Arbeitsjournal. Sonntag, der 4. Februar 2007. Tutzing. München. Berlin.

16.41 Uhr:
[ICE München-Berlin.]
Das waren spannende Zweieinviertel Tage, namentlich abends in den Salons >>>> der Evangelischen Akademie. Ich vertrat weiterhin in den Fällen Esra und meinem eigenen die Kläger-Position. Mein Vorpreschen am Freitag abend hat mich dabei selbst überrascht: mit welcher Verve ich zwar das Kunstrecht vertrat, aber eben auch, daß dem Schmerz der Klägerinnen eine Bedeutung zukomme, die auf keinen Fall mißachtet werden dürfe, ja die sogar Vorrang habe. Im Zweifel habe der Dichter zu tragen, daß man ihn – wie nun auch immer – belange; denn er wisse und gehe damit entsprechende Risiken ein, daß seine Arbeit prinzipiell eine der Überschreitungen sei, auch der Überschreitungen möglicherweise und zu recht geschützter Bereiche, zu denen nun ganz sicher das Persönlichkeitsrecht auf auch psychische Unverwundbarkeit gehöre.Hierzu ist vieles gesagt, dagegen aber auch einiges eingewendet worden: etwa eine Güterabwägung, nach welcher familiäre Beeinträchtungen von etwaig Betroffenen in Kauf genommen werden müßten, wenn andererseits das seit fast Jahrhunderten erstrittene Recht der Kunstfreiheit auf dem Spiel stehe – also ein gesellschaftliches Grundrecht. Werde, wie in den letzten Urteilen geschehen, bereits eine Erkenntbarkeit durch den nahsten Freundes- und Familienkreis zum Anlaß genommen, Kunstwerke insgesamt verbieten zu lassen, sei in Folge potentiell j e d e s Kunstwerk gefährdet, zumal dann, wenn zum Beispiel in einem Roman geschilderte Ereignisse allein aufgrund anderer Erkennbarkeitsfakoren dem sich erkannt Fühlenden zugerechnet werden könnten; nämlich unabhängig von einer tatsächlichen Wahrheit oder Unwahrheit.
Tatsächlich zeigt die bei den Gerichten eingerissene Praxis, daß jede auch nur hypothetische Beeinträchtigung unterdessen zu einem Kunstverbot führen kann. Georg M. Oswald brachte es gestern abend im Grünen Salon auf den Punkt: „Ein grundsätzlich erstrittenes – und aus bitterer Erfahrung erstrittenes – Grundrecht wird aus Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes anheimgegeben.“In diesem Umfeld verlief das Symposion und schloß dann eben mit meiner Lesung aus der Persischen Fassung. Aus den vorgeblich inkriminierten harten Sexualstellen las ich allerdings nicht, und zwar eines Argumentes wegen, das mehr als das ein Gefühl von Evidenz war, von dem ich unmittelbar vor der Lesung erfaßt wurde: „Ich glaube“, erklärte ich, „daß mir mit diesen Szenen etwas sehr Seltenes gelungen ist, nämlich die intensive B e s e e l u n g von Vorgängen, deren Gestaltung meist als pornographisch bezeichnet wird. Dennoch mag ich sie hier nicht vorlesen, weil ich glaube, daß sie ins Innenleben der inneren Personen eines Lesers gehören, nicht aber in eine öffentliche Arena.“
Mich hat das Argument selbst überrascht; ich wäre in dieser Hinsicht noch vor dreivier Jahren weniger sensibel gewesen. Ich merke, wie ich reife. Und beobachte das.
Meine Haltung für die Kläger ist selbstverständlich gerade bei den Kollegen und den übrigen Vertretern des Literaturbetriebs auf einigen Widerstand, auch ein wenig auf Unverständnis gestoßen. „Ich möchte auch schreiben können, o h n e unliebsame Konsequenzen befürchten zu müssen.“ Ich halte dagegen, daß die mögliche unliebsame – sogar existentiell gefährdende – Konsequenz, und daß man sie riskiert, das Feuer am Leben hält, das die aller Kunst nötige Radikalität überhaupt erst ermöglicht. Vom Standpunkt dieser Radikalität laß ich nicht ab; was nicht radikal ist, gehört nicht zur Kunst, sondern ins kunsthandwerkliche Entertainment. Das kann ohne Frage ein Gutes, sogar Aufklärerisches sein, nur eben nicht Kunst.

Die errungene Schönheit der Sprache, bei allem persönlichen Wahnsinn, den sie mitteilt und die in der Persischen Fassung in keinerlei Weise beeinträchtigt ist, hat denn auch sehr gewirkt. Allein Helge Malchow, Verleger von Kiepenheuer & Witsch, soll, bevor er klatschte, einen Moment lang gezögert haben. Er habe sich dann aber dem allgemeinen Applaus angeschlossen. Wer meine Ablehnungsgeschichte mit Kiepenheuer & Witsch kennt, der kann ahnen, was in dem im übrigen nicht nur sympthischen sondern auch klugen und ausgesprochen engagierten Mann vorgegangen sein mag. Als sich etwas später ein an sich s e h r distanziert wirkender Germanistikprofessor von mir verabschiedete, sagte er „Danke für diese Lesung“ und nahm mich plötzlich in den Arm. Das, Leser, sind die Momente, die zu den allerschönsten eines Autorenlebens gehören: wenn es eben nicht mehr um die F r a g e geht, ob eine Dichtung gelungen sei oder nicht, sondern wenn darüber überhaupt nicht mehr gesprochen werden muß. Kurz vorher hatte der Mann das auch so ausgedrückt: „Ich möchte darüber jetzt nicht sprechen.“
Zwei Gegenstimmen wurden mir bekannt. Nach der Lesung kam eine ältere Dame aus dem Veranstaltungsraum, sah mich in der Rotunde rauchen, trat auf mich zu und sagte: „Dieser Fichte – ist das ein armes Schwein?“ Und eine andere ältere Dame soll geäußert haben, der Roman sei kein Buch für Frauen, sondern eines für Männer. Ich hätte, wäre ich dabeigewesen, entgegnet: „Ein Männerbuch ist es ganz sicher. Wer anders aber als Frauen sollten Männerbücher lesen?“ Und Rainer Dresen, Justitiar von Random House, bei Tisch: „Du erzählst Dinge aus der männlichen Psyche, du verrätst sie, über die Männer selbst nie sprechen, ja die sie von sich weisen würden – weil sie so wahr sind.“ Den Ruch eines Verräters – und seiner sozialen Enstprechung, nämlich der Nestbeschmutzung – habe ich sei je gehabt.

Ich würd jetzt gerne arbeiten, bin aber müde. Es war lang geworden gestern nacht, ich hatte einiges getrunken und dann heute morgen prompt das frühe Aufstehn verschlafen. So wird‘s nicht ganz leicht werden, in die rigide Arbeitsdisziplin zurückzufinden. Da die Familie, wenn ich gegen Viertel nach zehn in Berlin ankommen werde, wahrscheinlich bereits zu Bett gegangen sein wird, werd ich in der Väter-WG schlafen, um mich dann morgen früh um halb fünf wieder an ARGO setzen zu können; die für die Überarbeitung von EF zur ZF anstehenden letzten zweihundert Seiten sollte ich bis Ende dieser Woche zuendebringen, damit ich dann an die Überarbeitung der BAMBERGER ELEGIEN gehen kann.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .