Arbeitsjournal. Dienstag, der 22. Januar 2008.

5.02 Uhr:
[Arbeitswohnung bei latte macchiato und Morgenzigarette. Mal wieder ein Tuch über dem Kopf, einen Langshawl, Paschmina; nicht wegen Kälte, sondern weil einem so klamm ist…]
…denn ich vergaß zu erzählen, daß nun auch Berlin seinen Monsun kennt… >>>> seit Tagen regnet es, schüttet bisweilen, regnet wieder; gestern früh holte ich mein und meines Jungen Fahrrad vom Hof aus einer weiten, knöcheltiefen Pfütze. Die Innovation hat den Nachteil, daß sie den Winter überfällt, also nicht warm ist; andererseits führt sie eben deshalb eigentlich keine Seuchen mit.
… mir ging durch den Kopf (denn ich beziehe derzeit ein Probeabo der FAZ, von dem ich mir sicher bin, daß ich’s mal wieder zu kündigen vergessen werde), wenn ich morgens die ersten Schlagzeilen lese (die Zeitung kommt immer bereits vor fünf Uhr in der Früh, was ich als einen guten, sehr guten Service empfinde), daß die eigentlich wichtigen Themen der Zeit hier in Der Dschungel nicht oft angesprochen werden, wenngleich ich sie durchaus registriere; etwa, besonders, das gelungene Cloning eines männlichen Embryos aus einer Stammzelle. D a ß ich hier so wenig darüber schreibe, liegt einfach daran, daß solche Themen Themen in meinen Büchern sind, Themen der BAMBERGER ELEGIEN etwa, vor allem aber von ANDERSWELT. Nun führt das allerdings nicht dazu, daß meine Bücher mehr gelesen würden, ich fürchte, es ist eher das Gegenteil der Fall. Was mir ja, außer finanziell, nicht so viel ausmacht, ich schreibe trotzdem über das, was mir wichtig vorkommt (Stammzellenforschung ist ganz sicher wichtiger als irgend ein Achtstundentag; und der Krieg ist es auch); nur fällt mir d a s für Die Dschungel dann oft nicht mehr ein. Soviel zu Redundanzen. Guten Morgen. Die Komische Oper rief gestern noch an wegen des Textes zu >>>> La Bohème. „Wenn Sie eine Karte für Vorstellungen wollen, oder zwei, einfach anrufen, Sie sind jetzt sozusagen Hausautor, da kommen Sie selbstverständlich umsonst hinein.“ Das Gespräch mit der Dramaturgin Frau Auer war dann weniger ereignisreich; als ich ihr sagte, ich fände das, was ich vom neuen Regiekonzept gehört hätte, arg mit der Keule der politischen Correctness geworfen, mochte sie so recht nicht drauf eingehen.
Um halb zwölf gestern frühnachts verschwammen mir die Zeilen vor den Augen, und ich brach die Überarbeitung der Zweiten Elegie darum ab und ging schlafen. Jetzt nehme ich sie wieder auf. Daß mein Sohn daheim jetzt ein Cello und >>>> bei Béla Bartók Unterricht hat, macht mich weiterhin glücklich, auch wenn die Frage der Cellolehrerin an mich immer noch wehtut: „Spielen Sie auch ein Instrument?“ Mein übliches Ich hätte gern darauf, mein aber es ist zu spät, das „Warum?“ deshalb und mein Bekenntnis zu einer Perfektion, die mir nicht mehr erreichbar sei, rein aus Gründen der festgesetzten Motorik; schließlich Ich hätte wahrscheinlich auch gar nicht mehr die Zeit, worauf sie: „Das sagen die meisten Eltern, und es wird wohl d a s sein.“ Es wäre zuviel erzählt gewesen, ihr zu entgegnen: „Wissen Sie, wenn ich ein Instrument spielte, g u t spielte, ich würde wahrscheinlich gar nichts andres mehr tun. Ich würde, ganz sicher, autistisch.“
An die Arbeit. (Wunderbares >>>> UMTS/HSDPA).

5.47 Uhr:
Soeben finde ich die neuen AEOLIA/Stromboli-Fahnen als pdf in der Post. Gleich zwei Fehler beim Scrollen entdeckt; unter anderem fehlt eine ganze Zeile. Das muß ich heute also auch noch durchkorrigieren.

