… früh um vier war die nacht vorbei. was tat sich?… einen milchkaffee trinken, dass beste mittel, um im sinne der tag-nacht umkehr wieder einschlafen zu können, die balkontür öffnen, eine warme jacke anziehen, dass kissen auf den balkon legen, sich drauf setzen und in die noch ruhende welt lauschen. eine amsel sitzt um die zeit in der kastanie gegenüber und singt ganz allein. nach und nach erwachen dann die anderen beflügelten, bis der kleine wald ganz gestimmt ist. konzerten dieser art lausche ich wirklich gern. achja… die kapuze auf dem kopf nicht vergessen, wenn ich in diesen aufwachenden momenten noch schlafwarm bin, tut mir kälte nicht gut. meine zeitachse ist so früh noch instabil und der körper sehr geöffnet. die kapuze ließ ich auf dem kopf, den kaffee trank ich, die folgende atemmeditation fehlte mir sehr. wir menschen atmen nicht richtig, wir haben es verlernt, so wie wir uns unserer wirklich nötigen körperlichen bewegung berauben, der täglich chronische bewegungsablauf lässt übrigens nicht nur die körperliche bildung einseitig werden.
da saß ich nun bei minus 2 grad auf dem balkon dick eingepackt, und dachte an diesen traum… in dem jemand seinen astralkörper auf reisen geschickt hatte und mir begegnen wollte. es war ein von wachen augenblicken unterbrochener traum, ein ganz normales familienleben fand da statt, aber dieses familienleben war nicht meins, und trotzdem war ich mittendrin. ein bett aus dunklem eisen, koffer, die rumstanden… und ein großes möbelstück aus dunklem holz… er versuchte sich mir zu nähern, konnte aber nicht. er wollte mich berühren, aber das konnte er auch nicht, nicht so, wie er wollte. seine hände waren ganz rauh und hart, er war ganz verzweifelt, weil er die finger nicht gerade machen und wirklich öffnen konnte… er konnte nicht berühren… erst gegen morgen beruhigten sich diese sequenzen, was ich immer noch fühle, ist diese traurigkeit, sie war so eigen.
und das gestrige gespräch mit meiner schwester ging mir noch durch den kopf. sie leitet einen kindergarten, ist ergotherapeutin, und hat in dieser institution eine sogenannte „integrative“ gruppe. in diese kommen kinder, bei denen irgendwann, wenn sich nicht gekümmert wird, „sonderschule“ im lebenlauf geschrieben steht. kinder, denen auf grund des sozialen gefüges, in welches sie geboren werden, schon keine chance auf eine gute entwicklung überhaupt zugestanden wird. alle zwei jahre übernimmt sie eine patenschaft für ein kind. sie freute sich sehr, darüber wollte sie mir auch berichten, dass sie es geschafft hatte, ihrem augenblicklichen patenkind einen normalen schulanfang in einer normalen schule zu ermöglichen. sie hat zwei jahre lang mit diesem jungen trainiert und geübt, die einfachsten körperlichen bewegungen konnte er nicht ausführen. und nun liest er bücher, die mit sätzen und bildern geschichten erzählen, er hat sich also doch noch ganz „normal“ entwickelt, wiewohl die eltern von beginn an der meinung waren, dass ihr kind einer therapie nicht bedurfte.
