Goa, 23. 12. (2000). Bezüglich meines Europäerseins: Ich kehre zu den Vorstellungen des „einfachen Touristen“ zurück und mag mich fremden Kulturen nicht mehr „anpassen“, d.h. nicht mehr versuchen, sie zu adaptieren. Solche Mimikry ist anmaßend und bodenlos. (Erinnerung an die europäischen – wohl auch deutschen – Frauen, die sich während des letzten Kreuzburger Kultur-der-Nationen-Festzugs auf der Landefläche eines Lasters als Bauchtänzerinnen gerierten. Peinlicheres kann kaum zur Schau gestellt werden). Vielleicht einmal einen Aufsatz darüber schreiben.
die ich eben für die >>>> Pynchon-Kritik zur Hand nahm.]
agent provocateur sie einer Bitte keinen aufsatz, herbst, fragen sie doch erstmal die frauen :
Meinen sie das bauchtanzen wäre kein tanzen ?
Nun es kommt halt irgendwo anders her.
Wie der döner oder der blues.
Das eine tanzt, das andere schmeckt und das andere ist traurig.
Fragen sie denn am ihren pc., wer das programm schrieb ?
Ob der schwarz, gelb, rot oder weiss war ?
Oder diese konsequenz :
Was hat ein drumset ( schiessbude ) in der ernsten musik zu suchen ?
( martin )
oder was macht die elektrogitarre im musikantenstadel
oder in türkischer volksmusik ?
die sopranistin im doom-metal ?
hardcore-music und headbanging in teheran ?
krautwürstel an der copacabana ?
bikinis an der ostsee ?
der chemiker im bioladen ?
der maybach auf dem parkplatz vor dem biotop ?
die latte im macchiato ?
der vogel im käfig ?
der kopf im käfig ?
der käfig auf reise ?
angst ?
Man hätte die latte im giorno lassen sollen ?
Oder sticky fingers reinmachen …
( stones )
das ist die frage.
Ihre argo les ich übrigens echt gern.
@knotscher: „es kommt halt irgendwo anders her“. Das eben glaube ich nicht mehr; diese Meinung ist mir mir zu profan. Selbstverständlich kommen Einflüsse i m m e r anderswo her, und es ist nichts dagegen zu sagen, sie in ein Eigenes hineinzunehmen und entsprechend zu beformen. Was ich im Auge habe und was mir heute peinlich ist, das ist diese Art, so zu tun, als wäre man etwas anderes, diese Art, sich mit dem Fremden, weil es exotisch ist, zu identifizieren, als entbände das von der Auseinandersetzung und Kultivierung eigener Identität. Um bestimmte Ausdrucksformen gestalten zu können, muß man sie auch leben, und zwar mit all der Erfahrung, die zu ihr hingeführt haben. So etwas kann über Generationen gehen. Der „schwarze Blues“ ist ein gutes Beispiel für das, was ich meine; er wird, von Weißen gespielt, nahezu immer ein „weißer Blues“ – und das ist auch völlig richtig; es ist kein Werturteil, sondern im Gegenteil Achtung vor dem Fremden, Respekt vor einem Anderen, wenn man sich das klarmacht und es zu fühlen beginnt. Bei diesen bauchtanzenden Frauen trat, ich erinnere mich noch sehr genau, der Effekt ein, daß die Aufführung schreiend komisch wirkte, wenn man einmal all die Peinlichkeit hinwegschluckte. Aber jeglicher Eros war unwiderbringlich verloren. Das liegt aber schon an dem Multikulti generell; allein dieses Wort ist in seinem gutgemeinten, naiven Äquivalenz-Charakter von einer ungeheuren Erniedrigung des Fremden; es ist dumm und anmaßend, weil es harmonisieren will und diese Harmonisierung Differenzen auslöscht. Multikulti ist, so gesehen, eine Gewalttat. Übrigens habe ich einen ganz ähnlichen Eindruck, wenn ich Frauen, und neuerdings auch Männlein, in Tai-Chi-Figuren scheinversenkt sehe – nichts gegen eine Ankultivierung fernöstlichen Kultur-Ausdrucks: aber mindestens sollte dem ein Jahr fernöstliches Kloster vorweggegangen sein, damit man nämlich überhaupt erst mal e i n e Tür, und es ist dann immer noch nur die Gartenpforte, in das Bewußtsein eines Anderen öffnet.
