Der Traum ist ein zweites Leben, >>>> schreibt Nerval. Niemals drang ich ohne Schauder durch diese Pforten aus Elfenbein oder Horn, die uns von der Welt des Unsichtbaren trennen. Die ersten Augenblicke des Schlafes sind das Bild des Todes; ein betäubender Nebel hüllt unser Denken ein, und wir sind außerstande, mit Sicherheit den Augenblick anzugeben, in dem unser Ich in verwandelter Gestalt das Geschäft seines Daseins fortführt. Bereits in dieser romantischen Spaltungsfantasie ist der Charakter des Traums ausgedehnt wie ein Chat, dem modernsten phantastischen Raum, den wir gegenwärtig im Alltag kennen. Wie dieser sind Traumräume null-dimensional: Wer hineintritt, dessen einer F u ß schon füllt den Kopf. Andererseits, nämlich aufgrund seiner zeitlichen Bestimmungen, ist ein phantastischer Raum potentiell unendlich. Zeit weicht seine Grenzen, die gemeinhin als fest empfunden werden, prozessual auf, ja Raum wird zur zeitlichen Bestimmung an sich. Darin berührt er sich mit realen, auf den ersten Blick nicht-phantastischen Grenzerfahrungen. Jeder, der, selbst hinterm Steuerrad, schon einmal einen nicht ganz ungefährlichen Autounfall erlebt hat, weiß, was gedehnte Zeit bedeutet: Langsam, immer langsamer rutscht man dem Baumstamm entgegen…. ja, je näher dran Du bist, um so stärker scheinen sich die Abläufe zu dehnen. Man könnte annehmen, schließlich erreiche der Kühlergrill die Borke nie, indes doch für den Zeugen am Straßenrand alles innerhalb eines Sekundenbruchteils abgeht: Rutschen, durchdrehende Bremsen, schleudernder Wagen, der irre Krach, die zerspringenden Scheiben, und dann das Blut.
Zweite Heidelberger Vorlesung 5 <<<<