7.33 Uhr:
[Arbeitswohnung. Atterberg, Cello-Konzert (Janos Starker).]
Daß es Musiken gibt, die ich noch nicht kenne! Dank an UF. Ich d a r f heute ja auch wieder mal hören, weil ich die Überarbeitung der BAMBERGER ELEGIEN beiseitegelegt habe und wenigstens den Text für die Komische Oper schreiben und auch mal wieder etwas rechtzeitig fertigbekommen möchte. Der Titel fiel mir gestern schon ein: „Schaunard vom Prenzlauer Berg“, was ja eine hübsche >>>> Anspielung auf Adolf Endler ist. Also d a s Ding schreibe ich heute, 6000 Zeichen sollen’s werden. Und ich w e i ß, daß in der >>>> Werkstatt neue Texte darauf warten, daß ich sie lese und durchkorrigiere. Verzeihen Sie mir alle bitte; der Tod meiner Mutter hat mich aus den disziplinierten Abläufen herausgeworfen; ich muß sie mir erst wieder zusammensuchen. Vor der Beerdigung nächste Woche wird das wohl noch nichts; mein Junge hat morgen Geburtstag, am Samstag wird mit Schnitzeljagd und seinen Freunden gefeiert (eine reine Männertruppe diesmal); auch das will vorbereitet sein; und es ist ihm sehr wichtig, deshalb auch mir. Und dann, am 8., geht bereits die Spanien-Tournee los.
>>>> Volltext hat bereits auf meinen Brief geantwortet: es sei okay, daß ich die Rezension um eine Ausgabe verschöbe. Von >>>> dielmann hingegen kein Laut. No jo, wie >>>> Buschheuer sagt.
Weshalb ich abermals so spät erst am Schreibtisch sitze? Ich saß lange, sehr lange – manchmal stand ich auch und/oder ging hin und her – bei dem Freund, dessen Junge so furchtbar aus dem Ruder gelaufen ist; wir feierten einen Geburtstag, aber das Wort „feiern“ ist hier ganz falsch. Wir berieten, beratschlagten, es wurde, glaub ich, zwei Uhr, daß ich endlich im Bett lag, die Geliebte weckte und die Babywache übernahm. Und sie hat vergessen, den Wecker zu stellen. Dennoch, ich war ganz einig, als ich von meinem Jungen geweckt wurde und mir die beiden Kleinen rechts und links je im Arm lagen. Es hat sich schon bei unserm jetzt-Achtjährigen als gut erwiesen, die auch körperliche Nähe zu Kindern so lange wie möglich tief aufrechtzuerhalten und die Nächte eben mit ihnen zu teilen. Sie entwickeln dann nämlich ein völlig unkompliziertes, warmes Verhältnis zu ihren Körpern – Leibern möchte ich lieber schreiben, weil das weniger abstrakt klingt. Berührung, Berührung, Berührung. Haut und Haut. D a r i n die Seele, nicht irgendwo in einem Selbst-Ich, das man zerpusten kann. Schaunard vom Prenzlauer Berg: „Es war Winter. Aber das ist schon wahr, daß wir keine richtigen Winter mehr haben. Dennoch, ihr war der Strom abgestellt, und sie fror so. Klopfte nach einer Kerze, weil wir mal wieder feierten nebenan, Rulle, Robbi, Marcel und ich, und ja wenigstens irgendwer dawar, der lebte. Marcel hatte übrigens längst ein Auge auf die kleine Gothic-Lady geworfen; das dann alles so anders kam – wer hat das ahnen können? Und wer konnte die letzte Spritze ahnen, die sie sich setzte?“
Und >>>> diese Diskussion sollte ich als Link an >>>> Menninghaus mailen.
10.12 Uhr:
[Eduard Erdmann, Zweite Sinfonie.]
sublimieren Liebeer Herr Herbst, Sie sind ja ein richtiger Hausmann geworden. Ein treu sorgender Vater dreier Kinder, ein der Geliebten treuer Ehemann… Wo sind all Ihre nächtlichen Streifzüge durch das Netz, Ihre körperlichen Exzesse, die so gepriesenen Geliebten der Nächte??? Alles überwunden im familiengebundenen domestizierten Alltagsdasein??? Waren nicht die nun nicht mehr stattfindenenden Ausschweifungen von Körper und Phantasie existentiell für Ihr Schreiben?? Jetzt nur noch Sublimierung??? Damit sind Sie ja auch viel ruhiger und gelassener geworden, aber auch, mit Verlaub Herr Herbst, sehr viel langweiliger….