@ homme/automne; Fremdheit und Andersheit Es gibt eine mekrwürdige Spannung zwischen dem Gefühl des Andersseins, das sich „automatisch“ einstellt, wenn man in einer kulturell ganz anders geprägten Umgebung ist (etwa im ländlichen Indien oder in Japan, aus meiner Erfahrung) und einer Fremdheit.
Diese ist nicht unbedingt an das Anderssein gekoppelt; beispielswiese fühlte ich mich in einem Pariser Restaurant weit weniger anders als in Kalkutta, jedoch viel „fremder“. Das hängt natürlich mit der Weise zusammen, in der einen andere Menschen ansehen, empfangen usw. – das mußte ich nur assoziieren.
Ihnen geht es ja um etwas anderes: die Strategien der Anpassung.
Einerseits die Mélanges, wie knotcher95 sie aufführt, die aber, wie im Kaffeehaus, beide Bestandteile schwächen können: Clapton hat z.B. das, was Blues gennant wird, geschwächt, vergleicht man ihn mir Ali Farkah Touré. Und doch berührende Musik gespielt…
Jenseits eines peinlichen Multikulti, wie Sie es beschreiben, gab es aber immer Formen der Symbiose zwischen Europäern und dem Fremden, die auch Elemente von Mimikry enthielten. Denken Sie an Richard Burton, der sich offenbar in Deutschland einer Beliebtheit erfreut, oder an >>>> Mary French Sheldon. Oder an Friedrich Rückert, etwas akademischer, der 17 Sprachen beherrschte, Qur’an und Veden ins Deutsche übersetzte.
Übersetzung als Ausweitung Ihrer Notiz schlechthin: Der Übersetzer muß „heimisch“ in der Sprache des Werkes sein, zugleich aber in der Sprache und Kultur der Übersetzung, die aber ihrerseits nicht zu „einheimisch“ wirken darf, um dem Original nicht das eigene zu nehmen: Die Übersetzung verhält sich zum Original als etwas Anderes, muß aber zugleich zu ihrer eigenen Sprache eine Reserve Fremdheit bewahren.
@femme100têtes. Sie haben völlig recht; meine Kritik an Multikulti bezieht sich auch nicht auf symbiotische oder versuchssymbiotische Vorgänge. Und ganz selbstverständlich setzt sich Kultur-an-sich schon aus gar nichts anderem als immer wieder Fremdem zusammen; nur muß etwas Eigenes dasein, das, sagen wir mal, „partnerschaftlich“ überhaupt auftreten und Gesprächspartner werden kann, Liebespartner werden kann, für eine Nacht, für Jahre, für drei Wochen, für ein Leben, ganz egal. Ohne das aber ist selbst ein One Night Stand ohne letzte Befriedigung. Deshalb mein in letzter Zeit verstärktes Pochen auf dem Eigenen einer kulturellen Herkunft. Vielleicht wird es jetzt in der Tat Zeit, daß ich meinen umstrittenen, wiewohl noch immer nicht publizierten, eigentlich für den FREITAG geschriebenen >>>> Text um Kulturverrat durch die Linke in Die Dschungel stelle, dessentwegen man mich nun bereits oft einen Rechten zieh.
Vielleicht morgen. Heute >>>> war mir der Stockhausen näher.
coke n croce for the fokes Ja leute, die kultur besteht aus fusionsprozessen.
Wenn man den blues anschaut so basiert der auf pentatoniken.
Pentatonik scheint aber das gerüst der welt zu sein.
Man erwäge die luft zwischen den noten.
Stockhausen schrieb den tonhöhen das metrum zu : die letzte konsequenz
Eines demokratischen umgangs mit materie, die sich schon aus der
12-ton musik herleitete.
