5.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Robert HP Platz, Andere Räume. Dazu der erste latte macchiato.]
Ich komme von den Scelsi-Variationen nicht los; nun steht schon die sechste in der TS-Datei, und für weitere habe ich Ideen; etwa für eine, die „rein“ um den Buchstaben „e“ kreisen soll, um „e“ in all einen phonetischen Schattierungen, die in sprachlichem Fall Bedeutungsschattierungen mittransportieren. Das entspricht Scelsis verfahren, seine Kompositionen meditativ oft um nur einen einzigen Ton, oder Klang, anzulegen. Zum Anlaß werd ich wohl „Exzellenz“ nehmen, vielleicht schiebe ich diese jetzige sechste auch weiter nach hinten und verwende „Euer Exzellenz“ als Anlaß und Ausgangspunkt, da in den zwei Wörtern bereits fünf „e“’s enthalten sind. Ja, das werde ich wohl so machen, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, wo diese gestern entstandene sechste dann hinpaßt… wo ich am wenigstens verändern muß, ohne den Fluß des Gedichts zu verändern… ah, schon gleich gefunden. Offenbar tat ich gut daran, diese sechste Variation nicht bereits in Die Dschungel eingestellt zu haben.
Dennoch, ich muß an die Heidelberger Vorlesungen, auch wenn ich den Gedichtfluß höchst ungern unterbreche. Aber es drängt.
Allerdings habe ich gestern beschlossen, tatsächlich nicht auf die Frankfurter Buchmesse zu fahren; es fehlt mir ja sowieso am Fahrgeld – und nur, ohne ein konkretes Interesse dort vertreten zu können, nach Frankfurtmain zu fahren, um mich sehen zu lassen und, wie immer, zu kontaktieren und/oder Kontakte zu pflegen, ist in der jetzigen ökonomischen Situation nicht vertretbar. Obendrein brauche ich dringend die Zeit, und es wären, führe ich, drei für die unmittelbar anstehende Arbeit verlorene Tage.
>>>> Dielmann rief nämlich gestern endlich an und erklärte sein Abtauchen mit Gründen, die hier nicht hingehören, aber schlüssig nachvollziehbar sind. Wir haben das eine Projekt jetzt um einen Monat nach hinten geschoben, und auch die BAMBERGER ELEGIEN werden nun erst, zusammen mit dem Theorieband bei >>>> tisch7, zur Leipziger Buchmesse im März 2008 erscheinen. Das ist wahrscheinlich sowieso vernünftig. Und mir bleibt für die DF der Elegien, die Grundlage des Lektorats werden wird, etwas mehr Zeit.
Briefe an Gläubiger sind heute zu schreiben, ein Brief an eine Vollstreckungsbeamtin ist heute zu schreiben. Letztlich, freilich, sind das alles Reaktionen, die hinausschieben, aber nicht wirklich anhalten. Nur hab ich ja diese Tendenz, an Wunder zu glauben, an plötzliche Umbrüche, an Mutation, statt an Evolution. Das hatte ich immer, und unterm Strich betrachtet, hatte ich ja nicht Unrecht. Hätte ich stets so reagiert, wie man normalerweise reagieren m u ß, wäre mein Werk heute signifikant kleiner.
Zu den Scelsi-Variationen, aber das hab ich Dielmann so noch nicht gesagt: Ich hatte gestern abend die Idee, auch sie in der Aufmachung der >>>> Liebesgedichte herauszubringen und das bei allen Gedichtzyklen zu halten, also irgendwann auch bei den für die Galerie Jesse geschriebenen >>>> AEOLIA-GESÄNGEN, vorausgesetzt, sie erscheinen nicht tatsächlich exklusiv in dem Kunstband. Worüber ich am Sonntag mit Jesses noch einmal sprechen muß, wenn ich sowieso nach Bielefeld fahre, um dort bei einer Veranstaltung aus den Gesängen vorzutragen (ich soll nur eine Viertelstunde lesen; „Anweisung“ des Veranstalters, der sich Sorgen um seine Besucher macht: man dürfe denen nicht zuviel zumuten; no jo, um mit >>>> Buschheuer zu tippen).
So, an die Heidelberger Vorlesung. Nachmittags werd ich meinen Jungen von der Schule abholen und mit ihm zur Kinder-Uni der Humbold-Universität zu fahren; mich erreichte nachts eine Mail seiner Klassenlehrerin, die mir das mit dringender Bildungs- und Herzenswärme nahelegte; ihr selber sei der Termin zu spät bekanntgeworden, sonst wär sie mit der Klasse hingefahren.
Guten Morgen, übrigens.
7.57 Uhr:
[Robert HP Platz, Erstes Streichquartett.]
Bin reingekommen in den Text der Vorlesung. Was aber aufhält, ist die die Suche nach dem genauen Wortlaut eines Poe-Zitates, das mir für die Poetik maßgeblich zu sein scheint und ungefähr so lautet:
Sehr wohl kann es geschehen, daß die Venus am Firmament verschwindet, richtet sich ein allzu gezielter Blick allzu deutlich auf die.
Poe, Murders in the Rue Morgue
Worum es geht, ist die Beschreibung semantischer H ö f e als dem eigentlichen Medium von Dichtung, nicht etwa wäre es die präzise Umsetzung einer Absicht, also nicht Intentionalität. Daß das dennoch ein präzises Verfahren sein kann, ist herauszuarbeiten – also diese Mischung aus Präzision und Inspiration, welche letztere ich einen poetischen Instinkt nennen möchte. Schon um klarzustellen, daß es hier nicht um Esoterik geht, sondern um eine Veranlagung, um etwas, das das Gehirn immer schon weiß, bevor es überhaupt zu arbeiten beginnt.
So durchblättere ich nun die Poe-Seiten, suche aber auch im Netz nach dem englischsprachigen Originaltext.
8.35 Uhr:
[Robert HP Platz, Zweites Streichquartett.]
… – – ach was lieb ich das Netz! Hier ist das Zitat schon (ich hatte es schon früher, aber Skype hüpfte mir mit meiner Mutter dazwischen, die von Tristram Shandy schwärmte, so daß ich, mich >>>> Onkel Tobys erinnernd, aus dem Lachen nicht rauskam):
13.28 Uhr:
[Pfitzner, Violinkonzert.]
Es macht mich immer wieder staunen, wie in einem, wenn man einmal angefangen hat, die Sätze auf-, wie sie aus einem steigen; so jetzt wieder mit der Vorlesung. Plötzlich steht ganz deutlich da, was man sagen, auch, wie man es sagen, will – und es wird immer mehr. Wichtig wird dann schließlich nicht mehr der Inhalt, sondern die Form, die ihn ordnet. Immer d a ist die eigentliche Arbeit, bzw. kann, sofern man über sie verfügt, auch die Form der Katalysator sein, der Inhalte aus ihren Matrices herauslöst.
Einen guten Mittagsschlaf gehabt und, wie Sie sehen, nunmehr die Musikästhetik ziemlich radikal gewechselt, schreib ich mal weiter – und darf diesen Brief an die Vollstreckungsbeamtin nicht vergessen.