5.04 Uhr:
(…)so würde ich an einigen Stellen (die genau zu detaillieren wären) bewusst das Versmass brechen, um der Gefahr des Altertümelns zu entgehen. Sie sind über weite Passagen ganz heutig in der Sprache; und nur durch die strenge Form (die mir SEHR zusagt), gleitet das ab und an unnötig ab. (…)
So schreibt mir >>>> der Turmsegler. Möglicherweise stimmt das hie und da – wir stehn im Dialog -, wichtiger aber ist seine Bemerkung wahrscheinlich für die BAMBERGER ELEGIEN; das wurde mir gestern, nachdem ich des Turmseglers Post nicht aus den Ohren verlor, zunehmend klar und entspricht ja auch einem Gefühl, das ich selbst, noch als ich an der ersten (wie ich dachte, bereits strengen, aber tatsächlich noch „freieren“) Fassung schrieb. Ich diskutierte das vor einem Jahr auch mit Freunden aus. Nun komme ich, bei der Überarbeitung der Sechsten, abermals darauf, „Inseln“ ins hexametrische Gebilde einfügen zu müssen, es zwar, vielleicht, beim Sechsfuß zu belassen (neu: in die Hexameter der Sechsten habe ich jetzt >>>> eine Zwischenpassage bewußt p e n tametrisch eingeschoben; der Link wird später funktionieren, nachher; erst will ich im Fluß weiterarbeiten), aber nicht unbedingt immer den Daktylus zu beachten, sondern den klassischen Hexameter sozusagen „umzuschreiben“… nicht überall, aber dort, wo die vom Turmsegler sogenannte Gefahr des Altertümelns allzu offenbar wird. Das hat auch einen strategischen Grund: Meine Arbeiten polarisieren ja eh immer, ja führen nicht selten zu Gegnerschaften. Das muß ich ja nicht füttern, indem ich die Abwehr allzu leicht mache.
Wiederum >>>> Dielmann, dem ich des Turmseglers Brief diskussionshalber weitergeleitet habe:
(…)Ich meine, die Brechungen sind letztlich Geschmackssache, nichts Entscheidendes. Tendenziell würde ich auch zu gelegentlichen Brechungen tendieren, aber an allen Stellen, da das eventuell angezeigt wäre, geht es auch prima ohne, und da halte ich dann ohne solche Eingriffe vorzugehen für spannender, eben WEIL es mehr wagt, den Spagat zum Alten aufzieht und riskiert. (…)
Gestern am Nachmittag, nach der Zeugnisausgabe, war keines wirklichen Arbeitens mehr. Ich mußte mich schützend kümmern, es war dringend. Aber die Früharbeit hatte die mindest-1-Seiten-Vorgabe schon erfüllt, wenn ich anders auch sicher über den Tag auf z w e i Seiten gekommen wäre. Außerdem muß ich ab heute unbedingt meinen >>>> Auftritt in Augsburg vorbereiten, der am Freitag im Rahmen von Ostermeiers abc-Brecht-Festival stattfinden wird. Noch habe ich keine Ahnung, was ich da eigentlich lesen soll. Wahrscheinlich werde ich – kommentarlos – aus der letzten Fassung von MEERE lesen, mich aber expressis verbis n i c h t mehr zu Buchverboten äußern.
8.24 Uhr:
[Wagner, Tristan (Carlos Kleiber).]
Etwas Korrespondenz neben der Überarbeitung her.. ein Freund hat an die Hausverwaltung der Arbeitswohnung 500 Euro geschickt, die wußten das Geld nicht zuzuordnen, ahnten aber, riefen mich an… da ist e i n e Sorge schon mal weniger für drei Monate… und was mich n o c h sehr beunruhigte, viel „eigentlicher“: was bei *** als möglicher Lungenkrebs diagnostiziert war, hat sich nun als Narbe einer geheilten Lungenentzündung herausgestellt; so bleibt mir dieser Mann, der mir seit langem eine Art Vater ist, noch erhalten…
Heute hör ich den Tristan beim Arbeiten g a n z; er liebt ihn so wie ich; mal sehen, ob sich das mit der rhythmischen Arbeit nicht d o c h verträgt… das Pathos jedenfalls ist vom Gleichen. Was für einige sicherlich w i e d e r gegen mich spricht. Immerhin hab ich Ernst Bloch auf meiner Seite.
12.35 Uhr:
„… unbewußt … höchste Lust…“ – mit welch heiligem Wahn muß er das gedichtet, das komponiert haben, in welchem Rausch… und wie nicht nur schwebend, nein zärtlich Kleiber die Violinen ihre letzten Takte ausklingen läßt… wobei d a s hier plötzlich stört, weil es retorisch ist und ganz unnötig-genial in Tönen bebildert, wie der Vorhang fällt (das sieht man ja, da muß man nicht noch musikalisch verdoppeln):BAMBERGER ELEGIEN: Ich hab mich zäh bis zur TS-Seite 39 im Hexameter-Arbeitsblatt weitergekämpft, brauch jetzt dringend meine Stunde Schlaf.
23 Uhr:
[Am Terrarium.]
Viel war an poetischer Arbeit nachmittags nicht mehr; ging nicht; Familiäres/Familienbezognes war zu erledigen; jedenfalls war ich bis vor etwa zwei Stunden ständig auf Achse. Und nun geh ich schlafen, um morgen früh frisch zu sein.
Gute Nacht, Leser.