Sicherlichlich kann man auch einen 12-ton blues komponieren.
Oder 12 – ton kaffeehausmusik machen.
Das pochen auf die eigene kulurelle herkunft ist halt das misstrauen.
Da sind sich die völker einig.
Misstrauen tut man aber auch sich selbst, dem nachbarn, dem kiez,
der stadt, dem land der welt, dem menschen.
Den universen nicht.
Ich sagte das : fragen sie die frauen.
Oder wollen sie wie ein spazierstock tanzen ?
Ich war gestern wieder unter den pimps.
Komische leute.
Wenn sie ihre chicken schlagen, dann schlag ich sie.
Versprochen.
Aber ansonsten ?
Fahren die halt ihren opel.
Es geht doch darum, dass man sich nicht aussperrt.
Und was ist unsere kultur ?
banane ?
kaffe ?
kokain ?
@ANH Das Fremde, das Eigene Es gibt Lebenspraktiken der Mobilität, hinter die kaum mehr zurückzuspringen ist auf fundamentalistische Positionen. Kulturelle Identität – erstens: was soll das überhaupt sein? Deutsche Kulturtests für Immigranten aus Anatolien? – zweitens: Alles in Fluss! Grenzen zwischen wahrer, guter, weil auf Auseinandersetzung zurückgehender Adaption des Anderskulturellen und schlechter Adaption, weil nur aus den global floatenden Zeichensalat als Selbstbedienungsladen konsumierten Kulturpools – ich könnte das nicht mehr an peinlich erscheinden Deutsch-Bauchtänzerinnen festmachen. Sind Pizza und Grappa einschl. der beliebten Kaffee-Variationen dann nicht auch peinlich? Oder anders gesagt, wäre, was peinlich erscheint nicht einfach nur in Kauf zu nehmen angesichts der Möglichkeiten, die sich der Selbsterweiterung durch das Fremde eröffnen? Trotzige Insistenz auf der eigenen Kultur, eingefriedet (!) in Definitionen, und dann – geht wieder alles von vorn los?
@hurka. Sie können das nicht mehr fest“machen“, na gut. Ich schon. Mir ist manchmal zum Kotzen dabei, weil nämlich unterm Strich die A c h t u n g verlorengeht vor dem anderen. Wie denn auch nicht, wenn man kein Eigenes mehr weiß…
Pizza und Grappa sind deshalb nicht peinlich, weil es sich um Genußmittel handelt wie Pfeffer, wie Seidenstoffe usw. Peinlich wäre, Pizza für eine deutsche Erfindung zu halten und so auch auszugeben. Ich habe nichts gegen Selbsterweiterung durch das Fremde, ganz im Gegenteil, aber es muß etwas da sein, daß es auch aufnehmen und verarbeiten kann. Was mich hier so ekelt, ist, daß da n i c h t s ist; und dieses Nichts macht auch aus dem Anderen Nichts; es reduziert es, nimmt ihm die Seele, verfügt rein, weil es schick ist… es sind Übergriffe, deutliche Übergriffe; daß wir das nicht mehr so empfinden, sagt imgrunde schon genug. Sieg der Äquivalenzform, imgrunde muß man nur immer Marx neu lesen und die Erscheinungen dann als einen internalisierten Kapitalismus begreifen. Es ist nicht beliebt, was ich jetzt sage, aber ich kann Bin Laden unterdessen sehr gut verstehen.
Etwas völlig anderes ist es, wenn Dollar Brand, Abdullah Ibrahim, Allah’u Akbar singt. Etwas völlig anderes ist es, wenn Ausdrucksformen, sagen wir orientalischer Kalligraphien durch Arbeit in die eigene Kultur intergriert werden. Aber, wie gesagt, es muß eine eigene auch da sein – und die ist das Gegenteil von Multikulti.
