Der verlorene Augenblick. 28.04.2008. Paul Reichenbach.

Über 150 km fuhren wir von Freitagmittag bis zum Sonntag mit dem Fahrrad, nur unterbrochen von kleinen Pausen, die Durst, Hunger oder einen besonderen Blick geschuldet waren, durch die grünen Wälder und frühlingshaft sprießenden Felder unserer Umgebung. Es war umwerfend. Die dunklen Tage sind vorbei. Das Sichtbare ist das Ergebnis eines flüchtigen Zusammentreffens, das niemals wiederholt werden kann, dachte ich und war von dem Anblick des gelben Rapsfeldes, das sich vor mir ausbreitete, fasziniert. Viel zu früh, so schien mir, waren die Pflanzen hochgeschossen, die ein exakt geschlossenes Viereck bildeten, das eingebettet zwischen Feldern mit jungen grünen Getreidepflanzen lag. Das relativ kleine Quadrat, vielleicht 25 x 25 Meter groß, ließ vermuten, dass es sich bei dieser Art Raps, das Gelb brannte förmlich, um ein Versuchsfeld mit genmanipulierten Pflanzenmaterial handelte.
Die Fähigkeit zu sehen, visuell Erscheinungen zu erfassen, ist eine solche Selbstverständlichkeit, die normalerweise niemand hinterfragt, gleich welcher Augenblick sie uns bestätigt. Farben wie Gelb, Grün, Blau und Rot oder Formen wie dick, dünn, gerade und krumm sind Konstanten eines biophysikalisch – chemisch – sozialen Prozesses, der konstruktiv Details zu einem Ganzen zusammenfügt. Die Intensität des Augenblickes, abhängig von einem Gemenge jeweiliger Momente und Stimmungen in denen sich ein Bild uns zeigt, kann nicht wirklich im Gehirn gespeichert werden. Alle Erinnerung ist Verfälschung. Die Netzhaut bildet Erscheinungen ab, die bereits im Nu des Erkennens wieder verschwinden. Kein Blick ist wiederholbar. Er ist Ankunft und Abschied, erster und letzter Blick zugleich. Ein Beispiel für die verzweifelten Versuche von Malerinnen und Malern, so kommt es mir jedenfalls vor, der Vergänglichkeit der Blicke durch nichtgegenständliche Malerei zu entkommen ist für mich „Schwarz – Gelb“ von Ernst Ney.

>>>Bild: Ernst Wilhelm Nay, Schwarz-Gelb.

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