Arbeitsjournal. Dienstag, der 22. April 2008.

5.19 Uhr:
[Arbeitswohnung.]Wieder zurück. Latte macchiato, Berlioz: L’Enfance du Christ. Aber ich kann heut noch nicht durcharbeiten; es gab, hörte ich gestern abend nach der Heimkehr, mit meinem Jungen ein Schulproblem, das ich nachher gleich auf die Hörner nehmen will. Ich bin nur schon einmal hergefahren, weil ich derart viel Zeug aus Hausach mit hergeschleppt habe, das auch in die Arbeitswohnung sollte, daß ich heute eh zweimal werde radeln müssen. Unter anderem ist jetzt auch das große Akkordeon hier; ich werde heute allerdings vor allem nachholen, was ich am Cello vielleicht bereits wieder verlernt haben werde. Jedenfalls radle ich gleich wieder hinüber und werd meinen Jungen dann gleich zur Schule begleiten, um dieses Ding anzugehen. Dann geht’s hierher, mit dem Cello, zurück, um eine bis anderthalb Stunden zu üben; danach sind meine Pynchon-Notate in eine Datei zu übertragen; ich wurde gestern mit der Lektüre fertig, nachdem ich vorgestern abend in der auseinanderfallenden Wohnung meiner Mutter doch sehr regrediert bin und n i c h t mehr weiterlesen konnte, sondern mir das Fernsehprogramm um die Ohren haute, bis meine Augen nicht mehr konnten. Immerhin war ein trefflicher Wallander dabei. Der Film danach allerdings… na ja. Und morgens, gestern, waren dann lauter Laufwege zu erledigen; die Wohnung soll ja zum Mai leer sein. Was ich noch nicht ganz sehe, aber M i t t e Mai, das ist zu schaffen. Am Freitag fahre ich bereits wieder hin, mit einem geliehenen Kleintransporter, um das Zeug zu holen, das für uns reserviert ist und für den Hamburger Familienteil und für meines umgekommenden Bruders Sohn, der sich tatsächlich als Werbe gemeldet hat, aber erwartete, daß man ihm die Sachen nachhause b r i n g t. „Laß mal die Kirche im Dorf“, sagte ich nur; immerhin nehme ich sein Zeug jetzt nach Berlin mit, von wo er es sch dann herausholen kann. Rein rechtlich ist das alles nicht mein Ding, ich bin ja eigentlich enterbt, aber stehe meiner Mutter im Wort und ziehe die Angelegenheit in ihrem Interesse und Sinn weiter durch. Immerhin haben sich wunderschöne neue Bekanntschaften mit dem anderen Teil der Familie dadurch ergeben; man mag sich und achtet bereits aufeinander.

Gut, und dann ist heute mit der Pynchon-Kritik zu beginnen, ist die Rezension zu entwerfen, sind wenigstens einige Skizzen zu Papier zu bringen. Da es ein Auftrag des >>>> FREITAGs ist, dessen Umsetzung dort erscheinen wird, möchten Sie es mir bitte nachsehen, wenn ich in Der Dschungel erst einmal nichts davon vorpubliziere, weshalb es hier noch weiterhin ein wenig ruhiger als gewöhnlich zugehen wird. Aber erfahrungsgemäß fallen bei solchen Arbeiten zumindest Paralipomena ab oder das eine und andere Notat, das für den Text selbst zu weit führen würde und hier dann eben doch einen Unterschlupf findet. (Jessas, ist >>>> dieses Enfance-Oratorium schön!, und kaum einer kennt es…).

Nachdem ich gestern abend angewuchtet gekommen war und ausgepackt hatte, und als alles dann schlafen gegangen war, ging ich noch mal hinaus auf ein Treffen mit dem Profi. Zur Bar zu fahren, war mir allerdings zu weit; wir sahen uns in An einem schönen Sonntag im August, ich brachte ihm einen alten Buchdruck über Cézanne mit, in dem ich selbst während der Heimfahrt geblättert und gelesen hatte, bevor ich mich an die Abschlußlektüre von Pynchons „Gegen den Tag“ machte, die ich zwei Seiten vor Schluß abbrechen mußte, denn da kam der Zug in Berlin an, und in der S-Bahn und Tram mußte ich meiner Bepackung halber stehen, außerdem kurzperiodig umsteigen, so daß ich da nicht weiterlesen konnte. Das tat ich dann in An einem Sonntag im August an der Theke, und kaum hatte ich selbst, ja, ich, „finis“ unter die letzte Textseite 1596 geschrieben und das Datum hinzugesetzt, tippte der Profi mir von hinten auf die Schulter und fragte: „Ist das Buch für mich?“ Ich werde es ihm im Mai mitgeben, für eine lange Segeltour querüber den Antlantik. „Noch nicht, Lieber, ich muß erst meine Rezension schreiben.“ „Da hast du jetzt ja was vor.“ Und wir fingen Dinge zu bekungeln an, die nicht hier stehen sollten. Weshalb ich ein intrigant vergilbtes Tuch darüberdecke.

