Muster & Allegorie. Dritte Heidelberger Vorlesung (2). Aus den Skizzen der Fortsetzung.

Deshalb habe ich in meiner zweiten Vorlesung gesagt, die phantastische Literatur nehme die Aufklärung zurück; sie ist der Narr, der dem siegreichen Feldherrn im Triumphzug vorherläuft und ihn mit Gründen verspottet. Insofern keine andere Literatur so sehr Sprache der Seele ist wie die phantastische, steht sie neben den Naturwissenschaften als eine der Säulen zeitgenössischer Ästhetik da; sie auch steht ja deutlich mit am Beginn dessen, was moderne Literatur dann geworden ist. In Teilen kann selbst der Ulisses, da auf der Folie eines alten Mythos geschrieben, der phantastischen Literatur zugerechnet werden; er belebt nachdrücklich die Allegorie und damit die Vorstellung, es gebe ewig währende Muster, die sich durch die Individuen hindurch jetzt im Wortsinn: realisieren. Darüber gibt es keine Freiheit, man wird von dem Muster als Träger erkannt und verwendet. Nur daß der Kybernetische Realismus sich des Umstands bewußt ist, daß es sich bei solchen Mustern nie um identische, sondern eben immer nur um ähnliche handelt, die sich wahrscheinlich von Träger zu Träger wandeln.
Schon hier, wenn Sie diesem Instinkt folgen, wird deutlich, worin sich die personale Konzeption einer neuen narrativen Ästhetik von der dinglich-sachlichen Konzeption des herkömmlichen Realismus unterscheidet: Nach-postmoderne Personen einer Erzählung vereinen in sich den Widerspruch einer personalen und akausalen Gesamtheit (die nämlich nennen wir Autonomie) mit dem Umstand, daß sie Träger von Informationen sind, der Muster nämlich, und als solche sind sie Hüllen. Hätten sie nicht Gefühle und überhaupt ein Innenleben, man müßte sie für leer halten. In einer Erzählung des kybernetischen Realismus begründet sich ihre Existenz – das heißt die Tatsache, daß Leser solche Personen emphatisch mitleben können – nicht länger aus der Annahme von Autonomie, sondern aus den Konflikten, die diese Annahme austrägt, wird sie mit den wirkenden Mustern konfrontiert. Walter Benjamins im Ursprung des Deutschen Trauerspiels entwickeltes Allegorie-Konzept steht nicht grundlos ebenfalls am Beginn der Literarischen Moderne, Seite an Seite mit der Entwicklung des Konzepts des Unbewußten, das von der Phantastischen Kunst sinnlich ausgestaltet wurde (und weiterhin wird). Dazu halten in nahezu derselben Zeit die ökologischen Konzepte Ernst Haeckels in die moderne Wissenschaft Einzug: Konzepte vernetzter Systeme. So alt ist der moderne Begriff der Kybernetik, der seinerseits letztlich einer aus der Antike ist. >>>> Darauf hat einer meiner Leser in einem Dschungel-Kommentar völlig zu recht hingewiesen. Wenn Sie sich allein nur diese drei Momente der modernen theoretischen Erfassung von Wirklichkeit simultan vor Augen führen, wird Ihnen mit fühlbarer Evidenz klarwerden, was ich mit zirkulärem Erzählen meine: daß solche Zirkel eben keine ewigen Wiederkünfte, sondern sich durch die Geschichtszeit weiterbewegende Spiralen sind, die nicht, wie es ein Zirkel täte, an ihrem tatsächlichen Ausgangspunkt wieder ankommen, sondern an einem Ausgangspunkt, der sich irreversibel verändert hat. Kein anderer ästhetischer Ansatz als nunmehr der meine trägt diesem wahren Umstand Rechnung. Und kein anderer ästhetischer Ansatz legt so entschieden sein Veto gegen den Satz ein, letztlich verändere sich gar nichts, und wir lebten, wie Kästner sagt, imgrunde weiter auf den Bäumen. Gerade indem ich etwa auf antike Modelle wie das des Schicksals zurückgreife, dem es sich nicht entkommen läßt, gebe ich der Geschichtlichkeit ihren Stellenwert zurück. Denn dieses Schicksal ist nicht länger eines, das Götter bestimmen, sondern ein selbstbewirktes Bewegtes: Autopoeisis.

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