Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. April 2007.

6.59 Uhr:
[Küchentisch, Am Netz.]
Festtage ohne Arbeit haben die Tendenz, einen regredieren zu lassen. Man fühlt sich daheim, geborgen, und „wollen wollen“ die Kinder, man selbst wird Umhüllung. Dachte ich heute früh, als ich abermals erst um halb sieben aufstand und dann gleich herradelte. Bei meinem Laptop wollen sich die Leerzeichen nicht mehr richtig anschlagen lassen; also prügle ich immer wieder gegen die Wortwürste nach. Dafür schlagen Umstelltaste, das h, das i und das n wieder anstandslos an, auch der Backslash funktioniert neuerdings aufs neue. Und mein portables Festplättchen, ebenso wie der digital fotografierende Fotoapparat, funktioniert wieder; letztrer dank der Geliebten, die nur sagte „gib mal her“, dann discjockeyartig auf den Funktionstasten herumtippte, die Sache irgendwann aufgab… aber als ich den Apparat später anschaltete, um‘s ergeben noch einmal selbst zu probieren, war er plötzlich völlig in Ordnung. „Wie hast du d a s denn gemacht?“ „Keine Ahnung – ich hab offenbar nur noch vergessen, ihn aus- und wieder einzuschalten. Eigentlich hab ich nur einen Reset gemacht.“ ‚Reset‘, dachte ich, ‚was ist das?‘ Imgrunde, dachte ich weiter, ist mir schon das Wort fremd. „Zwillinge?!“ rief auf dem Flohmarkt Arkonaplatz ein türkischer – heut sind wir ganz pc – Mitbürger aus… also: „Zwillinge?! Und das in Ihrem Alter?!“ Das war Ostermontagnachmittags (sehen Sie, solche Wörter m a g mein Laptop, er ist kompositan). Wir plauderten dann etwas, nicht der Ostersonntagnachmittag, sondern der türkische Mitbürger („Meine Frau ist auch so jung!“) und ich. Dann gab er mir die vier Akku-Batterien zur Hälfte des Preises, und ich schob mit den Babies und ihrem Straßenkreuzer weiter.
Ich causiere hier nur deshalb so vor mich hin, um einen Einstieg in die Schreibarbeit zu finden. Die ich allerdings schon bald werde unterbrechen müssen, um in der Arbeitswohnung auf die Geldsendung der Galerie Jesse zu warten, womit die Reisespesen gesichert werden. Dann geht‘s zum Ticketkauf, danach wird für Stromboli gepackt: außer Kleidung (auf dem Vulkan wird‘s kühl sein, wenn nicht noch kalt) vor allem die Arbeitsmaterialien: DiscRecorder, Mikrofone, zwei Paar Ohrhörer mit Weiche, Akku-Ladestationen, kleines Stativ, Iso-Matten, Schlafsäcke (falls uns ein Bergführer d o c h über den Kratern übernachten läßt), Notizbücher; die Bergschuhe, die wir aber schon zur Reise tragen werden, damit ihr Gewicht nicht aufs Gepäck geht; ein Extrabehältnis für den Laptop, das ich aber erst beim Aufstieg nutzen will; Erste-Hilfe-Kästchen, Dictionario, Lektüre für den Jungen usw. Der Profi gestern nacht im 103: „Versprich mir, daß du keine Dummheiten machst. Ich sähe dich nicht gern in der glühenden Lava verschmauchen.“ „Mach dir keine Sorgen“, sagte ich, „ich habe meinen Sohn dabei und will unbedingt, daß er erfährt, was Geschlechterliebe ist. Schon darum werd ich mich vorsehen.“ „Bitte wirklich nur mit einem Führer hochgehen!“ Er kennt mich. Dennoch, ich bin nicht Empedokles.
Noch eine bittersüße Mail kam an. „Zwischen der Anerkennung Ihres literarischen Werkes und uns“, schreibt ein Kritiker, „steht Ihre Person. Wäre d i e nicht, wir würden Ihre Arbeit bewundern.“ Wie offen, dachte ich, diese Leute sein können. Daß ein Werk ohne seine Urheber aber nicht w ä r e (so gern meine >>>> Autopoeisis das auch hätte), scheint ihnen viel weniger bewußt zu sein als mir, der diesen Umstand ständig attackiert hat. Darin liegt Witz.
Guten Morgen, nachösterliche Leser.

