ständige Gefühl: Du bist jetzt mitten in dem, worum es geht.“ – Ja.

(„Ich habe dich noch nie so leidenschaftlich sprechen hören“, sagte der Profi,
„wie jetzt, da es um Kinder, die Entstehung von Leben und Vatersein geht.“
Der Satz wirkt in mir nach: Bei Kunst sprech ich anders?)




Übrigens, Leser, finde ich es auffällig, daß auf >>>> svarupas enorme Einlassungen überhaupt nie eine Reaktion erfolgt. Ich wiederhole hier deshalb: Der Mißbrauch von Kindern ist keiner, der sich ‚nur’ auf Mädchen beschränkt. Das kommt >>>> in dieser ganzen Debatte signifikant zu kurz.

11.26 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
Sie hat auch etwas Schönes, diese Vorstellung, sich ‚normal’ in einen Brotberuf zurückzugliedern nach all den Exzessen der vergangenen drei Jahrzehnte; nun ein ‚Du weißt, wer du bist’ zu inszenieren, als Untergebener in irgend einem Büro mit Leuten über einem, die einen bestimmen dürfen, ohne auch nur die Ahnung davon zu haben, was alles man gedacht, vor allem aber auch getan hat. Ich fange gerade an, diese Fantasie und ihre Umsetzbarkeit höchst vergnüglich zu finden. Man würde ja, da ohne Abschlüsse, zu einer Art Hilfsarbeiter werden und in der Sozialhierarchie ziemlich weit unten stehen. Das ist tatsächlich nicht ohne einen gewissen, freilich perversen Reiz. Ich spüre deutlich, wie sehr ich damit nun liebäugel… ANDERSWELT wäre ja geschafft, dem ist auf seine Weise nichts hinzuzufügen; auf andere Weise sehr wohl zwar, aber das spielt nur noch eine marginale Rolle; es braucht dazu keinen Kampf mehr. Nicht einmal die dezidiert unmoralischen Bücher – DLZI und Melusine Walser, die, die wirklich Tabus brechen – brauchen ihn mehr. Im Einvernehmen mit dem Privatkonkurs träte auch in Sachen Verlagssuche Ruhe ein; >>>> Dielmann w i l l ja, und daß er keine Vorschüsse zahlen und einem insgesamt nicht die Existenz sichern kann, ist ganz gleichfalls wurscht. Da mir der Konkursrichter ohnedies alles nehmen wird, was übers Notwendige (Kinder, Wohnung usw.) hinausgeht. Da wäre ein zumal hoher Vorschuß ja rein verschossen.
Im übrigen stehen die Bücher der nächsten drei Jahre nahezu fest; da muß und kann auch gar nichts Weiteres hinzu:

2007 DEM NAHSTEN ORIENT, Gedichte, dielmann.
DAS BLEIBENDE TIER, Bamberger Elegien, dielmann.
SCHÖNE LITERATUR MUSS GRAUSAM SEIN, Essays, tisch7.

2008 die horen-Sonderheft zu ANDERSWELT; hrsg. von Ralf Schnell und Delf Schmidt.
ARGO. ANDERSWELT, Roman, dielmann

2009 KUNST UND PERVERSION, Paralipomena
DIE ROSE, EIN HAUS, DAS TOR UND DER WIND, Gedichte.
Das sind dann schon mal drei der sieben Jahre. Genug Zeit, um auch für 2010 etwas fertigzuhaben. Und dann eben so weiter, etwa ein zweiter Essay-Band für 2011. Imgrunde ist wirklich genügend da, bzw. in zum Teil beträchtlichem Umfang skizziert, um auch m i t dem Nebenberuf publizistisch prima dazustehen und ohne sich irgend noch um den Literaturbetrieb weiter zu scheren. Wahrscheinlich wird bald auch noch – spätestens bis 2008 – die leicht revidierte und juristisch genehmigte ‚Persische Fassung’ von MEERE über den Buchhandel erhältlich sein. Von der unentwegt weitergeschriebenen DSCHUNGEL muß ich da nicht einmal mehr r e d e n. Wieso also mach ich mir eigentlich Sorgen? Ran an den Privatkonkurs und ran an den stützenden Nebenberuf!

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 19. Dezember 2006.

  1. das uns fremde – ich weise nur auf die worte „schießen“ und „hauen“ im zusammenhang mit dem „fremden“ hin. es fällt jedenfalls auf. das fremde heimelt nicht. es ist anders. ob arm, weiß ich nicht. natürlich sind mir die präzedenzen bekannt. sie betrafen auch mich. hinweisen wollte ich nur auf das vokabular im zusammenhang mit dem, was fremd ist. warum wut? das fremde umgibt uns. und nicht nur dann, wenn wir reisend unterwegs sind. es stellt uns in frage.

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