4.58 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Gleich wird die Pavoni für den latte macchiato zischen.
Bin wunderbar pünktlich hochgekommen um 4.30 Uhr, gleich hierhergeradelt, hab schon die Fahnen ausge… ah… Moment…
(… sò, dampft) …-breitet und nun bis etwa 8.45 Uhr Früharbeitszeit; danach geht’s wieder hinüber, da mein Junge heute den ersten Schultag seines dritten Klassenjahres hat und wir Eltern ihn hinbringen möchten.
Es ist, bis auf das leise Rauschen, das vom Kühlschrank herüberraunt, nahezu völlig still heute morgen. Wie ganz fern zieht eine S-Bahn… Dies hier stell ich, weil ich hier immer noch nur übers Mobilchen Netzzugang habe, mir das aber dauerhaft zu teuer wird, erst später, vom Terrarium aus wieder, ein.
Der erste Cigarillo des morgens.
8.12 Uhr:
Fahnenkorrekturen abgeschlossen. Also mach ich für die Frühe Schluß und radle heim. Zähne muß ich noch putzen.
Wenn ich zurücksein werde, schreib ich noch einen Brief mit ein paar Korrekturanmerkungen an >>>> dielmann, dann geht’s zur Post; und dann nehme ich die BAMBERGER ELEGIEN wieder auf, fang ich mit der Durch-Hexametrisierung der Zwölften, der Vater-Elegie, an. Was nach diesem Roman geradezu ungeheuerlich paßt.
11.45 Uhr:
[Schostakovitsch, Streichquartett fis-moll.]
Zurück. Sehr langes Telefonat mit Dielmann geführt; Kleinigkeiten noch in den Korrekturen, aber vor allem: wo Lesungen, wie Werbung, wie, insgesamt, die Kommunikation des Romans aussehen muß. Mir kam sogar die Heidenreich-Idee, die ich selbst gleich wieder, und Dielmann sowieso, abwinkte. Tatsache ist offenbar, wie schon die dtv-Lektorin mir vor ein paar Tagen klagte, daß ordnerweise gute Rezensionen einlaufen können, ohne daß das irgend einen Effekt auf den Verkauf eines Buches hätte – es sei denn, die Rezensionen blasen alle zugleich ins selbe Horn. Nicht mal mehr die „Brigitte“ scheint was zu bringen; als Kommunikator eines Buches steht letztlich Heidenreich alleine da; ansonsten bestimmt die Verkaufsstrategie der Groß-Ketten-Buchhändler Hugendubel/Weltbild und Thalia das Geschehen am Markt, sowie noch im Rheinland die Mayersche. Weitere, nicht-subventionierte Optionen gibt es anscheinend nicht mehr. Imgrunde zeichnet sich deutlich ab, daß alles, was außerhalb der gehypten Bestseller – seien sie große Literatur, seien sie es nicht – noch Bestand haben will, Vertriebswege jenseits des normalen Buchhandels finden muß. Ich diskutiere mit Dielmann die Idee eines ANH-online-Shops; der darf sich, soll er sich einigermaßen tragen, aber nicht nur auf mögliche Buchverkäufe beschränken, sondern müßte Anreize bieten, ihn auch aus anderen Gründen zu besuchen. Wir denken nach.
Ich muß jetzt meinen Brief mit den Korrektur-Anmerkungen schreiben.
21.56 Uhr:
[Am Terrarium.]
An die Elegie bin ich dann doch nicht mehr gekommen; der Brief an Dielmann, dann Familiäres, schließlich allgemein-Administratives, mit dessen Kenntnisnahme ich Sie gar nicht erst nerven will, hielten ab. Also wird es morgen früh wieder losgehen.
Witzig indessen eine lange Interviewanfrage, die mir das Hessische Literaturforum im Mousonturm auf die entsprechende Bitte des Briefstellers nachgesandt hatte, nämlich vom >>>> „Muslim-Markt“. Ich denke, ich werde den Text der Anfrage morgen einstellen und meine Antwort eventuell als Grundlage für einen Aufsatz nutzen. Mir geht da ein wenig was durch den Kopf; offenbar scheint man zu meinen, weil ich mich an manchen Stellen und in einigen Hinsichten f ü r den Islam eingesetzt habe, sei ich entweder bereits zu Gott (Allah) bekehrt oder doch auf bestem Wege, es zu werden. Nichts wäre irriger; denn ebenso, wie mich der Koran interessiert, interessieren mich die Schriften Loyolas, und ebenso lese ich im Talmud. In meiner direkten Handbibliothek stehen auf dem Schreibtisch u.a. folgende Bücher nebeneinander, und ich gebe keinem den Vorzug: Luther-Bibel, Talmud, Koran, Ovids Metamorphosen, Das Buch Mormon, das I Ging, die drei Mythologie-Bücher Ranke-Graves‘, Raoul Schrotts Gilgamesch-Nachdichtung, Calassos Hochzeit von Kadmos und Harmonia, Loyolas Bericht des Pilgers, sowie eine Reihe von Mythologie- und Symbol-Lexika. In meinem Rücken wiederum steht das Wörterbuch des deutschen Aberglaubens. Neben den Religions- und Mythologie-Büchern steht vor allem Negts & Kluges Geschichte und Eigensinn da, sowie Adornos Ästhetische Theorie.
Daß ich wiederum heute ausgerechnet Peter Bamms „An den Küsten des Lichts“ in die Hand bekam, will mir unter diesen Umständen nicht als ein Zufall vorkommen, an den ich ja – als solchen und an sich – ohnedies nicht glaube. Ich werd jetzt noch etwas drin lesen, im Zufall und in den Lichtküsten; danach geh ich schlafen.
Gute Nacht.