5.14 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bis 24 Uhr mit dem Profi in der Strandbar Mitte gewesen, hinter dem nun das hölzerne Amphitheater fast schon steht. Er hat einen Kontakt zum Betreiber geöffnet, und die Überlegung steht vor der Tür, dort >>>> meine UNDINE uraufzuführen. Was mir derart stadtmittig und flußnah selbstverständlich gefiele: man könnte die Spree direkt integrieren. Das Wort bringt mich über eine geringfügige Lautverschiebung >>>> dahin zurück. Die Geliebte war sprachlos, als ich die Geschichte erzählte – ich will nun auch dies >>>> als eine Geschichte angucken, das macht vieles erträglicher, und zwar in diesem Fall mit Heinrich Mann und kleinen Städten -; der Profi war für seine Verhältnisse vergleichsweise weniger harmoniefreundlich und tätigte sofort zwei Anrufe, schrieb mir eine Adresse auf und sagte: „Wenn sich das nicht anders klären läßt, dann wende dich bitte an d e n.“ Und schüttelte den Kopf, der mich immer an den eines langsam kreisenden Raubvogels erinnert, der späht, und sang… ja, sang, er sagte das nicht, nein, sang ganz leise und dabei sehr hoch: „All das sind doch k….. S…..“, wozu er die Melodie von Freude Schöner Götterfunken nicht einmal entstellen mußte; dabei trank er drei Bier; ich trank nur eines; man merkt ihm eine Erregung anders nie an. Erregung heißt bei ihm aber, daß er im Feld etwas ausgemacht hat.
Ich habe nicht vor, diesmal nicht, seinem Ratschlag zu folgen.
Jedenfalls geht es mir besser. Ich habe mich abgeregt, und Verachtung, mal wieder, bleibt.
>>>> Malos ist nicht MD; aber einer seiner ehemaligen Kollegen. Wenigstens d i e s e Geschichte, >>>> Peregrinus, kann ich Ihnen erzählen (wobei ich mich seines tatsächlichen Namens nicht mehr vollständig erinner, nur seines Vornamens, aber auch der tut nichts zur Sache). Es war 1986, ich war an der Börse, hatte MD kennengelernt, und Do und ich hatten vor, nach Afrika zu reisen; ein eigentliches Ziel hatten wir nicht, auch keine anderen Vorstellungen als solche, mit denen uns die Medien geprägt hatten – vergleichsweise simple Medien, wenn Sie das mit heute vergleichen. MD öffnete uns eine Tür nach Pretoria; er habe dort eine Freundin; wir schlupften dort unter, bevor wir uns auf unsere Tour aufmachten: erst nach Johannesburg, weiter dann südlich durch die damaligen Homelands, nun nach Osten bis Port Elisabeth und die Küste hoch; dann wieder nach Nordwest ins Land hinein und hoch bis zum Krüger Park, wo Mds Freundin für uns reserviert hatte, und vom Krüger Park dann wieder schräg nach Pretoria hinab. Eine ziemliche Strecke, vor allem für Greenhorns wie uns. Im Krüger Park ging ich meiner Neigung zu Krokodilen nach; manchmal standen wir über eine Stunde an einem Wasserlauf und warteten im Wagen, die Feldstecher an den Augen, die Seitenscheiben hinuntergedreht, aber immer im Habacht vor Affen, die auch in Afrika ungefähr so sind, wie Kipling sie für Indien beschreibt, nur aggressiver. Ein klappriger VW-Bus hielt neben uns, voller dunkler Südinder. Einer von denen stieg aus, tatsächlich, und begann, zu dem Wasser hinzuspazieren. Ich pfiff ihn zurück. Er kam außen herum an unsere Fahrerseite, ich gab ihm meinen Feldstecher, zeigte die Richtung, „watch…“, er sah nichts, aber Do und ich hatten unsere Augen längst an die langsame Zeit gewöhnt, „watch carefully…“ Dann sah er sie auch, leise fast unter der Wasserfläche treiben… und das dunkle Männchen wurde geradezu blaß. „Sank you“, sagte er in seinem Indo-Englisch, „you saved my life.“ – Als wir diese Geschichte, nach Pretoria zurückgekehrt, erzählten – unsere Gastfreundin gab ein kleines Fest -, stand auch ER da, der hier jetzt über zwanzig Jahre später >>>> den Malos gibt, auch er mit dem Kopf eines Raubvogels, und lachend sagte er: „Warum haben Sie die Leute gewarnt? Du meine Güte, Sie hätten das Foto Ihres Lebens schießen können!“ Auch unsere Freundin lachte. Beide, Malos wie sie, waren von einer uns nicht angenehmen Apartheitsbegeisterung, und beide verachteten die deutschen Diplomaten, die in Pretoria wirkten, verachteten sie, kann man sagen, bis aufs Blut. Irgendwann wurden mir die rassistischen Sprüche zu viel, ich protestierte heftig. „Ach?! Deine deutschen Diplomatenfreunde hältst du für menschlich? Die nach Empfängen die übriggebliebenen Schnittchen wegräumen lassen, damit die Schwarzen nichts davon mit nachhause nehmen können? Wo man Hunger hat? Ich nehme euch gern mal m i t in den Cotton Club.“