@anh Äquivalenzform Es stimmt im emphatischen Sinn, dass alles in den Sog des Tauschprinzips geraten ist. Dass alles disponibel wie das Geld selbst geworden ist. Aber die Zunahme dieser Disponibilität ist eine kulturelle Bewegung, die mit der Montage des Faustkeils an einen Stock begonnen hat. Abstraktion, Dekontextualisierung, Kombinierbarkeit, Mobilität – dies macht ja alle Symbolisierungssysteme aus. Wie sollte das in der Ära der Globalsierung durch Digitalisierung – dem allgemeinsten und deshalb disponibelsten Medium – bei der Kultur plötzlich aufzuhalten sein. Als denkendes, schreibendes und sonst wie Kultur produzierendes Subjekt, finde ich (hier mal mit Adorno) sollte man durch diese Phänomene hindurch statt zu versuchen, die Rettung im Echten und Fundamentalen zu finden.
Sehe ich ganz genauso, hurka.
Verzeihen sie trotzdem noch meine kleine anfügung.
das hammerargument gegen herbsts position ist doch der kampfsport :
judo / karate etc. – da findet doch gleichermassen eine adaption von kulturell
fremdem statt …
Dass man das übersieht, ist keine schande, das wird ja auch kaum reflektiert.
( wahrscheinlich weil es sport ist, ne )
Ich finde desweitern, dass eine imitatio eines kulturell fremden ACHTUNG
symbolisiert und dass das überhaupt nicht bedeuten muss, dass man die achtung
vor welcher kultur auch immer verlieren muss : man holt sich halt noch elemente
dazu, integriert sie und hat damit v.a. respekt oder interesse ausgedrückt.
( oder ein geschmacksurteil gefällt – etwas bevorzugt. )
Nun man kann so einen respekt allerdings weder adhoc von jedem deutschen analphabeten erwarten, noch von jedem analphabeten mit migrationshintergrund.
Da setzt halt bildungspolitik an, hoffentlich fair.
Noch schnell was betr. replikanz.
Ja, a. herbst, wenn sie manchmal den ausdruck „replikantentum“ verwenden :
„wir“ als deutsche sind doch die replikanten des deutschen schlechthin :
deshalb haben wir damals doch neben beethoven und bach etc. halt auch noch
dollar brand, thelonius monk – den wolfgang rihm übrigens manchmal beim komponieren
nebenher hört – und andere in unsere plattensammlung aufgenommen :
um uns vom „reinen“ replikantentum zu enlasten, durchaus um uns leistungsfähiger zu machen.
Hat uns das letztlich geschadet ?
Wäre wohl äusserst schwer wissenschaftlich nachzuweisen.
wilhelm reich hätte dazugesagt, gerade black music kann dazu verhelfen, die weisse
beckensperre zu durchbrechen, also den umgang mit körperlichkeit zu ent-
steifen :
das kann im kopf durchaus befreiend wirken – muss nicht – kann.
Sie wollen da irgendeine wertediskussion nähren, die in der musik peinlicherweise
schon bei einer diskussion anfängt über dur und moll und zwar mit der frage,
wenn nicht sogar fest- oder unterstellung, diese tonleitern wären schon genetisch in unseren kindern grundverankert.
( Ich glaube chomsky hat sowas schon mal quasi-analog hinsichtlich der sprache behauptet. )
Ich finde das sind entsetzlich stupide fragen, gegen die sich rihm im übrigen in
Einer tv-diskussion mit händen und füssen vor ein paar jahren noch wehren musste.
Völlig zurecht meiner meinung nach.
schmaler einwand @ herbert hurka ganz so einfach, wie Sie behaupten, scheint es mir mit der fatalistischen hinnahme eines globalisierten tauschprinzips, nicht zu stehen. zunächst: das prinzip des tauschhandels vor „einführung“ des geldes ist fundamental von dem pekuniären verschieden: geld wird – alle devisentheoretischen abhängigkeiten mal außen vor gelassen – eben nicht von einer unmittelbaren äquivalenzbestimmung ge-wertet, sondern von konventionellen, letztlich aber arbiträren zuschreibungen derjenigen, welche mit geld umgehen. insofern wird geld sprache ähnlich (mehr in „Marxens Gespenster“), abstrahiert aber andererseits einen scheinbar überschaubaren vorgang (tausch) auf mitunter gefährliche weise, die via kreditkarte im schuldturm enden kann: abstraktion, getarnt als simplifikation.
