19.53
Mein Gefühl heute könnte ich als „chthonisch“ bezeichnen, wieder mal Erdschwere, der in den Brunnen geworfene Stein, um zu hören wie tief er ist. Er brauchte nicht lange, und es machte „platsch!“. Es war, als wollte sich um all die derzeitigen Kontakte eine Mauer ziehen, um mich hinter ihr abzuschirmen und meinen Gleichmut wieder aufzupäppeln. Aber sobald der Gleichmut wächst, ändert diese Mauer ihr Aussehen in eine drohende Gebärde: Hier kommst du nicht mehr raus. Gern ginge es mir dann wie Franz Jung im Spandauer Gefängnis: Ich habe mich niemals mehr in meinem Leben so wohl gefühlt [wie dort]. Ich habe mich mit den Fliegen unterhalten, denen ich Zucker gestreut habe und Brotkrümel in Zuckerwasser getaucht. Ich habe dann beobachtet, wie die Fliegen betrunken wurden, im Zickzack um den Zucker gezirkelt und oft auch umgefallen sind; alle haben sich nach einer Weile wieder erholt – die Fliegen hatten keine Erinnerung mit sich herumzuschleppen, sie fliegen beschwingt davon – – – (aus „Der Weg nach unten“ in ‚Die Republik’ 34-40). Also müssen es wohl die Übergangsphasen zwischen den beiden Stadien sein, die mich versöhnen. Wenn das richtige Gleichgewicht erreicht ist. Nämlich dann, wenn das eine nicht mehr ist, und das andere noch nicht da. Klingt zwar plausibel, hat aber seine Haken, weil das ja im Grunde ein Agieren meint, das darauf abzielt, etwas nicht mehr so sein zu lassen, wie es ist. Ich sehe aber kein Agieren, sondern eher ein Passieren. Im Italienischen kann ein „was passiert?“ mit einem „che succede?“ ausgedrückt werden, wo „succedere“ ein Aufeinanderfolgen: „Was folgt dir auf?“ Und nun? Darüber nachzudenken, habe ich heute der Arbeit doch etwas an Zeit gestohlen. Ist aber so. Die nächsten beiden Tage will ich wieder ganz Außenwelt sein. Es steht einiges auf dem Programm.