Arbeitsjournal. Dienstag, der 23. Januar 2007.

5.01 Uhr:
[Berin. Wohnzimmertisch.]
Um ein Uhr nachts fuhr mich der Profi heim; wir waren nach der Besprechung noch in die Bar gezogen auf einen William‘s Favorite und einen Prince of Wales. Allmählich versteht er, der dem Netz gegenüber immer mißtrauisch war und auch noch ist, die Bedeutung, die Die Dschungel für meine Arbeit, vor allem aber meine Präsenz hat. Auch sprachen wir über >>>> Jacobs‘/Percevals Monteverdi-Inszenierung und >>>> meine Attacken gegen andere Kritiker, die Jacobs gegen Perceval auszuspielen versuchen – gänzlich uneingedenk, daß die beiden sich seit langem kennen und auch an speziell dieser Inszenierung ja nicht nebeneinander her-, sondern zusammengearbeitet haben. Das ist insgesamt sehr auffällig, wie man allgemein Jacobs in den Himmel hebt, aus dem zugleich Perceval gestürzt werden soll. Nun war ich sowieso immer auf Seiten Lucifers: Klugheit gegen rotpopoige Putten-Naivetät. Bereits der Sündenfall-Mythos s t r o t z ja nur vor einerseits Anti-Intellektualismus, und er bestraft andererseits das Erotische, das nur über den Intellekt möglich ist (um es einmal von ‚reiner‘ Sexualität, bzw. ihrer aufgeschüttelten Kissenform, die Chilis durch Marshmallows ersetzt, zu unterscheiden). „Wieso willst du dir unbedingt immer Feinde machen?“ fragt der Profi. Und ich erklär ihm, daß es nicht angeht, Meinungsmacher unwidersprochen zu lassen, wenn man aus guten Gründen anderer Meinung ist. Sollte daraus eine D i s k u s s i o n über die S a c h e entstehen, wär ich der letzte, dann zu kneifen.
ARGO.

8.34 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Also nach eins ins Bett, um Viertel vor fünf auf. Ich m e r k e den Schlafmangel allerdings, vor allem, wenn es keinen Kaffee gibt. (Jetzt erst, hier, hab ich mir einen gemacht; drüben gibt‘s weder Filter, Kaffeemaschine, noch Kaffee selbst – nur ein süßes Cappucino-Pulver, das es nicht bringt). Aber alles war ruhig bei der Familie, die Geliebte kam erst um sechs aus den Federn, die Kinder schliefen alle noch. Ich tippte in Ruhe meine Korrekturen weiter. Dann brachte ich den Jungen zur Schule und ging eben zu Fuß heim, weil das Rad ja in Reparatur; Monteverdi im Ohr. Ich mach jetzt gleich mit ARGO weiter, will heute unbedingt Teil III soweit abschließen. Damit ich spätestens morgen, auf der Bamberg-Fahrt, mit den Korrekturen, also dem Lesegang, an Teil IV anfangen kann.
Das Aufnahmegerät, das mir Eisenhauer gegeben hat, ist phänomenal. Aber das Manual hat 50 Seiten, man wird rein verrückt mit den wenigen Knöpfen und der gesamten digitalen Steuerung. Das braucht viel Übung.

8.53 Uhr:
…und ich finde gerade in der elektronischen Morgenpost einen Brief Pruniers, worin er erzählt, daß meine >>>> dem Erzählband den Titel gebende Kurzgeschichte DIE NIEDERTRACHT DER MUSIK als Misère de la musique in frz. Übersetzung in Rémanences erschienen ist und daß L’Atelier du Roman gerne den GRÄFENBERG-CLUB aus demselben Erzählband übersetzt haben und publizieren möchte. In Frankreich geht es also voran. Es sei sogar, verlagsseitig, vorsichtig wegen einer Übersetzung des gesamten Bandes angefragt worden.
So kann ich den Tag ruhig beginnen. Zumal MEERE bald freisein wird.
Der Profi, übrigens, ganz lakonisch, als ich erzähle, daß in Bamberg wahrscheinlich eine Vorladung liegt, die mich den Offenbarungseid leisten lassen will (eidesstttliche Versicherung zwecks Offenbarung des Vermögens, wie das profaniert heißt): „Gib sie einfach ab.“ – Den Privatkonkurs gehen wir nach der Bamberg-Zeit an. „Und wenn mich das Finanzamt jagt, weil ich die Steuernachzahlung nicht leisten kann?“ Er: „Laß sie jagen.“ Und zuckt mit den Schultern. Es war, als hätte er auf seine unaufgeregte Weise gesagt: Du hast dich um Wichtigeres zu kümmern.

11.37 Uhr:
ARGO, EF zur ZF: Ich komm nur sehr schleppend voran, komme nicht in den K l a n g des Textes; damit geht die Genauigkeit der Reformulierung verloren. Aber in mir denkt es und denkt es, vor allem weiterhin wegen der Marienvesper. So führ ich Korrespondenzen, von Opernnetz zu UF über Staatsoper und Lesern, die mir schrieben und/oder eines meiner Hörstücke bestellt haben usw. D e m hier ist nachzudenken:
Übrigens hätte ich, wäre mehr Raum gewesen, gerne noch eine Parallele zu dem Maria-Magdalena-Film gezogen. Es gibt, beobachte ich, derzeit zwei gegenläufige Bewegungen des Umgangs mit der christlich-erotischen Moral: die eine – mir nahe – erotisiert den Katholizismus (ein Vorläufer war Godards „Je vous salu, Marie“), die andere bläst verärgert das Fleisch von der Lehre… nur ist’s halt kein Staub. Man könnte fast sagen, der Calvinismus zeigt erneut seine Hörner. Und das Ganze paßt auf etwas schauerliche Weise ziemlich gut in die neuen Glaubenskriege…Man sollte hinzusetzen: „… und in den kulturellen Pro-US-Amerikanismus“. Interessanterweise geht der offenbar widerspruchslos mit einer (völlig berechtigten) Anti-Bush-Haltung konform. Das Schmiermittel ist dabei der Pop. (Ich hab in der Hinsicht was von Cato: „Ceterum censeo, POPem esse delendam.“ – Jetzt muß ich grad mal selbst über mich lachen. Bin müde, brauche den Mittagsschlaf.)

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