5.30 Uhr:
[Arbeitswohnung. Martinủ, Julietta.]
Pünktlich hoch, mein Zeug zusammengesucht und durch die Kälte hergeradelt. Ich will erst noch mal an die Zehnte Scelsi-Variation, bevor ich die Kritik zur Kinderoper schreibe. Fremd, immer wieder fremd, sich selbst im Fernsehen zu sehen……zumal das Team zwar das endgültige Cover der MEERE-Lizenzausgabe bei >>>> dielmann zu sehen bekam, die ab dem 9. November ausgeliefert wird, für die Sendung aber dennoch das von mir gekippte, gar nicht mehr gültige Entwurfscover ins Bild genommen hat. No jo, würde >>>> Buschheuer sagen. Danach noch (nein, nicht nachdem sie das gesagt hat, sondern nach der Sendung) Telefonate mit dem Profi, mit U. und mit UF, der folgendes dazukommentierte: „Mein Chef sagt auch immer: die Recherche macht einem die schönste Story kaputt“, was bedeutet, daß mein bedenklicher Einwand, nun ja, es hätten immerhin zwei Grundrechte einander gegenübergestanden, dem Schnitt zum Opfer fiel; ich denke mir, auch die Kollegen werden nicht so eindeutig reagiert haben, wie das in dem Filmchen herüberkam; daß meine Einlassung, existentielle Bedrohung könne durchaus auch eine Grundbedingung künstlerischen Schaffens sein – um es anzuheizen, um ihm den Wert zu geben usw. -, fand dann logischerweise g a r keinen Raum mehr. Egal. Wenn für den Beitrag auch zu den anderen Autoren immer eigens gereist worden ist, haben die 7 Minuten wahrscheinlich mehr als 10.000 Euro gekostet; U. allerdings wandte ein, sie habe den Beitrag insofern okay gefunden, als er auf sehr einfache Weise für eine Problemlage sensibilisiere, die im allgemeinen Bewußtsein noch gar nicht angekommen sei. Das stimmt möglicherweise, könnte aber auch übersehen, daß ohnedies nur Sensibilisierte das Publikum für ttt sind; d a n n wäre der Beitrag entschieden zu simpel.
Ich kann hier nur wiederholen, daß es sich n i c h t um eine simple Problemlage handelt, sondern daß hier prinzipielle Rechte antinom gegeneinanderstehen, das heißt: unüberbrückbar.Um 9.30 Uhr wird mein >>>> tisch7-Verleger zu einem Gespräch mit mir hiersein; am Donnerstag früh kommt die Verlegerin; es geht mal wieder um meinen Essayband SCHÖNE LITERATUR MUSS GRAUSAM SEIN; vielleicht will man ein weiteres Mal verschieben. Ich seh dem gelassen entgegen, da ich mich sowieso zunehmend aus dem normalen Literaturbetrieb entferne und immer stärker das Netz favorisiere. Wenn noch Bücher erscheinen, ist das prima; eine conditio sine qua non ist das für ein Dichterleben aber nicht mehr.
Um 16 Uhr sitz ich mit Lothar Zagrosek beisammen, um über sein >>>> Gluck-Projekt im Konzerthaus zu sprechen. Selbstverständlich treibt mich da nicht nur ein Interesse, das berichten will. Ich will vorher unbedingt ein paar Fragen formulieren, als Gedächtnisstütze, und ein paar eigene Ideen.
18.18 Uhr:
Das war ein, glaube ich, gutes Gespräch mit >>>> Zagrosek. Ich hoff nur, er sieht es ebenso. Immerhin, wir haben uns für bald einmal zum Kaffee verabredet; er wohnt sozusagen gleich um die Ecke. Näheres erzähle ich aber erst, wenn ich die Aufnahme unseres Gespräches abgetippt und ausgewertet haben werde. Ich gäbe ihm gerne einen erzählerischen Ton.
Danach kurz zur Familie auf den Spielplatz, dann eben gleich hierher, für ein kurzes, ich brauche dringendst eine Dusche. Was mich vorhin etwas doch unwohl fühlen ließ, war, daß ich meinte, leicht vor mich hinzumüffeln: Ich sitz hier ja, weil ständig weit das Oberfenster offen ist und ich mal wieder nicht heize, in drei bis vier Pullovern herum, und wenn ich dann so auch noch Fahrrad fahre… – ach, wie lange her sind die Zeiten, die meinen Dandy-Ruf begründeten: immer im Anzug mit Hemd und Krawatte, gepflegt bis in die Augenbrauen. Das hat alles derart an Bedeutung verloren.
Später am Abend treff ich den Profi. Davor abendliches Beisammensein mit der Familie.
22.59 Uhr:
[Am Terrarium.]
Mochte doch nicht mehr weggehen und hab dem Profi abgesagt. Hier ist die halbe Familie krank, nur die Babies und mich scheint weder der Magen-Darm- noch der andere Grippevirus anzugreifen, momentan. Jedenfalls blieb ich lieber hier, um im Notfall zur Stelle zu sein. Und werde gleich schlafen gehen, das wird den Körper freuen und ihn morgen früh um halb fünf gestärkter aufstehen lassen, als tät ich jetzt noch was. Ich schlaf ja eh immer zu wenig. Morgen früh muß ich aber dann dringend die Kinderopern-Kritik schreiben.