Lacht zur Bergfrau. Wenn Sie das meinen und Ihren Schlüssen g l a u b e n…
Warum sollte ich es nicht glauben, es gibt in Ihren Äußerungen nichts mehr, was nur entfernt darauf hinwiese. Auch diese Antwort ist ein beredtes Zeugnisfür die versiegte Quelle, schade…Sie waren nie der Mann des Schweigens, wenn es um Ihre Lust und die Formen ihrer öffentlichen Ver- und Bearbeitung ging. Ist die Enthaltsamkeit etwa ein an die Aufhebung des Veröffentlichtngsverbots geknüpfter Deal? Wie dem auch sei, Auch ein Herbst ist den Herbst seiner Lustentfaltunf gekommen, seis drum….Herr es ist Zeit der Sommer…
Ach Bergfrau, Sie waren lange nicht mehr hier offenbar. Sonst wären Ihnen meine Entscheidung und ihre Gründe bekannt, das Tagebuch von da an einzustellen. Sie befinden sich hier im Arbeitsjournal und eben nicht im Tagebuch, das zu schreiben unterdessen andere unternahmen.
Im übrigen spüre ich natürlich, wie sanft Sie mich zu provozieren versuchen… oder, ja, mich zu versuchen versuchen. Das tun Sie aber nicht. Ich bin diesbezüglich ganz einig mit mir, was nicht bedeutet, ich wäre identisch geworden. *Lächelt.
entsagend edle Einfalt, lächelnd stille Größe Wozu sollte ich zu provozieren, zu versuchen versuchen. Sind Sie in iHrer nunmehr gefundenen Ruhe ganz einig mit sich, ganz in der familiär entsagenden edlen Einfalt und lächelnd stillen Größe
Entsagung
Eins ist, was altergraue Zeiten lehren
Und lehrt die Sonne, die erst heut getagt:
Des Menschen ew´ges Los, es heißt: Entbehren,
Und kein Besitz, als den du dir versagt.
Die Speise, so erquicklich deinem Munde,
Beim frohen Fest genippter Götterwein,
Des Teuren Kuß auf deinem heißen Munde,
Dein wär´s? Sieh zu! ob du vielmehr nicht sein.
Denn der Natur alther notwend´ge Mächte,
Sie hassen, was sich freie Bahnen zieht,
Als vorenthalten ihrem ew´gen Rechte,
Und reißen´s lauernd in ihr Machtgebiet.
All, was du hältst, davon bist du gehalten,
Und wo du herrschest, bist du auch der Knecht.
Es sieht Genuß sich vom Bedarf gespalten,
Und eine Pflicht knüpft sich an jedes Recht.
Nur was du abweist, kann dir wieder kommen.
Was du verschmähst, naht ewig schmeichelnd sich,
Und in dem Abschied, vom Besitz genommen,
Erhältst du dir das einzig deine: Dich!
Grillparzer
So ist der in Ihrer Tagebuchzeit doch so grundlegende Furor leidenschaftlicher Männlichkeit als Antrieb literarischer Arbeit…zur Strecke gebracht vom familiär gereiften Altersmilden….
welch ein Verlust…
Sie lagen nebeneinander wie zwei Felder im Herbst…
Walser
gen Bergfrau. Von „zur Strecke gebracht“ kann sicher nicht so sehr die Rede sein, schon nicht gemessen an der Arbeit. Was haben Sie dagegenzuhalten, von Ihrem offenbar enttäuschten voyeuristischen Interesse einmal abgesehen?
Also die Nennung von Grillparzer wäre wirklich nicht nötig gewesen. Und was soll das alles sagen: dass Herbst im falschen Schoss, dem der Bougeoisie angekommen ist oder will die Bergfrau die Totenrede halten wie weiland der Zitierte für den ollen G ?