5.13 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bis kurz vor 24 Uhr mit dem Profi in >>>> der Bar gesessen, da lag ich dann erst kurz nach halb eins im Bett; um halb fünf pünktlich hoch, brauche ich heute dringendst den Mittagsschlaf; keine Ahnung, w a s der (süditalienische) Barmann in diesen Cocktail getan hat… Eigentlich hatte ich auch, als ich auf den Profi wartete (noch einmal draußen sitzend, weil der Sommer zurückgekehrt war für den Nachmittag und Abend; jetzt freilich, nächstmorgens, regnet es wieder)… hatte ich also dank >>>> moobicent, an die ich einen Brief schreiben will, ob sie nicht mein Werk und Die Dschungel sponsorn wollen, indem sie mir den Zugang spendieren; sie kriegen dafür auch ein „ANH tritt ins Netz durch moobicent“ als Plakettchen auf die Site… hatte, Mensch, wenn krieg ich den Satz zuende?… hatte von der Bar aus das gestrige Arbeitsjournal komplettieren wollen; dann aber stand der Profi schon neben mir, die Zeit hatte gerade fürs >>>> Dts gereicht… Wir unterhielten uns über Gerichtsvollzieher. Dazu paßt heute morgen von UF eine Mail, in der er >>>> Kurt Kluge aus der „Zaubergeige“ zitiert:
„Aber sehn Sie mal, mit den Künstlern ist das doch ein Jammer. Vom Himmel sollen sie uns die Sterne holen, und ihre Steuernummer sollen sie auch im Kopf behalten dabei. Bringen sie nicht, was vor ihrem Schaffen nie dagewesen ist auf Erden, so sind sie Nichtse.“ Ich werd „meinem“ Gerichtsvollzieher vom Finanzamt, wenn er denn dann hier aufgetaucht sein wird, die Reihe meiner Publikationen zeigen (mit den CDs und Anthologien, aber ohne die Zeitschriften, sind es lockre zweieinhalb Meter auf dem Regal) und sagen: „Das lastet so sehr auf dem Rücken unsrer beider Kultur, daß es kein Wunder ist, wenn sie nicht Atem hat, für mich Gelder zu lockern.“ Und dann spiel ich ihm vielleicht den >>>> Pirandello vor. Der Profi meint, ich solle auf keinen Fall das Bett gemacht haben, sondern kruschelig aufgeschlagen lassen, und verknautscht. Aber da halte ich’s wie mit meinen Anzügen: Man muß mir nicht ansehn, daß ich kein Geld hab; im Gegenteil, der Stolz (nicht vor dem Gerichtsvollzieher, sondern vor mir selbst) gebietet, daß mein Erscheinungsbild nicht nur gepflegt, sondern vornehm wirkt, entschieden adlig. Nur finde ich jetzt immer mehr Spuren der Misere an mir: mein schöner dreiteiliger grauer Anzug wird fadenscheinig; „Woher hast du denn das Loch im Hosenboden?“ fragte vorgestern die Geliebte; die Anzüge, teils über zwanzig Jahre alt, verlieren bei aller Pflege irgendwann die Konsistenz; das galoppiert grad quer durch meine Garderobe. Ich nahm es aber gelassen, sortierte die Hose aus und werd nun Weste und Jackett zur Jeans tragen. Wenn man Jeans flickt, hat das was, bei Anzügen wirkt es ärmlich. Was strikt zu vermeiden ist.
Sie werden es bemerkt haben, >>>> hierzu bin ich noch nicht gekommen; immerhin sind die Kommentare bereits herauskopiert und in einer eigenen Datei, aus der heraus ich antworten will, abgespeichert. Mir kam jedoch >>>> dieses, und ich erschrak selbst. Es bleibt aber die Direktive: Im Zweifel für den Text.
Die Dreizehnte ist aufgenommen, daran arbeite ich jetzt gleich weiter. Es geht langsam voran, vieles Frühere gefällt mir nicht mehr, ist noch zu weich, muß ausgestanzt werden und wie Metallplatten gehämmert. Mehrere andere Gedichtansätze kamen mir gestern noch in den Kopf; die Vorstellung, daß ich – in der Überarbeitung von ARGO zur DF – bald wieder Prosa schreiben werde, hat etwas sehr Fernes. >>>> Dielmann ist wieder abgetaucht, keine Antwort auf Mails, niemand nimmt das Telefon ab. Aber immerhin wurde er, ein Quietschvergnügter, auf einer Frankfurtmainer Buchvorstellung gesichtet. Also ist kein Grund, sich Sorgen zu machen. Schön wär’s freilich schon, mal wieder einen Verlag zu haben, der auch Geld schicken kann.
15.28 Uhr:
[Mahler, Siebente; Tennstedt.]
Diese Einspielung – ein Londoner live-Mitschnitt von 1993 – ist enorm. Man höre sich nur die ersten Takte des Endsatzes an. Aus nicht ganz verständlichem Grund hatte >>>> Tennstedt hierzulande nie recht zu angemessenem Ruhm kommen können; anders als in England und vor allem Japan, wo man wußte, wissen wollte, wer er war. Jemand kann so gut sein wie immer er will – ja schlimmer, je besser er ist -: will ihn ein Betrieb nicht, wird man ihn aussondern. Er scheint mir ein ähnlicher Fall wie >>>> Wyn Morris zu sein, den hierzulande auch keiner kennt und dessen hitziger Mahler-Auffassung er nahsteht.
Nach sehr tiefem, ohnmachtartigem Mittagsschlaf erst einmal >>>> daran gegangen; die erste Zeile hängt mir seit über einer Woche unentwegt nach; beim Frühstück bei der Geliebten skizzierte ich den ungefähren Ablauf, dann ließ es mir keine Ruhe, und ich hab das Ding nach dem Schlafen aufgenommen. Der Titel kam zuletzt; ich bin mir nicht sicher, ob er bleiben wird.
Jetzt weiter mit der dreizehnten Elegie. Den Mahler laß ich aber an.
Und zwischendurch immer wieder in Ungaretti gelesen. Es gibt >>>> da ein heftiges Credo, was Dichtung sei:
…daß der Moment, in dem ich mir mit meiner Dichtung kristallklar des eigenen Seins bewußt werde, der entscheidende ist: die poetische Erfahrung ist die Erforschung eines eigenen höllischen Kontinents, und im Vollziehen des poetischen Akts, um welchen Preis auch immer, zeigt und beweist sich das Wissen, daß man nur in der Dichtung Freiheit suchen und finden kann. Höllischer Kontinent habe ich gesagt der ausschließlichen Einsamkeit wegen, die der poetische Akt fordert, der Ungewöhnlichkeit wegen, spüren zu müssen, nicht wie die anderen zu sein, wie ein Verurteilter abseits zu stehn, wie unter der Last einer bestimmten Verantwortung, jener nämlich, ein Geheimnis zu entdecken und es anderen mitzuteilen. Die Dichtung ist Schöpfen vom Grund menschlicher Wesenart, des heutigen Menschen wie auch jenes irrealen Menschen etwa zur Zeit der Vertreibung aus dem Paradies: die Haltung eines wirklichen Dichters beinhaltet das Wissen, aus den Haltungen der unbekannten Vorfahren zu bestehen, und daß es unmöglich ist, sich seiner im Dunkel vergangener Jahrhunderte liegenden Herkunft zu entziehen.
Deshalb >>>> dort „Palimpsest“. Und jetzt, plötzlich, habe ich auch den richtigen Titel. (Zuerst stand nämlich „Das lyrische Ich“ als Titel da.)