12.15 Uhr:[Arbeitswohnung. Cigarillo. Latte macchiato. Dallapiccola, Ulisse.]
Wie der Teufel hierhergejagt, nachdem mir Claudia Jesse von der Galerie Jesse mailte, das Reisegeld sei per Übergabe-Einschreiben hinausgeschickt worden. Wenn die Post jetzt schon dagewesen sein sollte… ich muß doch vor morgen den Bus gebucht haben… – aber war sie noch nicht. So stell ich mich auf Warterei ein und höre nur ganz ganz leise Musik, damit ich auch mitbekomme, wenn‘s an der Tür schellt. Daß ich jetzt Dallapiccola, wenn auch nicht die Sapho-Gesänge, höre, spannt einen Bogen zu >>>> San Michele zurück, das, glaube ich, eines meiner bislang schönsten Hörstücke geworden ist. So soll auch Stromboli werden.
Des weiteren schreibt Frau Jesse, der Junge und ich seien nun d o c h in einem Hotel untergebracht – was alles nun unnötig teuer macht, auch wenn >>>> diese Unterkunft wunderschön wirkt und objektiv, also von Normalverdiener-Verhältnissen aus gesehen, so teuer n i c h t ist. Ich habe eben noch an >>>> mare sowie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben, ob man dort vielleicht an einer poetischen Reportage von den Stromboli-Kratern interessiert sei; würde sich noch jemand gegen einen Text an den Spesen beteiligen, könnte ich der Galerie, die ja selbst nicht sehr üppig im finanziellen Saft steht, zumindest den Anteil für meinen Jungen zurückgeben. Andererseits bekomm ich für die Dichtung kein Honorar; deshalb wäre es wie jetzt a u c h in Ordnung. Mein Honorar d a n n ist – es ist ein gutes – eine Woche des Sohnes mit seinem dichtenden Vater in dessen zweiter Wahlheimat am Fuße eines Vulkans. Das wäre ohne meinen Beruf in absehbarer Zeit nicht denkbar gewesen. Wie ich mich darauf freue – als verbundenes, inniges Intermezzo, bevor hier das ökonomische Chaos weitergeht -, kann ich gar nicht richtig ausdrücken. „Vielleicht will ich Vulkanologe werden“, sagte der Knabe gestern beim Abendessen. Das entlockte mir ein inneres Jauchzen, auch wenn ich lächelnd sagte: „Dann mußt du aber sehr gut in Mathe werden.“ Und ich dachte: Auch e r… auch er und ein Risikoberuf. Ich habe das gesamte >>>> dort herunterladbare Vulkanprojekt gespeichert, werde es nachher ausdrucken und will es mit dem Jungen während der Reise durcharbeiten.

Der Anwalt von http://web.de hat geantwortet: sofern ich >>>> die eidesstattliche Versicherung in Kopie hinüberschickte, würde seine Mandantin auf ihre Forderung verzichten. Ich meine, das i s t doch was, das muß man a u c h erzählen. Und L‘Atelier du roman wollte für den Abdruck der französischen Übersetzung Pruniers des >>>> GRÄFENBERG-CLUBs eine schriftliche Genehmigung haben; die habe ich nach Absprache mit >>>> tisch7 vorhin auch noch auf den Weg gebracht.
Jetzt stell ich hier die Gerätschaften zusammen.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. April 2007.

  1. „Zwischen der Anerkennung Ihres literarischen Werkes und uns“, schreibt ein Kritiker, „steht Ihre Person. Wäre d i e nicht, wir würden Ihre Arbeit bewundern.“

    …solche Sätze sind es, welche die Nachfahren wieder und wieder zitieren werden, wenn Ihr Werk von zukünftigen Generationen besprochen werden wird. Wundervoll!

    1. Ich sag aber nicht, w e r’s geschrieben hat. Es ist jemand, der mir eigentlich gewogen ist. Aber das, aus vielleicht klugen Gründen, nicht öffentlich machen möchte. Witzigerweise gilt er ‘offiziell’ als mein Gegner. Und ich – spiel’s mit.

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