Arbeitsjournal. Freitag, der 7. Dezember 2007.

5.34 Uhr:
[Arbeitswohnung, latte macchiato. Mozart, Così, Karajan London 1954.]
Ausgesprochen intensive Aufnahme aus Covent Garden. Die ersten sechs Szenen hörte ich gestern. Draußen fällt schwerer Regen, im Nachdruck schneeflockenfett; ganz naß kam ich hier an, nachdem das eine Baby übergeben worden und auch etwas Ordnung drüben gemacht worden war. Nachts zuvor, aber nur bis halb zwölf, mit dem Profi zur Lage der Deutschen Oper Berlin Ideen ausgekungelt, die verloren bleiben werden. Insgesamt hat meine Arbeit momenten etwas nicht Unstetes, nein, sie ist unstetig, schweifend, ohne eigentliche Richtung. Man merkt es gut daran, daß ich nun schon seit Tagen kein >>>> DTs mehr protokolliert habe. Für meine Leser, die erst später eingestiegen sind: „Dts“ steht für „Den Tag strukturieren“ und entstammt einer Zeit, in der es mir so mies ging, daß ich alle Arbeitsstrukturen verloren hatte; um mich zu disziplinieren, schrieb ich mir allmorgendlich einen Arbeitsplan vor, an den ich mich dann hielt und den ich nach Erledigung stets Punkt für Punkt abgehakt habe – auch öffentlich, weil das quasi einen Anspruch „von außen“ an mich herantrug, d.h. von Lesern kontrolliert werden konnte; „Schummeleien“ schließen sich bei sowas für mich aus, weil das wäre, als ob ich den für jeden Poeten enorm wichtigen inneren Leser betrügen würde; der innere Leser ist nicht nur der, an den man sich in literarischen Briefen oder bei plötzlichen Ansprachen innerhalb eines Buches wendet („Lieber Leser“), sondern er funktioniert auch quasi wie ein zweites Über-Ich, also als moralische Instanz. Diese öffentliche Strukturierung hat sich ausgesprochen bewährt, sie hält jegliche Arbeitshemmung von einem weg; und nachdem ich die penible Exerzitie von Arbeitserfüllung wieder lockern konnte, behielt ich die Dts‘ als „Arbeitsfortschritts-Protokolle“ bei, wie auch den Namen, der die Ausgangssituation mit guten Günden in der Erinnerung beläßt.
So anal fixiert das wirken mag, tatsächlich haben solche Arbeitsprotokolle auch etwas Leichthändiges und, in freudschem Sinn, Phallisches, insofern man sie in guten Zeiten munter verlassen, aber auch, wirken sich persönliche Umstände wieder einmal arbeitshemmend aus, jederzeit wieder re-institutionalisieren lassen. Für orale Charactere wie mich, die zum Selbst-Verschwimmen neigen, ist das wichtig. Allerdings, nebenbei, mir fällt ein, daß mir einmal eine hochintellektuelle submissive Frau gesagt hat: Alle Dominanten neigen zu Ritualen. D.h., sie haben einen Anteil Zwangscharacter, der sie in der Wiederholung von Formen an der seelischen Existenz hält, sie also definiert. Darüber habe ich bisweilen in meinem Fließen zwischen permanenter Auflösung der Romanfiguren, ihren nahezu infiniten Spiegelungen und den entschiedenen Zielen nachdenken müssen, denen ich in der Arbeit zustrebe und denen ich s i e zustreben lasse. Das Ritual, das in der Dichtung die Form ist, j e d e Form, garantiert, daß einem ein Text nicht lose auseinanderfällt, garantiert die dichte Webung der Faktur; nochmal sexuell ausgedrückt: es garantiert Potenz. Vor allem bei sehr umfangreichen Projekten ist das extrem hilfreich.

[Poetologie.
Produktivitätstheorie.]



Ich werde jetzt die Zweite Heidelberger Vorlesung weiter überarbeiten; der Entwurf steht ja. Dann sind noch ein paar >>>> Werkstatttexte liegengeblieben. Und heute abend geh ich >>>> in die Oper. Das wird, ich bin mir sicher, musikalisch ein Fest; leider schreibe ich diesmal wohl weder fürs Opernnetz (man schweigt mich dort weiterhin an) noch für die Frankfurter Sonntagszeitung; aber ich werde die Aufführung in Der Dschungel rezensieren. Wegen des Opernnetzes werd ich in die Attacke gehen; nur warte ich jetzt erst einmal den zweiten Heidelberger Block ab, bevor ich mir neue Arbeit auf den inneren Atlas wuchte. Sie liegt aber schon bereit, als Konzept; selbst „den Namen“ hab ich mir schon gesichert.
Guten Morgen.

