Das Eigene, was ist es denn außer der Sprache? Und was ist s i e, die nicht grundlos Muttersprache geheißen, denn mehr als ein K l a n g? Bedeutungen lassen sich lernen, n a c h lernen, Klänge aber öffnen die Seele, formen sie, machen sie berührbar. So ist der Schmerz des Migranten, daß ihm die Berührung fehlt, die bekannte, vertraute, größer oft denn der konkrete erzwungene oder freiwillige Heimatverlust, so bitter der auch immer sei und mit welchen Entbehrungen sonst auch verbunden. Selbst der Verlust sozialer Regeln – eine Form individueller Sicherheit, die einem die verlassene Ethnie, bzw. das „eigene“ Volk gab – reicht an den Klangverlust nicht heran. Politische Organisationen wie Nation, Stadt- und Dorfverwaltungen, die nichts anderes sind als strukturgebende Körperschaften mit definierten geografischen Grenzen, haben immer wieder versucht und versuchen es weiter, den Klangverlust ideologisch aufzuheben. Und scheitern an dem, was das Eigene ist, scheitern an der Sehnsucht des migrierten Menschen – und noch an der seiner Kinder, bisweilen Kindeskinder. Sie scheitern an der Seele.
Wäre nicht das, Umbürgerung wäre ein Leichtes. In der Tat ist die Differenz zwischen, sagen wir, den Handwerkern eines Landes und seinen Intellektuellen größer als die zu Handwerkern eines anderen Landes; aus diesem – wahren – Verhältnis hat sich über den mittelalterlichen Begriff der Stände der moderne der gesellschaftlichen Klasse herausgebildet, aber eben nur auf der e i n e n Seite, der des Kapitals, annähernd erfüllt. Wer reich ist, kann so viel Seele mit auf Reisen nehmen, daß er den Verlust kaum fühlt, zumindest von ihm abzulenken gut versteht. Der Arme aber hat nichts als sie – und steht dann in der Fremde und spricht wie in Leere. Nicht nur, daß e r fremd ist, ist das Problem, sondern daß das Neue auch ihn nicht versteht – nur das Instrumentale versteht, das auf konkrete Handlung zielt. Nicht aber die Seele dahinter. Schon, weil auch sie etwas so Ungefähres ist, wie das Eigene zusammengehörender, zusammengeborener Menschen selbst. Deshalb eignet sie sich nicht für Politik – da sogar, als ein die Handlung leitendes Kriterium, wird sie gefährlich. Auf der Anrufung einer Volksseele reitet immer der Tod… es ist eine H o r d e, eine A r m e e apokalyptischer Reiter, die sich auf sie schwingen, um zu vernichten. Nicht aber die Kunst, auch nicht die eines Volkes, die aus seiner Musik rührt. Sie ö f f n e t. Und sie tut das mit enormer fruchtbarer Kraft.
Ein Merkmal von Kunst – und ihrer praktischen Seite, der Kultur – ist ihre Durchlässigkeit, ihre Bereitschaft, sich mit Fremdem zu verbinden und Fremdes in sich aufzusaugen. Was die soziale Irritation oft aus unbegriffener Angst abwehrt, mit Gründen manchmal, oft ohne, das, scheint es, s u c h t die Kunst. Zeigt sich viel freier, viel unbedeckter als der Mensch, der sie doch schafft, und andere Kunst nimmt sie auf, um gemeinsam mit der fremden n e u e Kunst zu schaffen. Deshalb kann es, politisch, auch und gerade nicht um Bewahrung gehen… Bewahrung hieße, die Kraft und Lust der Kunst, sich zu vereinigen, künstlich zu beschränken und ihr eigenes Bewegungsgesetz, das ein Atmen ist, ihr abzuschnüren. Damit aber a u c h abzuschnüren, was die fruchtbarste Grundlage eines Zusammenlebens Fremder wäre: daß aus dem gemeinsamen Neuen, das sich in Kunst als neuer Kunst herausbildet, ein Verständnis füreinander erwächst, das auf der gemeinsamen Musik, einer gemeinsam möglichen Musik, sich angstfrei niederlegen kann.