Gute Nacht, Leser.
Der „ttt“-Beitrag war ja insofen eine Verfälschung, weil der Eindruck entstehen muss, dass auch Sie gegen dieses Verbot sind (auch wenn Sie es nicht gesagt haben). Die Schnittechnik (grässlich dieser Requiem-Unterton – es fehlte nur noch, dass jemand die Meinungsfreiheit zu Grabe getragen hätte) suggerierte das.
Wenn man schon Prantl Stellung nehmen lässt, hätte man mindestens auch Jens Jessen zu Wort kommen lassen müssen, der den Fall in der aktuellen ZEIT einermassen nüchtern kommentierte (in der Print-Ausgabe auf Seite 1, merkwürdigerweise nicht online):
Die Kunstfreiheit ist nicht in Gefahr. Das Bundesverfassungsgericht hat, als es das Verbot von Maxim Billers Roman Esra bestätigte, vielleicht eine angreifbare Formel für das Verhältnis von Dichtung und Persönlichkeitsrechten gefunden. Aber die Heftigkeit, mit der das Urteil in den ver-gangenen Tagen kritisiert wurde, führt in die Irre: Die Freiheit beim Verfassen von Roma-nen wurde keineswegs empfindlich eingeschränkt. Später schreibt Jessen: Der Autor hätte nur auf drei, vier Sätze verzichten müssen, mit denen er die Mutter als türkische Trägerin des Alternativen Nobel-preises und die Tochter als Empfängerin des Bundesfilmpreises von 1989 bezeichnet hat. Bundesfilmpreise gibt es jährlich mehrere, aber es gibt nur eine Türkin, die den Alternativen Nobelpreis gewonnen hat. Beide Erwähnungen zusammen ergeben schon eine nahezu redundante Eins-zu-eins-Identifikation der Figuren mit ihren lebenden Vorbildern. Der Roman Esra ist ein gutes Buch und gewiss das beste, was Maxim Biller geschrie-ben hat. Sein Verbot ist ein Unglück für den Autor und seine Leser. Was hätte es künstlerisch gekostet, die Zwangsidentifikation der Figuren zu vermeiden? Nicht das Geringste. Der Autor hätte ihnen ebenso gut andere Preise andichten können.
Da irrt Jens Jessen. Das hätte nämlich n i c h t gereicht. Für den Bekanntenkreis, um den es auch dem BVerfG in seinem Urteil geht, hätte eine so leichte Verstellung – und wahrscheinlich überhaupt keine Verstellung – nicht genügt, um der Kunstfreiheit in diesem Fall das Primat zu geben; es wäre von den Bekannten in jedem Fall erkannt worden, wer gemeint ist. Dies in Verbindung mit dem, ich sag mal, Sexualtabu hätte dann – nach der jetzigen Rechtsprechung – völlig genügt, Esra verbieten zu lassen. – H i e r liegt das Problem.
Insofern wäre es auch wieder vereinfacht zu sagen, ich sei für das Buchverbot. Ich bin zugleich dafür und dagegen, aus je verschiedenen, unvereinbaren Prinzipien heraus gedacht. Wenn Bekannte, die etwas erkennen (oder auch nur, wie formuliert wird, Grund haben, ein erotisches Romangeschehen einer konkreten Person zuzuschreiben), genügen, um ein Buch verbieten zu lassen, dann ist dieses Urteil eine Katastrophe – unabhängig davon, daß es selbstverständlich ebenfalls eine Katastrophe ist, wenn erkannten oder vermeintlich erkannten Personen das Recht abgesprochen wird, die Veröffentlichung ihres Intimlebens abzuwehren. Problematisch zum Dritten ist dieser unzeitgemäße Akzente, der das Erotische zum absoluten Sonderfall macht, d.h. ein Tabu s e t z t.
nein … es ist nicht
das erotische,
es ist das private,
das ein recht hat,
nicht öffentlich
zu werden.
@rostschleifer. Bitte lesen Sie die Urteilsbegründung. Das stimmt nicht, wie Sie es schreiben. So darf etwa, daß jemand Alkoholiker sei, auch bei Kenntlichkeit durchaus geschrieben werden, egal, ob wahr, ob falsch – und es handelt sich hier um eine Krankheit, also um etwas mindestens so Hochpersönliches, wie es das erotische Leben angeblich sein soll. Das Private ist durch das Urteil tatsächlich nur auf das Intimleben definiert worden. Im übrigen w ä r e das Private ja auch überhaupt nicht fixierbar; was für einen privat ist, ist es für den anderen nicht. Ich gebe ein weiteres Mal die prinzipielle Wahrheit des „Das Private ist politisch“ in die Diskussion.
Im Falle Billers, dessen künstlerisches Kalkül, ja dessen ganzer Ansatz gerade im Dokumentarischen besteht, dessen künstlerischer W i l l e auf Wahrheit in der Kunst und eben nicht auf den Schein abzielt, war der Konflikt schon deshalb nicht zu umgehen. In meinem Fall, der ich prinzipiell wie künstlerisch nicht ans Dokumentarische glaube, ist das anders. Ich glaube sogar, mit Kant gesprochen, nicht an die Bedingung der Möglichkeit von Dokumentation. In der Kunst sowieso nicht.