6.10 Uhr:
Anruf aus dem Schwarzwälder Klinikum: Ich möchte bitte g l e i c h kommen… Ich warte jetzt, bis drüben alles wach ist, red mit der Liebsten, dann setz ich mich in den Zug. Den Rest der Woche, ganz sicher, werde ich also nicht hier sein, sondern im Zug und dann drüben arbeiten, so gut, so sehr schlecht es geht. Im Zweifelsfall muß ich die Elegien als Buch noch verschieben. Notfalls Anruf bei >>>> Dielmann, aber erst, wenn es absehbar ist… oder doch vorher, ihn vorbereitend… In etwa einer Stunde ist der Arzt zu sprechen.
So schlecht, wie es steht.

10.43 Uhr:
[ICE Berlin-Offenburg.]Ich habe in einem leeren Abteil Platz und Arbeitsplatz genommen; normalerweise ziehe ich die Großraumwaggons vor; aber es ist voll „draußen“, während die Abteile völlig leer sind: für die Arbeit die allerbeste Voraussetzung. Allerdings, da ich einen bis Offenburg durchgehenden Zug bekommen habe, bedeutet das jetzt eine lange lange Rauchpause; andererseits, ich stell mir halt vor, in einem Flugzeug zu sitzen, da geht es ja auch, und man merkt es kaum.
Noch mehrmals mit den Ärzten telefoniert; die Kranke wird heute nach Offenburg verlegt, direkt in die Onkologie. Ich steig in Offenburg deshalb aus und werd dann erst später am Abend nach Hausach weiterfahren. Kurz vorhin noch bei den Lieben gewesen, mich verabschieden für diese nicht genau zu bestimmende Zeit; vielleicht bin ich in drei Tagen, vielleicht erst in einer Woche zurück. Meinen Jungen noch den halben Schulweg begleitet. Dann in meinem durcheinandrigen Zeug die Patientenverfügung herausgesucht, die mich für den Fall aller Fälle bevollmächtigt. Ich überlege, wenn alles ausgestanden ist, noch einmal bei meinem alten Analytiker eine Stunde zu nehmen; nämlich merke ich, daß ich reagiere, wie in Anspannungssituationen meine Mutter stets reagiert hat: kein Gefühl an sich heranlassen, sondern klar und rein pragmatisch entscheiden und, sofern möglich, handeln. Und zwar auch dann, wenn es hart ist. Oder gerade dann. All das hat etwas von Wiederholung. Abermals: Muster, Strukturen. Die Geliebte, spür ich, trauert mehr als ich, ist zugänglich für Trauer; ich hingegen bin gedrückt zwar, doch ganz auf Verantwortung ausgerichtet, die in diesem Fall Verantwortlichkeit bedeutet.

13.39 Uhr:
[Nach Zugwechsel: ICE Hildesheim-Mannheim.]
Dann auch noch dieses: Triebwerksschaden des ICE-Triebkopfs. Also eine Stunde gestanden in Hildesheim, immerhin eine halbe Zigarette auf dem Bahnsteig geraucht; dann kam die Meldung, der Schaden sei nicht reparabel; man möchte in einen anderen ICE um- und entsprechend später abermals umsteigen. Das betrifft nun auch mich. Ein Segen dies UMTS-unterwegs: Den Anschlußzug weiß ich nun bereits über http://bahn.de und werde statt um halb fünf nunmehr um halb sechs in Offenburg sein.
Mit dort auch noch telefoniert zwischendurch; eine Freundin wacht bei der Kranken, bis ich dasein werde.
Schwer, sich zu konzentrieren. Dennoch, ich arbeite.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 22. Januar 2008.

  1. Ungewissheit „Es ist ungewiss, wo uns der Tod erwartet; erwarten wir ihn also allenthalben! Sinnen auf den Tod ist Sinnen auf Freiheit. Wer sterben gelernt hat, versteht das Dienen nicht mehr.“
    (Michel de Montaigne: Essays, »Philosophieren heißt Sterben lernen.«
    Für die kommenden Tage wünsche ich die benötigte Kraft.

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