Ganz tief runter: Eugene D’Alberts „Tiefland“ an der Deutschen Oper Berlin.


[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
Dort als „Ungenossen: Tiefland“ im Dezember 2007 erschienen.]


Ein Rauschen erst, ein kurzes Thema dann, das von Janácek hätte sein können, ein Bläser ruft, der abstrahierte, blaue Steilhang hebt sich hinterm sich hebenden Vorhang an: Hochgebirge, ein reiner Tor gibt seiner Freude über die abgeschiedene Welt, worin er Schafe hütet, singend Ausdruck. Das Unheil bricht drin ein, der Junge wird ins Tal mit der Dirne sei­nes Herrn verheiratet, damit der eine gute Partie machen und die Dirne weiterbenutzen kann. Die hörig von ihm abhängt. Ungewöhnlich das leicht revolutionäre Happyend: der Hirt bringt den Landlord um, auf der Bühne liegen tote Wölfe, und der Tor nimmt seine Frau ins Hochgebirge heim.
Das ist Schmonzette, klar, doch hat manch Komponist aus solchen Sujets und ihrem Librettostelz große Musik herausgepreßt. An der Regie lag es aber auch nicht, daß die Premiere von Eugen d’Alberts „Tief­land“ so peinigend mißlang. Im Gegenteil tat Roland Schwab alles, die gröbsten Peinlichkeiten aus dem Weg zu räumen, man kann ihm da nur dankbar sein. Er­holsam abstrahierend stand ihm Hans Dieter Schaals kluges Bühnenbild zur Seite. Das Or­chester, von Yves Abel geleitet, spielte einwandfrei… die Sänger, wirklich, gaben sich jeglich‘ Rettungsmüh… alles jajaja. Nur eben die Musik…
Welch öder Eklektizismus, dessen zwischen Lehar und Schreker, slavi­scher Sentimentalität und teils fanfarigem, teils chorigem Wagner-Bastardismus hin- und her-, ja: suchende Einfallslosigkeiten nicht einmal für einen anständigen Kitsch langen. In den Adern d’Albertscher Musik fließt ziselierte Plörre, nicht ein Blut. Nur selten wird die et­was dicker, etwa zu Beginn des Zweiten Akts. Doch läßt d’Albert das immer gleich zerrinnen; er hat nicht die Kraft, einen Einfall, der sich end­lich mal Gehör verschafft, stringent auch festzuhalten. Deshalb fällt ihm, was an einer Oper so berauschen, was einen durch walkende Themenarbeit derart beuteln und psychische Zu­stände wie äußere Verhängnisse geradezu unmittelbar nachfühlen lassen kann, erbärmlichst auseinander und ergeht sich in „schönen Stellen“. Auch wenn er sie aufzunehmen und wei­terzuentwickeln versucht, bleiben die entscheidenden Inspirationen aus. Darüber täuscht kein Tenorschmettern, kein Orchestertutti hinweg. Man möchte diese Akkorde einfach auseinanderpusten, um den backigen Staub nicht immer noch weiter auf einen draufrieseln zu lassen, schon gar im Forte. Feine Ohren quält es, wenn man sie verklebt. Und doch, und mehr, es quält auch das Gefühl, daß nicht der große tschechische Außenseiter, daß nicht Janácek nicht diese Handvoll Themen hergenommen, ja aus den Motiven Themen überhaupt erst gemacht hat. Hätte sich nicht, überhaupt, die Deutsche Oper für ein anderes Stück entscheiden können? Als wäre die Literatur an selten Gespieltem nicht überreich, das der Annahme durchs Hörerherz mit hoher Künste Recht noch immer und vergeblich harrt, ob Edgar, ob nun Sly, ob Massimila Doni.
Und wie hilflos man dasitzt, wenn nach dem Fall des Vorhangs der prallevolle Saal donnernd losjubelt, als hätt er noch nie einen Verdi, noch niemals… ja, eben, Janácek gehört und nicht einen knappen Monat zuvor die wirkliche Entdeckung des Hauses: Vittorio Gnecchis Cas­sandra. Leute, was habt ihr gehört? Wie hilflos aber auch, und besonders, als sich in einer Lawine von Buhs ein Unwille über den Regisseur erbricht, der nun gerade derjenige war, mit engagiertester Hilfe von Sängern und Orchester die leere Musik ein wenig um Gedanken aufzuadeln. Doch nein, es will das Publikum den schönen Rauch von Schall und Klang.

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