dieser kindergarten ist in einem wohngebiet, welches als „sozialer brennpunkt“ eingestuft ist. die ergotherapien, die meine schwester mit den kindern macht, werden ihr nicht bezahlt, sie macht das so. hinzu kommt noch eine sehr sensible thematik, zwei drittel der kinder gehören über ihren familienbund dem islam an. aber egal, welcher religion diese kinder dort in dem kindergarten angehören, fragt meine schwester sich oft, was die eltern mit den kindern bis zum eintritt in den kindergarten machen. „die geben die kinder ab, und sagen mir, dass ich mal machen soll, in drei jahren müssten die kids ja schließlich in die schule, was um alles in der welt machen die eltern mit den kindern in diesen ganzen jahren, wenn so ein junge noch nicht einmal dazu in der lage ist, auf dem boden auf dem bauch liegend sich mit seinen ärmchen hochzustemmen, dieses kind wusste überhaupt nicht, dass es diesen bewegungsablauf ausführen kann, bei seinem bruder war es vor vier jahren übrigens die gleiche problematik.“ das die kinder ihre bewegungen nicht koordinieren können, ist ein phänomen, welches durch alle sozialen schichten geht: „wie soll da das gehirn lernen, in gang zu kommen“ sagte sie. „und das schlimme ist, dass die eltern die notwendige therapie nicht wollen, und die stadt sie auch nicht bezahlen kann, aber wir dafür sorge tragen müssen, dass diese kinder irgendwann so weit sind, dass sie in die schule gehen können.“
dann wurde meine schwester ganz leise: „ich weiß jetzt endlich, warum ich diese arbeit mache, aber mir fällt es ganz schwer, dass auszusprechen, weil ich mich so schäme.“ „du schämst dich, weil du etwas erkannt hast?“ „ja, weil ich mir nach diesen ganzen jahren eingestehen muss, dass ich ja selbst aus so einer gebrannten familie komme, dass ich genau in solch ein soziales gefüge geboren wurde, welches ich jetzt in diesen familien hier bei meinen kindern in der gruppe wahrnehme, und ich frage mich, wie haben wir es geschafft, dass aus uns normale menschen geworden sind. weißt du noch, wie oft wir, als wir klein waren, nachts im schlafzeug auf der straße gestanden haben, weil die polizei den randalierenden vater, der ja noch nicht einmal meiner war, nicht beruhigen konnte?, du hast mich immer in den arm genommen, weil ich solche angst hatte.“ „ja, ich hatte euch alle drei im arm, unseren bruder eigentlich mehr auf dem arm, weil der ja noch ein baby war. darüber habe ich auch viele jahre nachgedacht, vielleicht standen diese dinge auf dem lehrzettel unseres lebens, vielleicht war es notwendig, vielleicht sind wir menschen, die nicht anders lernen. im grunde waren unsere eltern die besten lehrer für uns, wenn sie sich nicht so verhalten hätten, wie sie sich uns gegenüber verhalten haben, hätten wir nicht so früh gewusst, was wir in unserem leben nicht wollen, es haben sich in uns eigene wertvorstellungen entwickelt, je älter wir wurden immer mehr mit dem wissen um den hintergrund der eigenen konditionierung. wir wollten alle ziemlich früh nur eines… überleben. dieses überleben wollen empfinde ich als den eigentlichen kampf, man will nicht das tun, was die eltern getan haben, aber die konditionierte prägung, die das eigene innen formt, schafft im umfeld immer wieder die voraussetzungen sich genauso verhalten zu sollen, will man aber genau das nicht, beginnt dieser kampf, manchmal so weit unter der oberfläche, dass man überhaupt nicht merkt, dass er stattfindet, ich sag jetzt aber nicht… freudscher keller dazu.“ „ warum kannst du solche antworten geben, dich hat es doch am schlimmsten erwischt.“ „ob meine kindheit wirklich die schlimmste unserer geschwisterlichen kindheiten war, mag ich nicht beurteilen, jeden von uns haben andere erlebnisse konditioniert. ich brauchte antworten auf meine fragen, und fand sie, wofür ich sehr dankbar bin, abgesehen davon, ist es auch bei mir noch lange nicht ausgestanden, deshalb achte ich sehr darauf, dass ich nicht stagniere, ich beschäftige mich nur mit dingen, die meiner persönlichen entwicklung dienen.“ „ja, das machen wir wohl alle, und unsere kinder haben wir dies auch gelehrt.“ „ja… stimmt, deine nichte ist jetzt mensa-mitglied geworden.“ „wie die mutter, so die tochter.“ „da fällt mir gerade ein zitat unserer großmutter ein.“ „welches, der vielen?“ „denken macht intelligent und leben macht klug“ .… diese worte meiner schwester noch in den ohren, holte mich das schlagen der kirchturmuhr aus meinen gedanken, ich musste mich sputen, es war 05.30 uhr, ich wollte um 07.00 uhr im büro sein.