Arbeitsjournal. Montag, der 19.März 2007.

7.04 Uhr:
[Berlin, Küchenwohnung.]
Zwei Schlepp-Tage. In einer Stunde breche ich nach Bamberg auf, wo ich den Rucksack packen und dann gleich, um weiteres Zeug nach Berlin zu bekommen, wieder zurückfahre. Und morgen früh fahr ich dann abermals hin. Gearbeitet wird also so gut wie nur im Zug.
Leider hab ich jetzt den Frühzug verpaßt, weil ich – es wurde gestern nacht spät bei der Feier des Freundes – nicht rechtzeitig hochkam. Es wird Zeit, daß wieder Disziplin in meine Arbeitsabläufe kommt – doch die Bamberger Zeit ist nun definitiv zuende, und da komm ich um solche Wege, die selbstverständlich Arbeitsstörungen sind, nicht herum. Hinzukommen die kleinen Aufregungen wegen der MEERE->>>>Volltext-Ausgabe, die bereits am Donnerstag gedruckt und nach und nach ausgeliefert werden wird; ich hole evtl. noch am Donnerstag einen Packen persönlich ab, um ihn am Freitag mit auf die Leipziger Buchmesse zu nehmen, zu der ich in dieser Woche eben a u c h noch muß und will. Aber ich werd eben erst am Freitag fahren, bereits am Donnerstag schaff ich das nicht. Zumal Donnerstag ab mittags jemand in der Arbeitswohnung sein muß, weil das Telefon dann wieder angeschaltet werden soll. Ich hoff nur, >>>> STRATO ist schnell und schaltet meinen Bamberger DSL-Zugang zügig auf Berlin um. Und dann schlägt natürlich auch noch der Stromboli-Aufenthalt Mitte April in die Arbeitsabläufe störend ein, bzw. will a n d e r e Abläufe, als sie das konsequente Durcharbeiten der >>>> Elegien momentan verlangte.

Langes Gespräch mit Eisenhauer auf dem Fest gestern nacht. Die Verlegerin oder Lektorin eines großen deutschen Verlages habe mich auf einem der Verlagsabende während der letzten Frankfurter Buchmesse angesprochen, interessehalber; ich aber hätte sie arrogant abblitzen lassen. Keine Ahnung mehr, wer oder wie das gewesen ist; an sich ist sowas für mich auch ganz untypisch, an sich bin ich ausgesprochen konziliant… es sei denn, ich wittere einen Angriff oder fühle mich groupiehaft bewundert, was ich nicht leiden kann (weil ich einfach nicht weiß, wie damit umzugehen ist – nicht mit sachlich begründeter Bewunderung, die mag ich gerne, aber mit Bewunderung-an-sich… perfiderweise waren mir – oder sind mir noch – Gegner immer lieber)… jedenfalls machte Eisenhauer mir Vorwürfe, sagte sogar: „Ich war sowas von wütend auf doch, als mir diese Frau zwei Tage später sagte: ‚Den n o c h mal ansprechen? Bestimmt nicht! Was ein arrogantes Arsch!‘“ Jetzt sitze ich ungeduscht hier mit mattem, noch schwerem Kopf und dösel vor mich hin, was denn da geschehen sein und was ich gesagt haben mag… Um das Wort eines Gegenanwalts in einem Prozeß aufzunehmen: Ich bin da völlig ohne Schudbewußtsein. Aber unangenehm ist‘s mir nun d o c h. Also sagt‘ ich zu Eisenhauer: „Weißt du, ich hab echt keine Ahnung, was da war… aber wenn es der Dame guttut, dann entschuldige ich mich auch gerne für Nichts.“ Wobei klar ist, daß das dann w i e d e r als Arroganz ausgelegt werden wird. Hart ist allerdings, was Eisenhauer als ‚meinen Grund‘ – also als was er empfunden wurde – durchblicken ließ: „… wenn jemand nicht s c h ö n ist.“ Sowas träfe eine Frau ganz zurecht. Das ist wahr. Und vielleicht vermittle ich ja wirklich ein wenig diesen Eindruck. Vielleicht spüren Frauen, daß – anders als bei Männern – für mich auch in Arbeitszusammenhängen erotische Attraktion maßgeblich ist… und vielleicht i s t sie‘s, ohne daß mir das selbst recht bewußt ist. Mein seinerzeitiger Streit mit Ana ging ja deutlich in eine ähnliche Richtung – daß ich also Geschlecht bei Frauen nie ausklammern kann, daß das bei mir immer irgendwie mitspielt, instinktiv mitspielt, und insofern ein ganz offener Verstoß gegen gender correctness ist. Mein Instinkt jetzt, weil er pocht, sagt mir, daß daran was ist. Nur wie soll ich‘s ändern?

