18.14
Sogar Sollübererfüllung heute: 21.000 statt 20.000 Zeichen Übersetzung. Sowas hinterläßt aber, besonders bei einem Bilanzbericht, eine übervolle Leere. Nein, stimmt nicht. Es steht da doch immer noch Vergangenes ins noch Bewußte und treibt Spiegelblätter vorm inneren Fenster. Früher… früher! Da hatte ich dieses Gefühl: bloß Arbeiten und Frau und Haus und Hund und Katze und sonst nichts. Möglichst auch dort Sollüberfüllung. Ich vergaß einen Moment lang, daß ich jetzt den ganzen Abend vor mir habe. Kein Film drängt, da kein TV. Kein Fußballspiel, da kein Interesse mehr. Mein Abendessen ist auch schon zubereitet. Das steht jetzt auf dem Tisch, damit sich im Öl die verschiedenen Geschmacksrichtungen der Zutaten durchdringen können: Hering (von der salzigen Räuchersorte), Tomaten, Honigmelone, Zwiebel (ne ganze Schalotte) und Pfeffer. Keine Ahnung, wie das schmecken wird. Sieht aber hübsch aus, so rot und kräftig gelb mit Silbereinlagen. Ich hab’s zwar fotografisch festgehalten, aber meine Beschreibung reicht eigentlich. Es geht jetzt einfach die Schreiberei los. Wie ich das neulich mal in einer Mail nannte. Was nichts anderes heißt als: Jetzt komm’ ich zu mir. Und bin tatsächlich „chez moi“, zu Hause (bei mir). Sicher, auch „chez nous“ hat dieselbe Bedeutung, aber bei uns war sie „wir“, und ich bloß „ich“, selbst wenn es um die Arbeit ging, die meine. Aber das alles wird mich lange noch begleiten. Es geht wohl nicht anders. Das Gedächtnis funktioniert blendend. Die die Arbeit begleitende und erträglich machende Lektüre tut ihr übriges: die Bedeutung des Sich-Erinnerns bei Ungaretti (heute waren’s die Rezensionen (naja, enttäuschte mich ja sehr, die Vollenweider mit ihrem Schmäh-Vokabular für Celan, nur ein Beispiel: er bildet mit Bindestrichen versehene Komposita [unerhört] wie »Raubtier-Barmherzigkeit« für »wilde Barmherzigkeit«, »Ohne-Schlaf« für »Schlaflosigkeit« und übersetzt die Verse »Ogni attimo sorpresa / Nel sapere che ancora siamo in vita« – jeder Augenblick eine Überraschung, / zu wissen, daß wir noch am Leben sind – mit den kaum verständlichen Bildungen: »das Noch-am-Leben-Sein als Überraschung / das Immer-und-immer-Dahin des Lebens«. Monströser [monströser] ist nur noch »das Sich-zum-trunkenen-Bach-hin-Murmeln« für »il sussurio sino all’ebbro rivo« – das Murmeln zum trunkenen Bach hin.) und das Nachwort zu Celans Ungaretti-Übersetzungen), von dem ich die Celan-Übersetzungen gelesen hatte. Und noch zur Vollenweider-Rezension (jetzt der Parenthese enthoben): die Besserwisser-Haltung ist und bleibt eine Besserwisser-Haltung. Mir selbst gibt dieses bewußte, dem Originaltext sich stellende und dann sich selbst einbringende Übersetzungsverhalten einiges zu denken. Ich fürchte eine solche Haltung könnte mir mit dem Hölderlin neulich gelungen sein, wo ich ja nicht übersetzt habe. Jeder Philologe würde da mit dem Rotstift herangehen. Gut, wir sind „chez moi“.
sch*** auf philologen…
Es gibt Ausnahmen (die der Regel keinen Abbruch tun, aber doch hervorgehoben werden sollten), nämlich da, wo Philologie tatsächlich mit Liebe zum Text (zum Wort) umgeht. Beispiel: D.E. Sattler und die von ihm herausgegebenen Sämtlichen Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge Friedrich Hölderlins. Da bin ihm Freund, dem Philologen, da wo er seines Amtes waltet.
das war auch ganz ‚chez moi‘ gesagt…