Guten Morgen. Kein Dts, abermals nicht, werd ich heute schreiben; es reicht ja voll zu sagen: Nun rezensier mal fein den Pynchon.

21.40 Uhr:
[Am Terrarium, Händel: Orest.]Der Tag entglitt; abgesehen davon, daß ich ein wenig Cello üben konnte, ging alles durcheinander. So kam ich zum Arbeiten kaum und muß nun nachts versuchen, mit der Rezension weiterzumachen. Morgens das Gespräch in der Schule, womit schon einmal die Kontinuität meiner Morgenarbeit gestört wurde; dann ein Anruf aus der Schule: Irgendwelche Rowdies hatten das Rad meines Jungen beschädigt, die Ventile gezogen, die Lichtanlage zerrissen, den Fahrradkorb geklaut. Also zum Fahrradhändler. Mit Müh und Not kamen wir dazu, noch seine Hausaufgaben zu machen und vor allem Cello zu üben; in meiner Abwesenheit hat er nicht genug allein getan, und es war eine ganze Liste von der Cellolehrerin da, was unbedingt geübt werden müsse. Da ich am Wochenende aber nun schon wieder wegen dieser Haushaltsauflösung unterwegs bin, werde ich abermals nicht drauf achten können. Also muß alles in die verbleibenden drei Tage hinein, auch wenn ich übermorgen Abgabetermin für die Pynchon-Rezension habe. Und dann haben die Babies jetzt einen solchen Terz veranstaltet, daß die Geliebte, der es überdies nicht gut geht, völlig verzweifelt war. So hab ich mich um das Zwillingsmädchen gekümmert, das nun endlich auf der Couch auch eingeschlafen ist – nachdem wir eben, sie in eine Decke gehüllt, unten auf der Schönhauser waren, damit ich eine Zigarette rauchen konnte. Sie wehrt sich gegen den Schlaf, wie es nur geht; ist sie in meinem Arm, ist sie ruhig; im Arm der Mama diesmal nicht. Also – ich kenn das bei beiden Babies schon – meine Musik angestellt, Händel, Monteverdi, Bach, sogar Dallapiccola funktioniert, dann werden sie still. Aber es ist eben „meine“ Musik; sie wird hier nicht sehr oft gehört, nur eben drüben in der Arbeitswohnung. Jedenfalls schlafen im Nebenzimmer jetzt die Geliebte und der Zwillingsbub, in seinem (mal wieder völlig chaotischen) Jugendzimmer mein Bub, und im Wohnzimmer sitze ich am Laptop, während das zweite Babychen auf der Couch nun endlich weggenickt ist.
Mal sehen, wie weit ich komme; wenigstens meine Notizen will ich übertragen haben bis zum Schlafengehen. Dann werd ich morgen früh gleich an die Rezension gehen können.

23.53 Uhr:
[Imrat Khan, Raag Basant Mukhari.]
Gerade ferig geworden damit, sämtliche Pynchon-Notizen zu übertragen; teils sind es aber nur Verweise auf den Buchtext, der gegebenenfalls noch abzutippen wäre. Wahrscheinlich wird das in vielen Fällen aber nicht nötig sein. Imgrunde weiß ich ja längst, was ich schreiben will. Doch die Notate und diese Abtipperei dienen der Vergegenwärtigung; ich halte das vor zu schreibenden Rezensionen nahezu immer so; früher habe ich nach j e d e m gelesenen Buch solch eine Notatsammlung angelegt, egal, ob über das Buch zu schreiben war oder nicht. So radikal bin ich heute nicht mehr, das hat aber einzig Zeitgründe.
Das Glas Wein noch austrinken, dann geh ich schlafen.

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