Gestern mit den Kindern wirklich in Babelsberg und auf der >>>> Herr-der-Ringe-Ausstellung gewesen. Da der übrige Filmpark noch geschlossen hatte, in dem man sonst vielerlei anstellen kann, das das hohe Eintrittsgeld dann auch rechtfertigt, waren wir drei doch eher enttäuscht. Und sind dann noch ins Kino gegangen, denn es regnete. Sonst hätt ich mit dem kleinen Paar von Potsdam aus eine Seen-Rundfahrt angeschlossen. Jedenfalls war’s insgesamt ein reichlich kostenträchtiger Tag, der für die Arbeit so wenig brachte, daß ich aufs Protokoll des >>>> Dts verzichte.

Im Zug gleich: Vers-Arbeit. (Eisenhauer n o c h: „S. hat in deinem Arbeitsjournal gelesen, du wollest keine Prosa mehr schreiben… das ist doch hoffentlich nicht wahr?“ Ich: „Es mag eine Phase sein, das kann ich nicht beurteilen; aber m o m e n t a n: Ja, Prosa interessiert mich nicht mehr. Selbstverständlich bringe ich >>>> ARGO noch zuende, schreibe die Dritte Fassung, gar keine Frage… aber insgesamt hab ich das Gefühl: Meine Romane sind nun abgeschlossen.“ – Komisches Gefühl: Man blickt zu halben Lebenszeiten bereits auf ein beendetes Werk zurück – noch bevor‘s eigentlich zur Gänze gedruckt ist. Die theoretischen Arbeiten, a u c h eine Prosa, betrifft das übrigens n i c h t.)