Sie sagen: dahinter kann man nicht zurück. sicher, aber vielleicht darüber hinaus, in einer gesellschaft, die so weit „fortgeschritten“ ist, daß grundbedürfnisse tauschunabhängig gesichert sind, bzw. die scheinbare simplifikation „enttarnt“ wurde.
verräterisch scheint mir Ihre rede von dem, der kultur „produziert“. nun ja, Sie und ich und ANH und knotcher und femme100tetes und Ifone stehen in einer kultur, tragen vielleicht zu ihr bei, tragen sie im privaten bereich vielleicht ab, übertragen sie, aber „produzieren“?? wohl kaum.
auf symbolisierungssysteme, welche in der sog. globalisierung ebenso zu erkennen seien wie im ersten werkzeuggebrauch des homom habilis. das denken Sie sich sicherlich theoretisch abgestützt, doch in dieser kürze scheint das argument doch gewichtige unterschiede zu nivellieren. es nivelliert auch eine entscheidende komponente im begreifen von fremdheit und eigenheit, die hier noch gar nicht erwähnt wurde: geschichte. als blick auf das herkommen vermittelt geschichte, sei es eigene, familiäre, kommunale oder überregionale, erkenntnis über des selbst wie auch das andere. einfacher: warum bekomme ich im elsaß plötzlich einen bocksbeutel auf den tisch gestellt? warum steht in kassel eine der schönsten russisch-orthodoxen kirchen deutschlands? warum gibt es im spanischen so viele wörters auf a- oder al-? warum ekeln mich verschmierte handflächen? warum interessiert sich ein so avancierter kopf wie Ifone noch für die frage danach, wie ss-lagerkommandanten zugleich liebende familienväter sein konnten? — alle diese fragen können mit blick auf herkünfte (verzeihen Sie den irregulären plural) wenn nicht erklärt, so doch erhellt werden. und all diese erhellungen wurzeln in kulturellen entwicklungen.
und geschichte geht fort. was bleibt, was verschwindet, kann man erst im nachhinein erkennen. diese bewegung ist gar nicht aufzuhalten, aber wenn man schon ein eigenem und fremdem spricht, muß man das auch verständig tun. es reicht eben nicht, sich den kopf zu rasieren und eine orange tunika anzulegen, um buddhist zu sein, aber dazu hat ANH ja oben schon stellung bezogen. — dem gegenüber scheint mir Ihre berufung auf allgemeine dekontextualisierung eine gedankliche bequemlichkeit darzustellen. bestellen Sie in italien einen „espresso“, versuchen Sie, in england einen „oldtimer“ zu kaufen oder fragen sie in den usa nach Ihrem „handy“, und Sie werden sehen, daß scheinbare de- realiter eine neo-kontextualisierung ist. daß auch die fraglichen produkte unterschieden sind, weiß jeder, der schon einmal eine pizza samt grappa in duisburg und in sorrent gegessen hat.
wie Sie übrigens dadurch „hindurch“ wollen müßten Sie mir nochmal ausführlicher erklären, denn ich sehe nicht, wie man adornisch die digitalisierung bewältigen soll.
@ knotcher:
misstrauen? – aber ja! sind Sie nicht mißtrauisch Ihrer umgebung gegenüber? eine solche schließt ja interesse an un beschäftigung mit dem anderen nicht aus; siehe blick auf herkünfte. aber ohne mißtrauen, auch dem universum gegenüber, könnte das einzelne leben ein kurzer spaß werden!
@aikmaier Sie schreiben ausführlich, jedoch nicht so zwingend, dass ich mich widerlegt fühlen muss. Mir scheint, dass Sie nochmal versuchen, die wackligen Karossen des Bildungsbürgertums aufzufahren, doch die sind leer! Zum Glück. Ein, zwei Einzelheiten nochz: Sie mokieren sich über meine Formulierung, man müsse da „durch“ und schreiben selbst ein paar Zeilen davor, man müsste „darüber hinaus“. Vielleicht ist mir da eine feine Differenz entgangen.
