19.12
Ich bin in letzter Zeit so oft auf Bernini gestoßen, und habe so oft an seine Daphne denken müssen, daß ich fast Lust habe, die Gelegenheit zu nutzen, mir in Gesellschaft das Original mal wieder anzuschauen. Allein bin ich eh zu faul. Vielleicht sogar morgen schon. In Verbindung mit einem Spaziergang durch die Villa Borghese. Die Idee gefällt mir jedenfalls. — Gefiel mir, was morgen betrifft: Morgen ist die Galeria Borghese geschlossen. Vorsichtshalber hab’ ich’s doch noch kontrolliert. — Aber ein anderes Programm ist schon da und vorgeschlagen. Abwarten. — Gestern spürte ich dann nach dem Rom-Tag doch ein wenig Müdigkeit. Die Arbeit schleppend, die Lektüre sich immer wieder festhakend an Ausschweifungen der Gedanken. Die Horizontale war dann irgendwann das beste. Und erst danach wirklich etwas gegessen, denn am Abend des Rom-Tags aß ich nur noch einen Pfirsich, am Morgen danach ein Joghurt, im Lauf des Vormittags etwas LÜBECKER MARZIPAN (und ich danke immer für solche Mitbringsel, meine Freude über solches bringt meine Mundwinkel von einem Ohr zum andern: ob das dann gut aussieht, ist mir egal), dann wieder einen Pfirsich. Aber die Hitze läßt Appetit auch nicht wirklich entstehen. — Heute Mittagessen bei den Neffen. Die Mutter hatte mich gebeten, auf sie im kleinen Spiel- und Spazierpark vor der Bar dort zu warten, weil sie in die Messe gingen heute vormittag (wahrscheinlich irgendwelche Nachwehen der Kommunion: ich kenne mich da nicht aus), und ich sie dann in die „Oberstadt“ mit dem Auto bringen sollte. Setzte mich also an einen Tisch vor die Rotunde mit dem Blumenbeet in der Mitte in den Schatten unter die Bäume und bestellte erstmals nur für mich allein einen Aperitif. Erst später begriff ich das Warum. D., die ich an der Adria besucht hatte, erinnerte sich in ihrer heutigen Mail daran, daß ich genau vor einer Woche zu ihr gefahren bin. Ich habe scheinbar in dieser Woche jeden Zeitbegriff verloren, ich hätte es nicht so erinnern können. Aber unbewußt war mein Dasitzen in Amelia unter den Bäumen eine exakte Spiegelung dessen, was genau vor einer Woche zur selben Uhrzeit geschehen war: wir setzten uns unter Bäumen an den Tisch einer Bar grad am zentralen Platz von Porto Recanati (nun ist der Ortsname gefallen) und bestellten einen Aperitif. Jedenfalls fühlte ich mich unheimlich entspannt heute. Aus den Lautsprechern brasilianische Schnulzen, ein Erinnern an ein MadreDeus, an Pessoa, seinen Marinheiro:
Ainda não deu hora nenhuma. – Die Stunde hat nie geschlagen (nach der danebenstehenden italienischen Übersetzung).
„Ainda“ wird von der italienischen Übersetzung komplett unterschlagen. Eine mögliche Übersetzung könnte lauten:
„Noch (ainda) hat keine Stunde geschlagen.“
Oder wörtlich:
„Noch hat es überhaupt keine Stunde gegeben“ (das „überhaupt“ setze ich hier wegen der im Portugiesischen in der Umgangssprache gängigen doppelten Verneinung „não – nenhuma“).
Oder: Die Stunde hat noch gar nicht geschlagen. Aber abgesehen davon, ging es nur um den Satz, so wie er geschrieben steht. Ihn ändern, hieße meinen Text ändern. Und Pessoa war Stichwortgeber.