[Von >>>> moobicent gibt’s weiterhin kein UMTS, sondern nur das langsame GPRS. Ich muß da nachher mal anrufen. Immerhin kann ich ins Netz.]

15.07 Uhr:
[Rossini, La Donna del Lago.]
Das hör ich als Vorbereitung für heute abend, die Kritik – ob nun fürs Opernnetz, von dem sich jetzt immerhin der Mitherausgeber gemeldet hat, ob „nur“ für Die Dschungel, ist noch nicht heraus – werd ich morgen früh entwerfen und dann in jedem Fall gleich in Die Dschungel stellen. Je öfter ich nun solche Rezensionen geschrieben habe, um so wichtiger ist es mir geworden, unter den allerersten Stimmen zu sein; seltsam, früher war mir sowas völlig wurscht. Es hat wohl etwas damit zu tun, welche Präsenz ich unterdessen im Netz habe.

Die Vorlesung perfektioniert sich langsam; ich denke, übers Wochenende wird sie ausdruckbereit sein. Da sich >>>> dazu noch niemand gemeldet hat, kann ich den Text fürs Netz – ich will ihn abermals zeitgleich mit der Vorlesung selbst einstellen – auch immer noch am Donnerstag tagsüber bereitmachen, also die Links legen usw. Insofern besteht nicht eigentlich Druck, nur daß die übrigen Arbeiten, etwa die Gedichte, momentan etwas zurückstehen. Aber auch die Werkstatt bindet mich ziemlich.

Vorhin rief >>>> Ricarda Junge kurz an, ob ich auf einen Kaffee… wir nahmen ihn, ich sah sie zum ersten Mal als Mutter und hatte den Reflex, meinerseits zum Kinderwagengriff zu greifen… das hat schon was Komisches. Das verlinkte Buch, übrigens, schätze ich außerordentlich. Besorgen Sie sich’s.
Dann ein Telefonat mit >>>> moobicent, weil mein Modem nach wie vor nur das langsame GPRS empfängt. Es sei eine bundesweite Störung, ich möchte bitte übers Wochenende noch Geduld haben. Und da ich HSDPA, also die superschnelle Verbindung, überhaupt noch nie empfangen habe, möge ich mein Modem doch bitte einschicken, man werde es mir sofort gegen die neueste Version eintauschen. Das ist ein guter Vorschlag, auch wenn er bedeutet, daß ich hier dann rund eine Woche ohne Netz sein werde. Immerhin gibt’s ja Am Terrarium einen schnellen Zugang. Das wird sich also überbrücken lassen. Nach meiner Rückkehr aus Heidelberg am nächsten Wochenende werde ich es angehen. Und nun wieder >>>> Zweite Heidelberger Vorlesung.

Um 16.45 Uhr verschwind ich hier.

23.11 Uhr:
[Am Terrarium.]
Ich komme gerade aus der Oper, erreicht mich über meine Mailbox die Nachricht, daß Karlheinz Stockhausen gestorben ist. Das muß ich jetzt erstmal verdauen. „Ich habe große Traurigkeit.“

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 7. Dezember 2007.

  1. Bundesweite Störung bei moobicent? Bei mir läuft hsdpa (noch) hervorragend! Vielleicht werden Sie aber – wie einige andere User mittlerweile – auf GPRS zwangsweise heruntergetaktet? Informationen hierzu gibt es im Forum von http://www.onlinekosten.de
    Greetz
    Moppelcent

    1. @moppelcent. Ich danke Ihnen für Ihre Hinweise; im Forum hatte ich schon öfter gelesen, dabei die Stirn gerunzelt und gedacht: Na, warten wir mal ab. Nun werd ich am Montag noch einmal eingehend mit moobicent konferieren. Bin gespannt, was man dort sagen wird – zumal diese Beschwerden ja nun nicht mehr nur innerhalt eines, sagen wir mal, schimpfenden Forums auftauchen, sondern nun auf den eingeführten und vielfrequentierten Sites einer literarischen Publikation.

    1. @Mario der Schrauber. Diesen Hinweis bekam ich auch schon einmal von moobicent direkt. Mein Problem ist aber nicht, daß ich mich nicht einwählen kann, sondern der Frequenzempfang. Dennoch danke ich Ihnen; wahrscheinlich werde ich tatsächlich zu mwconn hinüberwechseln; nur muß dazu mein Gerät insgesamt stabil laufen. Und das ist zur Zeit nicht der Fall.

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