– Geld wird „der Sprache ähnlich“ – nein, es entspringt das alles ein- und demselben Prinzip. Die evolutionären Vorteile der Sprache (und der montierten Werkzeuge) sind so erfolgreich, dass sie alles andere erfassen und mit reißen.
Geld, sagt übrigens Dostojewskii, ist geprägte Freiheit. Also, all diese kulturellen Formen sind ambivalent, handhaben sich dialektisch. Es gibt nichts, das zu privilegieren wäre.
– Kultur ist konkret, drum wird sie auch produziert. Ein Buch wird produziert, eine Symphonie, ein Bild . . .
So Weihevolles, dass ein profaner, erdiger, fabrikmäßiger Ausdruck wie „produzieren“ sich verböte, kann ich in der Kultur nicht entdecken. Die Epoche Wagnerischer und George’scher Kunstreligionen ist doch längst durch.
noch schmalerer einwand @ herbert hurka zunächst vielen dank für die freimütigen einschätzung. ich erwidere Ihre sympathie, indem ich Ihre abqualifizierung des bildungsbürgertums einmal so stehen lasse.
jedoch: ich mokiere mich keineswegs über etwas, das Sie geschrieben haben. sollte der eindruck entstanden sein, so bitte ich um nachsicht gegenüber einem eiligen sonntag. dennoch sind Sie mir die auskunft schuldig geblieben: meine überlegung, wie eine gesellschaft „darüber hinaus“ kommen könne, trägt ja nun deutlich utopische züge; solche überdies, die kaum mit einem adornischen gesellschaftsmodell zu vereinbaren sein dürften. daher frage ich nochmal: wo ist man Ihrer meinung nach, wenn man „da durch“ ist?
geld und sprache entsprängen desselben prinzips? hm, Ihr folgendes argument mit der evolution macht allenfalls ihre Sturkturähnlichkeit plausibel. wenn Sie vom „prinzip“ sprechen, scheinen Sie mir doch im breiten fluß der abendländischen metaphysik zu stecke, die das konkrete gegenüber dem allgemeinen dezidiert abwertet. dies aber würde schlecht zu Ihrer eigenen rede davon, daß nichts zu priviliegieren sei, passen.
letztere scheint mir ohnehin problematisch: wenn nichts zu privilegieren ist (auf welcher ebene übrigens: subjektiv, intersubjektiv, „objektiv“?), warum denken Sie dann über etwas nach, sprechen darüber, engagieren sich? auf welcher grundlage vollzieht sich soclhe prädilektion? – und jetzt kommen Sie mir nicht mit lebensunterhalt, arterhaltung, selektionsvorteil! (Nichts von dem, was wir hier in der Dschungel schreiben, trägt dazu für uns persönlich bei.)
daß dostojevskij vom geld als „geprägter freiheit“ sprach, ist um so deutlicher historische ironie, da er seine freiheit in die freiwilligen bande des baden-badener casinos schlug!
Kultur ist konkret, drum wird sie auch produziert. Ein Buch wird produziert, eine Symphonie, ein Bild . . .