9.19 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
Wie in Trance, Dritte Elegie, sogar während der S-Bahn-Fahrt zum Südkreuz über den Versen gehockt, und >>>> hier hab ich mich grad festgezackert… (– und jetzt eben, 10.14 Uhr, als ich‘s eingestellt hatte, w i e d e r. Man glaubt nicht, wie wichtig es ist, sich solche Texte noch und noch und vor allem in immer neuem Aussehen anzuschauen, weil man grad dann Fehler entdeckt, die einem in nur einer Design-Form durch die Finger rutschen.)
Habe jetzt vier Stunden ungestörter, guter Arbeit vor mir (jetzt, 10.14 Uhr, nur noch drei). Dabei nehme ich meine Umwelt grad mal wie hinter einem Schleier wahr… und dachte, am Bahnsteig auf- und abschreitend: Ich bin kein sozialer Mensch, es interessieren mich Gruppen-Regulationen nicht, ich will auch gar nicht dazugehören, stampfe mein Werk in den Boden, und alles andere – nur noch meine Familie – interessiert mich nicht. Wobei das nun eine ganz besonders ausgeprägte Form von Eitelkeit ist, daß es mir seit MEERE völlig wurscht wurde, wie ich herumlaufe, ob mal im Anzug, ob abgerissen… oder: – weiße Socken, das ist a u c h so eine modische Konformität… wie gestern nacht zwei Frauen, als es darum ging, worauf sie, bzw. „die“ Frauen bei Männern achteten, sagten: „Weiße Socken, also das geht g a r nicht.“ Dann guckten sie m e i n e Socken an, hellblaue, ausgeleierte, und sagten: „Also die Schuhe sind in Ordung, die Socken nicht“, und ich dachte mir: ‚Is‘ m i r doch wurscht, leckt mich, Mädel!‘ Es ist mir unterdessen sowas von kreuzegal, ob jemandem was an mir mißfällt – ob überhaupt wem was gefällt, das ich trage. Das war früher anders, aber ist mit dem Dandy, der ich zweieinhalb Jahrzehnte lang gewesen bin, restlos abgestorben. Wenn ich heute über meine „damals“ so hochkultivierte Kleidung nachdenke, hab ich den Eindruck, ich wollte etwas kaschieren – die Schwulen fielen regelmäßig drauf rein, Frauen übrigens nicht -: Die Form, die ich mir äußerlich mit Anzügen und edelsten Krawatten gab, kaschierte nicht Schwäche, sondern eine bestimmte Form von asozialer Stärke, kaschierte zudem den Testosteron-Überhang, mein Triebhaftes also – bändigte es, jedenfalls seinen Ausdruck und kaschierte – und zwar auch mir selbst – das immer wieder durchbrechende Chaos. Heute habe ich schlichtweg keine Lust mehr, ja fast einen Unwillen, noch irgendwas zu kaschieren. Wenn mir nach Anzug ist, trag ich ihn, aber eben nicht mehr, um ein Bild zu repräsentieren. Und wenn mir nach Verlotterung ist, verlotter ich halt… alles in einer Abwechslung, die ruhig zeigen darf, daß es mir auf Sozialität nicht die Spur ankommt und eben auch niemals angekommen i s t. Und wenn mir nach einer Frau ist, dann sag ich das, wenn‘s sich ergibt, ebenfalls, ob das nun pc ist oder nicht. Und wenn mir, siehe oben, auch in Arbeitszusammenhängen Eros wichtig ist, werd ich das sicher genau so wenig mehr verschweigen – egal, ob das jemandes emanzipiertes Selbstverständnis stört oder nicht. Verpflichten tut mich nurmehr zweierlei: daß ich Vater bin und eine Familie habe, für die ich einsteh, und daß ich ein Werk in die Welt bringe. Alles andere – Schulden, Höflichkeiten, Gepflegtheit, Umgangsformen wie gesellschaftliche Usancen allgemein – sind nur noch von höchst marginaler, imgrunde von g a r keiner Bedeutung mehr. Dazu gehört auch und besonders, wie ich wirke. Aber – und das stimmt – diese spezielle Form des Desinteresses an gesellschaftlichen Umgangsformen i s t eitel. Nur sag ich mir: Dann i s t‘s das halt. Weshalb sollte ich noch so tun, als wäre‘s das n i c h t? Ich gehör eh nicht „dazu“ – es gibt keinen Grund, das anders zu sehen – nicht einmal mehr, es noch zu wollen.

13.21 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]Alles wie ein einziger Abriß hier, mein Bamberger Jahr geht nicht zuende, nein, es zerfällt – und hält nur noch in Worten, in den Elegien, fest.. die hoff ich, b l e i b e n. Es wird mir bei der weiteren Überarbeitung die Sicht nach draußen fehlen, auf die Terrasse, den Garten, den Fluß, die Häuserzeile gegenüber… ich will mir das einstanzen, um drauf zurückgreifen zu können, wenn‘s Not tut. Auch noch umhergehen und fotografieren, was zu fotografieren ich vielleicht noch unterließ.
Ein Taubstummer, auf dem von einer Baustelle unterbrochenen Weg hierher, beschäftigt mich zudem, ich werd über ihn schreiben („flatternde Lippen“), ein Gedicht… den kleinen Umweg über formulierte es sich bereits in mir. Vorher oder nachher aber unbedingt schlafen, wahrscheinlich vorher, dann den Rucksack vollstopfen, um zu sehen, wieviel Zeit mir bis zum 17.08er ICE nach Berlin zurück dann noch bleibt. Der Profi will mich in Berlin spätabends mit dem Wagen vom Bahnhof abholen, dann fahrn wir in die Bar, dann bringt er mich mit meinem zu schleppenden Zeug nachhause, d.h. in die Kinderwohnung, die mein Zuhause sehr schleichend gar nicht mehr i s t. Auch da bröckelt‘s, und ich will mich wegen Katanga, der das alles natürlich merkt, um verstärkte Freundschaft bemühen, wenn ich wieder ganz in Berlin leben werde. Und dieser Satz jetzt ist ein déja-vu!
(Irgendwie geht‘s in mir grad reichlich durcheinander… nicht daß ich wirklich nach Luft schnappen tät, aber dieses Gefühl von Zerfallen ist seit heute morgen ausgesprochen mächtig. Zerfall und zugleich Haltung, etwas Felsiges, das keinen Kompromiß mehr machen will. Wobei ich ja nie recht zu Kompromissen neigte, aber das will ich f o r m e n; es soll nicht mehr nur noch Ausdruck testosteroner Vitalität sein. So sehr genau. Und so ungewiß.)

