5.20 Uhr:
[Arbeitswohnung und latte macchiato.]
Nun also wieder hier; die so aufgeräumte, geputzte Wohnung empfing mich freundlich-meditativ, nachdem ich gestern abend tief erschöpft bei der Familie eingeschlafen war; plötzlich eine, wie man sagt, bleierne Müdigkeit, die andere als innere, psychische, Gründe nicht haben kann. Ich mußte wiederholt an den Brief einer Leserin denken, die mir zum Komplex der >>>> Versöhnung schrieb, es sei ja eben ein Irrtum anzunehmen, daß es um eine Aussöhnung unter Erwachsenen mit erwachsener Rationalität gehe, die begreifen könne; vielmehr müßten sich die inneren Instanzen versöhnen, in einem selbst, das innere (wie ich gern sage: gespeicherte) Kind-Ich mit dem inneren Mutter-, bzw. Vater-Ich; dies ist ein emotionaler Vorgang, auf den das von Gründen bestimmte Bewußtsein rational kaum Zugriff hat, wohl aber hat es das von den rationalen Gründen derart ergriffene Unbewußte, daß es fühle: Die Emotion fängt dann mit den gefühlten Instanzen zu kommunizieren an. Deshalb sind in solchen Fällen Tränen aus Trauer immer weiterführend als jede analytische Offenlegung realer, bzw. real gewirkter, Zusammenhänge. Erst wenn ein objektiver Zwang, unter dessen Einfluß sich eine Dynamik vollzogen hat, deutlich wird und das Leiden an ihm nicht nur ausgesprochen, sondern über Geste, Blick, Berührung beglaubigt, kann übers emphatische Vermögen, das wir Menschen, jedenfalls im allgemeinen, haben, Verwundung nachempfunden und damit die eigene Verwundung geschlossen werden. Vielleicht ist dies nicht der tiefere, nein der eigentliche Sinn des christlichen Konzeptes des Mitleids.
So beginne ich meinen Morgen. Es wird mal wieder ein Kampftag. Zwar will ich heute früh die Bearbeitung der Elften Bamberger Elegie neu aufnehmen, aber dann gleich sind schon Briefe zu schreiben, ist zu handeln: Es gibt hier immer noch keine neuere Meldung von freenet, bzw. Strato, so daß ich heute die fristlose Kündigung schreiben werde und mich dann um eine Alternative für den hiesigen, noch immer nicht funktionierenden DSL-Anschluß kümmern muß; desgleichen für die ehemalige Väter-WG, in der Katanga ebenfalls immer noch ohne DSL hockt; dort ist Stratos DSL immer noch, trotz vielerlei anderer Zusicherung, abgestellt; man hat sogar noch eine Mahnung für die Folgerechnung geschickt. Auch da ist fristlos zu kündigen und nach einer Alternative zu sehen, die ohne die Telekom auskommt.
Dann sind die letzten >>>> Gedicht-Heftchen an jene Mäzene zu verschicken, die bislang noch keines bekommen haben. Und ich will in einem vorletzten Gang über die AEOLIA gehen, die ich ja morgen auf der Vernissage in Bielefeld erstmals öffentlich vortragen werde. Ich hoffe noch immer, daß der Profi mitkommen will; er würde auch gerne, aber liege, sagte er gestern abend am Mobilchen, unter solchen Bergen von Arbeit, daß er kaum Luft bekomme und eigentlich die Zeit nicht erübrigen könne. Wir hatten uns gestern eigentlich noch treffen wollen, aber mir waren schon beim späten Abendessen die Lider dauernd runtergefallen, so daß ich absagte und auf heute abend verschob.
Die T-mobile-Rechnung für den vergangenen Monat ist gekommen, deretwegen ich einigermaßen bangte, da ich doch wegen des DSL-Probleme nicht wenige Tage über GPRS ins Netz gegangen war; aber sie ist erträglich, will sagen handhabbar, was mich nun ziemlich beruhigt.
Guten Morgen, Leser.
6.25 Uhr:
Ich habe mich wegen der Elften für eine Grundmusik entschieden – ungewöhnlich für die Elegien, deren Rhythmik doch zeitgleichem Musikhören, oder ein solches ihnen, zuwiderläuft. Schließlich entschied ich mich für die Britten-Suiten für Violoncello solo und nicht für, was sehr denkbar gewesen wäre, Dallapiccolas Ciaconna; wahrscheinlich, weil Brittens Homosexualität das weibliche Fluidum verstärkt, das ein Cello immer im Klang hat – und schon, siehe Man Ray, als Leib -; so ist wiederum das gute Cellospiel ein männliches auf dem weiblichen Körper, über den von der Stirn über Brust und Taille und Bauch die Saiten bis ans Zentrum des Geschlechtes gespannt sind. So muß man das eben auch sehen; Brittens Komposition ist wiederum und eben ein Weibliches, von dem ich mir nun imaginiere, ein s e h r männlicher Cellist brächte es zum Klingen – oder wollte es bringen lassen, doch kann’s nicht, wiel ihn selbst die Melancholie des Spätjahres nicht ergriffen, sondern sich als Decke über ihn gelegt hat – was ein schönes Bild insofern ist, als es das Dunkle der mütterlichen Um- und ÜberWölbung aufnimmt, die ja eine ganz Begriff-lose, ungeschiedene ist – wenn ich diesen Ton in die Elegie hineinbekomme, bin ich da, wo ich mit ihr sein möchte. Jedenfalls höre ich nun nacheinander die Britten-Aufnahmen mit Alexander Baille und Rostropovitsch, die mir UF geschickt hat. Was sich jetzt als ein Segen erweist.
Wahrscheinlich werde ich dem kurzen Hausacher Computer-Desaster eines Tages dankbar sein müssen, weil es die bisherige Bearbeitung des Textes, getragen von solcher Umsicht, verschwinden ließ.