ja, bitte, damit sind Sie aber wenig zwingend. was ist kultur? die summe aller „produzierten“ bilder, bücher, bilderbücher, opernhäuser, kunstgalerien &c.? unter ausklammerung der wissenschaften? oder des einflusses politischer umstände? nicht doch. Ihrem „fabrikmäßigen“ ausdruck würde ich ein organisches modell entgegensetzen von einer kultur, welche wachsen, gedeihen, verkümmern kann. dabei können die von Ihnen genannten in der tat hergestellten einzelphänomene sowohl zum einen wie zum anderen beitragen, je nach wirkung. luthers bibelübersetzung etwa hat kultur gedeihen lassen, die sich auch auf ihn berufenden bilderstürmer haben sie eher verkümmern lassen. Sie werden heutige beispiele zur genüge ausmachen können…
kurz: „weihevoll“ muß ein solcher kulturbegriff gar nicht sein, aber – im wortsinne – „erdig“. wenn ich zwischen wagner und george für eine parteiung wählen müßte, würde ich stets den letzteren wählen. erstens weil mir der sächsische revolutionär als dichter wie als komponist sehr wenig zusagt, zweitens weil der rehinische katholik einer der letzten war, die kunst und markt strikt auseinanderhielten. das diese – historische – epoche vorbei ist, steht außer frage. dennoch gibt es immer wieder dichter, welche eben der kompatibilität von markt und dichtung entschieden mißtrauen (etwa ein gewisser herbst). insofern ist diese george’sche position noch virulent, freilich ohne genie-mähne und knabenkult, was ja wiederum kein fehler ist.
in einem satz: ich würde die von Ihnen gemachten privilegierungen im rahmen des hier kurz angerissenen in zweifel ziehen.
PS.: der blick auf herkunft, wie ich ihn oben beschrieben habe, ist übrigens nichts anderes als – latinisiert – „respekt“.
@Alkmaier tools – Prinzip: auch fürs Denken braucht man tools. Und da ist der Begriff Prinzip für meinen Zusammenhang recht nützlich, wenngleich er in einer akademischen Prüfung nicht durchginge. Vorsichtiger gesagt: zwischen Symbolisierungssystemen, Geld (was ja im Prinzip auch eins ist), die Montierbarkeit von Werkzeugen von der Axt bis in die elektronische Systeme hinein, zeigen sich Analogien, die auf ein und dieselbe Form der Fragmentierung und Ausdifferenzierung von handhabbaren Elementen rückschließen lassen. Ich hab’s halt ein Prinzip genannt.
Das „durch“ und „darüber hinaus“: Es ging ja keinesfalls um gesellschaftliche Utopien sondern zunächst um den diskursiven Umgang mit der eigenen und fremden Kultur. Auch da gibt es natürlich Populär und High level. Angefeindet z.B. von ANH werden die populären Formen schneller und unreflektierter Adaption des Fremden. Und doch denke ich, im Populären ist alles auch mit drin, das Schöne, Wahre, Gute genauso wie in den Manifestationen der Hochkultur. Was ich mit „durch“ meine, ist, diese Inputs zu erkennen, wenn auch um den Preis, den Verzerrungen (dt. Bauchtanz?), Verfälschungen, Instrumentalisierungen nicht entgehen zu können.
Mal bis hierher!
@hurka, aikmaier and twimc. Bewahre! Es geht mir n i c h t darum, Fremdes auszuschließen, es geht mir auch nicht darum, Musik- oder sonstige Formen „rein“ zu halten; bereits in MEERE schrieb ich, „Reinheit“ sei einer der schlimmsten Begriffe der Menschheitsgeschichte. Nur führt die kritiklose Akzeptanz der Austauschbarkeit und des Tauschprinzips und daß man es auf Kunst anwendet (etwa unser unerträglich kunstfeindliches Urheberrecht, das Kunstobjekte – egal, ob Text, ob Bild, ob Musik – als Eigentum faßt), dazu, daß man Kunst letztlich zerstört. Es sind nicht mehr die politisch-moralischen Verhältnisse, die nunmehr zensieren und verbieten, sondern diejenigen der vorgeblich geistigen Eigentumsverhältnisse. Ich habe mich bereits mehrfach darüber ausgelassen. Wenn man mich plagiiert, würde ich deshalb niemals einen Prozeß anstrengen – es sei denn, man plagiiert s c h l e c h t. Dann allerdings würde ich prozessieren, aber nur, weil ein künstlerisches Gebot mißachtet wäre. Gut zu plagiieren hingegen, bedeutet: Neues zu schaffen. Viele der Großen – von Bach über Wagner bis Poe – haben gezeigt, daß und w i e das geht. U m gut plagiieren zu können, muß da eine Struktur sein, eine traditionsgefüllte Herkunft, die zumal bewußt ist, also über Bildung verfügt, die sich gegenüber dem Plagiierten in ein Verhältnis des Bestimmten setzt. Ist da rein nichts als eine Austauschbarkeit, die Herkünfte zur Disposition stellt, wird auch das Plagiat schließlich wieder Nichts sein. Der Perfide dann ist, daß dann das elende Urheberrecht nachträglich sein Recht b e k o m m t; der Herkunftslose stellt es her, weil er nichts hat, auf dem er stehen könnte.