17.12 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin.]Völlig durchgeschwitzt; diesmal nicht nur den vollgestopften Rucksack, sondern auch noch eine geräumige Reisetasche voller Klamotten. Aber man trainiert sich bei sowas, Mal um Mal trägt der Körper mehr. Hat man‘s vollbracht, macht‘s einen stolz: man hat sich nicht gedrückt, war nicht jammrig, sondern packte es an.
Jetzt steht der zweite Liter Milch des Tages vor mir und, noch in ein dünnes Plastik verpackt, eine reichliche Brotzeit – die erste feste Nahrung heute (für Nahrung ist ja auch der morgendliche Liter Milch zu nehmen). Hab ich gefuttert, mach ich mich an das Taubstummen-Gedicht, danach geht‘s mit der Dritten Elegie weiter.
W a r übrigens nichts mit dem Mittagsschlaf. Kaum lag ich, holte mich das Telefon aus den Federn; dann klingelte es an der Studiotür: die vereinbarte Übergabe (nebst Zählung der Bestecke, falls man was mitgehen ließ, wahrscheinlich – oder um schon jedem Gedanken an sowas zu wehren). Aber bei mir war noch überhaupt nichts gerichtet; so verschob ich die Übergabe auf morgen um 13 Uhr, muß also den Frühzug von Berlin nach Bamberg ganz unbedingt bekommen.
So, essen.

23.32 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Der Profi fuhr mich eben her. Kaum betret ich die Väter-WG, find ich auf dem Küchentisch die Klageandrohung der GASAG über rückständige 236,70; es habe – was ich irritierend finde – nicht geklappt, uns das Gas abzustellen. Na gut. Und seltsam. Nur gegenüber Katanga, der sehr korrekt ist, ist mir das peinlich.Deshalb muß das dringend erledigt werden. Wovon, weiß ich nicht. Aber der Profi wird vielleicht wieder helfen. Wahrscheinlich sind mir die Rechnungen tatsächlich „entgangen“, weil ich ja keine Post mehr öffne seit einiger Zeit – all die Mahnungen hielten mich davon ab zu tun, was zu tun ist: nämlich die Elegien weiterzuschreiben. Ich hab für Unfug einfach keine rechte Zeit. Außerdem berichtet das Schreiben von Besuchen eines Außendienstmitarbeiters der GASAG, die mir auch nicht bekannt sind. Auch das ist wurscht. Jedenfalls kurz vor zwölf. Die Klage selbst stört mich nicht, da ich ja eh den Privatkonkurs mache, das fällt dann unter Konkursmasse. Aber vielleicht überlegen diese Leute einmal, mit wem sie‘s eigentlich zu tun haben. (Gestern, Eisenhauer: „Würdest du für diesen riesigen Arbeitsaufwand, den du betreibst, auch nur minimal bezahlt, wärest du heute zumindest wohlhabend.“ So isses, liebe Leute, so isses. Und wenn jetzt jemand von ihnen darauf verweist, daß ich vielleicht etwas machte, das keiner wolle, dann darf ich in aller Höflichkeit auf das Bruttosozialprodukt verweisen, das in Berlin allein die Moma-Ausstellung abgeworfen hat – da standen die Leute zu Tausenden an, um sich etwas gegen viel Geld anzusehen, das zu Lebzeiten nicht weniger der dort vertretenen Künstler zu deren Zeit a u c h keiner wollte. Man möge sich den Namen van Goghs mal leicht auf der Zunge zergehen lassen… Man muß sich mal überlegen, was die GASAG-Leute in 200 Jahren für Kultur und Gesellschaft insgesamt getan haben werden, was an Träumen, was an Musiken, an Bildern und was an Geschichten von denen dann noch dasein und zwar für a n d e re dasein wird. Dann bekommt man ein Gefühl für Relationen.)

Die Fahrt über strikt durchgearbeitet, Vers für Vers. Müde bin i. Katanga ist nicht da, ich hätt mich jetzt gern entschuldigt. Und wenn er morgen früh aufwachen wird, werd ich bereits wieder im Zug nach Bamberg sitzen.
Aber das alles dreh ich auch noch irgendwie grade.

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