…
Doch Marsyas vom letzten Glast umsponnen
der Sonne die sein Antlitz purpurn überfloß
und heiß sein Vließ mit Flammen übergoß
bläst immer noch berauscht vom Glanz der Stunde
das Flötenrohr erglüht wie gleißend Gold
an seinem Munde.
Und alles lauschte auf des Satyrs trunknes Lied
und alle offnen Mundes harrten auf den Spott
Apolls hingen an seinen Zügen. Doch der Gott
stand starr wie Erz schweigend regte kein Glied
Da bog die Augen tief in seine senkend
jäh das Flötenspiel
Marsyas übers Knie und klirrend brach’s und fiel…
(>>>>Ernst Stadler, Gedichte nach Henri de Régniers »Le Sang de Marsyas“)
Licht, Luft, Sonne, Wasser und Kunst. Schwimmen und Radfahren. Was sich hier wie ein Programm lebensreformerischer Jugendgeister a la Fidus liest, ist nix weiter wie die komprimierte Kurzfassung meines vergangenen Wochenendes. Das Wetter war trotz aller Unkenrufe der Wetterfrösche schön, was wieder einmal die Unvollkommenheit von Nachahmung beweist. Aus einem Frosch wird einfach keine Kröte, selbst wenn er sich ihres Gesanges mit masochistischer Lust bedient. Das gilt auch für andere Stimmchen und Stimmen. Andrea Berg kann noch so sehr ihr Outfit Madonna anpassen in eine „Madonna Superstar“ wird sie sich nicht verwandeln. Davor haben die Popgötter den kreativen Schweiß genialen Ehrgeizes gesetzt. Sie können, liebe Leser, mit den Namen Andrea Berg und Madonna nichts anfangen? Ich kann sie beruhigen. Ihr musikalisches Gedächtnis, wenn ihnen diese „Unterhaltungsgrößen“ wenig sagen, ist vollkommen in Ordnung. Um ihren Merks müssten sie sich erst sorgen, fiele ihnen bei Berg nicht sogleich Alban Bergs Violinkonzert und bei Madonna nicht sofort Raffael ein. In diesem schönsten anzunehmenden Fall (SAF), glauben sie mir, wissen sich ihre Ganglien von Apollon behütet und geschützt.
Einen anderen Apollo, seine dunklen, verletzenden und rächenden Seiten, habe ich mir am Samstag im Liebighaus in Frankfurt ansehen können. Genau 30 Minuten brauche ich mit dem Rad von mir zu Haus ans Frankfurter Museumsufer. Seitdem die Benzinpreise in ungeahnte Höhen steigen, ein Ende ist nicht abzusehen, nutze ich das Fahrrad nicht nur für Sport- und Naturradeln, sondern bediene mich nun auch des Rades im Alltag verstärkt.
>>>> Die Launen des Olymp – Der Mythos von Athena, Marsyas und Apoll, so der Titel der feinen Sonderausstellung im Liebighaus, füllten mir den Samstagnachmittag, nachdem ich ordentlich und dreifach geschlüsselt das Fahrrad mit einem futuristisch geschwungenem Ständer vermählt hatte. Im Mittelpunkt des Ganzen die Vorderseite eines Sarkophages mit Apoll und Marsyas, Leihgabe des Louvre, der die Geschichte des beleidigten Gottes und seiner grausamen Rache an den Satyr Marsysas erzählt, den Apoll bei lebendigen Leib an einem Baum aufhängen und dann enthäuten lässt. (Marsyas flötete besser, was ihm Apoll mit Hilfe der Musen nicht durchgehen ließ. Wer seine Angestellten zu Juroren macht, wird immer siegen!)
Die unterschiedliche Darstellung von Grausamkeit, die Verwendung manch schrecklicher religiöser Motive in der Kunst, von der Antike bis in die Postmoderne, begleitet die Besucher durch die Räume. Vis a vis eines Gemäldes, das die Enthäutung des Hl. Bartholomäus zeigt, ein kleiner Videoplayer: Robbie Williams singt >>>>„Rock DJ.“ Marsyas und Bartholomäus Enthäutung, die eine will abschrecken ( – wer sich in Konkurrenz zu den Göttern begibt, wird unbarmherzig bestraft -), die andere soll die Stärke des christlichen Glaubens beweisen, verkommen in Williams Song zum Entertainment, dem keine Schrecken, weder Blut noch Tod, mehr heilig sind. Sakrosankt sind nur die Geschäfte.