@knotscher95. Asiatischer Kampfsport. das hammerargument gegen herbsts position ist doch der kampfsport: judo / karate etc. – da findet doch gleichermassen eine adaption von kulturell fremdem statt …
Eben nicht. Genau da ist nichts übernommen als der S p o r t. Eine Näherung an asiatische (:schon das ein viel zu weites, ungenaues Wort) Haltungen fände allenfalls dann statt, gingen lange mönchige Versenkungsexezitien dem Erlernen des Kampfsportes voraus oder ihm wenigstens parallel. Nur, daß man sich vor und nach dem Kampf verbeugt und daß ein paar wenige andere Rituale a l s Rituale beachtet werden, ist noch lange lange keine Adaption. Sie werden in den meisten Fällen sogar zu leeren Ritualen; d.h. sie werden auf eine ganze besonders abgefeimte Weise erniedrigt. Hier gilt Nietzsche: „Es gibt keine perfidere Weise, einer Sache zu schaden, als sie absichtlich mit fehlerhaften Gründen zu verteidigen.“(Fröhliche Wissenschaft, Nr. 191.)
@ Abstraktionen z.B. Kampfsport Kulturellen Manifestationen eignet immer auch ein Moment des Abstrahierbaren – ein Formales, Oberflächenphämene, die sich abschöpfen, extrahieren, umpflanzen – natürlich auch instrumentalisieren lassen. Ein Allgemeines, das sich von unserer raffgierigen, expansiven Kultur aneignen lässt – nur: als verpflanzte kulturelle Form entwickelt es in neuer Umgebung mit neuen Anschlussmöglichkeiten und unter den Gesetzen neuer Systeme Eigendynamik, deren Folgen nicht absehbar sein können, was heißt, Risiken, sofern es wirklich welche sind, und Möglichkeiten des Neuen stehen einander gegenüber.
@hurka. Ich bin weißGöttin keiner, der sich gegen Möglichkeiten eines Neuen stemmte; eher ist mir ja immer das Gegenteil vorgeworfen worden. Aber es kann nicht angehen, zugunsten eines etwaig Neuen alles Alte übern Haufen zu werfen, indem man es nicht mehr tradiert. Zumindest wissen muß man darum, dann kann man sich immer noch abwenden. Aber wer heute einen Song der Beatles hört und begeistert, aber nicht durch die Schule der Musikentwicklung gegangen ist, tradiert Leere zugunsten von Kitsch. Was mich wurmt und wogegen ich anrenne, ist Flachheit, obwohl unter einem der Boden tief ja immer noch i s t. Nur läßt sich Flachheit im ausgehenden Hochkapitalismus selbstverständlich ökonomisch viel besser nutzen: Die Leute merken nicht einmal mehr, daß man sie bestiehlt, bzw. längst bestohlen h a t. Hier gilt in Form einer Analogie Kants Satz, demzufolge Gedanken ohne Inhalt leer sind, Anschauungen ohne Begriffe aber blind. Sie müssen für den Gedanken nur Ihre abstrahierbare Form setzen und für die Anschuung den Sport als pure Tätigkeit.
wir lieben nur was wir zerstören können kommentar zu: „each man kills the thing he loves“ (Oscar Wilde)
„Denn was wir endlich finden, zerstören wir dadurch.“ Kommentar der Fee („Io lungamente ho parlato in sogno con afrodite“) zum nächtlichen Lauscher am >>>> Sphinx von San Michele: „Denn was wir endlich finden, zerstören wir dadurch.“