Es war ein für europäische Verhältnisse riesiges Anwesen; stets abends umschritt es unsere Freundin mit dem Gewehr. Sie schlief lange, ich hingegen bin bekanntermaßen Früfaufsteher; so spazierte ich eines Morgens durch den Garten. Hinten gab es Baracken usw. Ich stieß auf schwarze Kinder, sah seltsam viele Menschen, die seltsam scheu aufsahen, sich an Trögen waschen; als ich unsere Gastfreundin darauf ansprach, stellte sich heraus, daß es sich um einige Flüchtlingsfamilien aus Mosambik handelte, die sie heimlich beherbergte. Malos hatte als Fluchthelfer organisiert. „Ich kann doch diese Menschen nicht verrecken lassen“, sagte unsere Freundin. Wir: „Aber … du… mit deinem Rassismus…?“ „Das ist etwas anderes.“
Afrika war ein Widerspruch in sich. Sie riskierte hohe Strafe, wenigstens Ausweisung, indes die deutschen Diplomaten, ihre Anti-Apartheit auf den Lippen, die Schnittchen vor den schwarzen Angestellten wegräumen ließen.
Daher kenne ich Malos. Es kam ein Abend, an dem er vom Grauen erzählte und dabei aussah wie >>>> Colonel Kurtz, nur schmächtiger. Aber >>>> Diotima hat recht, er erzählte nicht von Tansania, sondern aus dem Sudan.
Was sind dagegen >>>> meine Anerkennungs-Sörgchen? Also lassen wir mal die Kirche der Poetik-Dozentur im Dorf, darin der Rock ’n Roll sein Herz verlor.
Ich habe keine Ahnung, weshalb mein Funkmodem heut früh keine Verbindung ins Netz herstellen kann. Da ich nachher, gegen acht, noch einmal für anderthalb Stunden zurück Ans Terrarium muß (ich werd einfach das Cello mitnehmen und dort üben), stell ich meine Beiträge dann halt von dort aus ein. Es ist jetzt sowieso zu zeichnen, denn zwar habe ich die Fahnen des >>>> Buches meiner Heidelberger Vorlesungen unterdessen korrigiert, aber meine dreivier Graphen waren nicht kräftig genug, um reproduziert werden zu können; das muß jetzt mit schwarzem Filzstift noch einmal gestaltet werden.
Ah, jetzt geht’s. Manchmal hilft es, das Modem zu ziehen und wieder einzustecken.
Jetzt hab ich mich verplaudert, und es ist schon eine Stunde später. Nur dies noch. Als damals… meinetwegen: Malos diesen Satz sagte, fiel mir spontan das englische Idiom ein: >>>> To watch the kill.
7.45 Uhr:
>>>> Deters rief eben an. Um 7.45! Und dann noch >>>> wegen Tabaqui. Außerdem möge ich mich doch bitte wegen Heidelberg etwas zurückhalten. Man habe zusammengesessen, er und Daniello und Katanga und Faure, und >>>> Titania habe sich per Messenger dazugeschaltet; so auch Lethen und, s e h r mäßigend, Montgelas. „Wissen Sie übrigens, was >>>> Wallraff gerade treibt?“ „Nein, ich…“ Ich war wirklich überfahren. Da sagt er doch glatt und muß selber lachen mit seiner spitzigen Lache: „Haben Sie sich >>>> Perkampus mal ganz genau angesehen?“ Und legt auf. Ich hab nur baff ins Mobilchen gestarrt. Zurückzurufen versucht, aber er schien sein Gerät sofort nach dem Anruf ausgeschaltet zu haben.
Ich muß jetzt los und vorher das Cello verpacken.
12.08 Uhr:
[Wieder in der Arbeitswohnung.]
>>>> Kiesel hat geantwortet; ich stelle den Brief aus strategischen Gründen, jedenfalls jetzt n o c h, nicht ein, vielleicht auch gar nicht, falls sich die Angelegenheit klärt. Und ich habe wiederum ihm geantwortet. Nur >>>> diesen Auszug mache ich Ihnen aber bekannt, denn er stelt die Gründe meiner Position klar.
Darüber bin ich mit meiner Arbeit arg ins Hintertreffen geraten. Und die Reise ist vorzubereiten. Eben rief der >>>>> Manutius-Verleger an, den ich dann morgen abend ebenfalls treffen werde. Um 15 Uhr treff ich ich, in Frankfurtmain vorher, >>>> Dielmann, davor wiederum zum Essen Do, der ich, da sie diese Seiten nicht verfolgt, unbedingt von Malos erzählen muß.