Paul Reichenbachs Mittwoch, der 15. August 2007. Zweifel.Notizen.

„Unser Erdenwandel ist ein verwickeltes System von zwangsläufigen Ablenkungen. Ohne zu wissen, in Zerstreutheit des Gemüts und der Nerven, sagen wir B, nur weil wir A gesagt haben… und merken zum Ende erschüttert, dass ein ganz anderer Text gültig dasteht als der, den wir leben wollten.
(Aus: Alfred Polgar, Der zerstreute Professor.)

Ein aktuelles Beispiel. Am 30. August soll ich, muss ich ein Co-Referat über die „Bibel in gerechter Sprache“ halten. Irgendwann kriegte jemand mit, dass ich mich da auskenne und hielt meine missverständlich skeptische Miene für Totalablehnung dieser Bibelbearbeitung. Er raffte einfach nicht, dass ich nicht aus philologischen und theologischen Gründen skeptisch gegenüber dieser Arbeit bin. Da fehlt mir auch die Sachkenntnis. Was mich, nach anfänglicher Begeisterung, skeptisch macht, sind die möglichen politischen Folgen. Die Herausgeber der Neubearbeitung hatten folgende Ziele, die sie auch öffentlich nannten:

Sie wollten den christlichen Text von seinem im Lauf der Geschichte entstandenen Antijudaismus befreien.

Sie wollten den Gottesbegriff entpatriarchalisieren.

Und sie wollten die Texte einem modernen Sprachverständnis anpassen,
indem sie kritisch, gleichsam hermeneutisch den Zeiten nachspüren, in denen diese Texte verfasst oder redaktionell bearbeitet wurden.

Das ist ihnen in vielen Fällen gelungen, meine ich. Mit möglichen Folgen, die sie garantiert nicht beabsichtigt haben. Eine gut gemeinte political correctness geht da nach hinten los. Der antijudaistische Kern im Christenturm, einer der wesentlichen Wurzeln des Antisemitismus, wird in dieser Bibel verschleiert. Das Christentum, genauer der Protestantismus, entledigt sich damit seiner historischen Verantwortung für den Holocaust auf philosemitische Weise und findet dazu auch durchaus genügend philologische Gründe, die eindrucksvoll serviert werden, und den Protestantismus vom lutherischen Antisemitismus entlasten sollen. Ähnlich verhält es sich mit den feministischen Attributen, hier opfern die AutorInnnen, einen im Protestantismus gewachsenen relativ strengen Monotheismus, den männlichen Gottesbegriff auf dem Altar der Allgeschlechtlichkeit bzw. Feminisierung . Und öffnen damit einen modernen Polytheismus, der so modern nicht ist, erinnert man sich an den Marienkult des Katholizismus, die esoterischen Tore. Der Geist der Aufklärung entsprang nicht von ungefähr auch protestantischen Sektierern, und wird in dieser neuen Bibelübersetzung, die die Gleichstellung von Mann und Frau im Christentum im Auge hat (ein hehres Ziel sicherlich!) verwischt. Auch dies, das unterstelle ich einmal, ist ohne Absicht geschehn. Bedenklich ist vor allem die aktuelle Auseinandersetzung deswegen, weil konservative Kräfte, die noch im vergangenen Jahr still diese Arbeit schluckten, Medien, wie FAZ u.a. feierten sie gerade zu, auf den Plan treten, die anderes vorhaben, als nur Luther zu retten. Seit geraumer Zeit wird gegen diese Übersetzung von eben diesen Medien recht massiv gegen die „Bibel in gerechter Sprache“ argumentiert. Hintergründig diktiert wird das Ganze, meine ich, von der Angst vor dem Islam. Wieder einmal, und damit komm ich auf Polgars Professor zurück, gerate ich zwischen Fronten, die ich mir nicht ausgesucht habe.

2 thoughts on “Paul Reichenbachs Mittwoch, der 15. August 2007. Zweifel.Notizen.

  1. D i e s e Diskussion, lieber Reichenbach, gehört auf die Hauptseite Der Dschungel. Und da habe ich sie jetzt, Ihr Einverständnis voraussetzend, auch hingestellt.

    Es wird das Christentum nicht „gerettet“, sondern die Aufarbeitung von Geschichte verfälscht, und zwar b e w u ß t. Man will die Schuld am Holocaust d e f i n i e r en, in Zusammenhänge nämlich, die das Christentum „retten“ und den Hitlerfaschismus letztlich eine reine Erscheinung materieller Interessen sein lassen; er wird dann n u r noch im „Spiel“feld der Ökonomie gesehen, nicht aber mehr im Hof einer kulturell verinnerlichten Ideengeschichte. Ich empfinde das nicht als verständlich, sondern als skandalös – und wundere mich, daß von jüdischer, wenigstens aber israelischer Seite aus meines Wissens gar kein Protest kam. Als bedeutete Versöhnung etwas quasi gemeinschaftlich s o hinzustellen, als wäre es nicht gewesen, und n i c h t, sich zu versöhnen, obwohl – was doch die einzige Möglichkeit einer Versöhnung wäre. Durch Unternehmen wie diese Bibel-„Reinigung“ wird Versöhnung im Gegenteil nachgerade unmöglich gemacht und Schuld ins Unbewußte verdrängt… der Sklandal ist, daß man das bewußt unternimmt und nicht etwa unbewußt aus einem Leidensdruck, der psychodynamisch zur Abwehr durch Verdrängung führt. Hier ist Verdrängung politisches Kalkül.

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