Situation oder Biographie? 26.08. 2008. Paul Reichenbach beginnt die 3. Fassung seiner „Litauischen Krankheit“.

O Mensch! Gib, acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief –
aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: vergeh!
doch alle Lust will Ewigkeit -,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit
(Friedrich Nietzsche)

Die Frage nach dem Fortgang, dem Wohin, verlangt, ist das Vorspiel erst einmal beendet, unausweichlich nach einer Antwort, schrieb ich gestern als neuen ersten Satz des 2.Kapitels meiner >>>>Novelle „Die Litauische Krankheit“. Immer noch sitze ich an dem Text, feile nicht nur, sondern schreibe ihn fast zur Gänze um. Der Mensch ist nichts anderes als eine verlängerte Situation. Den Satz von >>>W. Krauss hatte ich mir irgendwann, leider ohne präzise Quellenangabe einmal auf vor Jahrzehnten als an einen PC noch nicht zu denken war, auf ein Karteikärtchen notiert, damals allerdings mutete er mir unverständlich an. Erst später halfen mir Kierkegaard, Heidegger, Sartre, weniger Camus, und die >>>> internationale situationniste, ohne jemals ihnen angehängt zu haben den Satz besser zu verstehen. Für meine Geschichte übersetzen sich die Worte so: Zwei Menschen, die von ein und derselben Situation her bestimmt und geprägt sind, müssen auch, unbeschadet ihrer jeweiligen individuellen Ausprägung, dasselbe Schicksal erleiden. Alters -, Geschlechts -, und Bildungsunterschiede verlieren situativ in einer „Amour fou“, die Rita und Paul wie ein Blitzschlag trifft, ihre Bedeutung. Die Lebensspuren der darzustellenden Protagonisten sind angesichts ihrer Lage nur Beiwerk, das vorurteilenden Erwartungen künftiger Leserinnen und Leser opportunistisch Rechnung trägt, das eigentlich, wenn ich es recht bedenke, gestrichen gehört. Die Reduktion auf die Situation scheint mir einer Novelle angemessener als eine romanhafte Ausdehnung, die lebensgeschichtliche Triebkräfte da unterstellt, wo eigentlich doch nur die reine Biologie emphatisch zitternd, bis hinein in die Katastrophe, ihre Siege feiert Kurzum: Die Litauische Krankheit wird in diesem Sinne umgeschrieben werden müssen.

Bildquelle: >>>> Aleksandras Macijauskas. Ship-Repair works 2. 1976

3 thoughts on “Situation oder Biographie? 26.08. 2008. Paul Reichenbach beginnt die 3. Fassung seiner „Litauischen Krankheit“.

  1. Weit davon entfernt, Ihren link zur Gänze, d. h. sprachlich zu erfassen, ist mein erster Gedanke der, dass der ‚Situationismus‘ sein Geburtsdatum zu Recht in den späten 50er-Jahren hat. Dazu gehört zunächst die Abwehrhaltung gegenüber einer wie auch immer gearteten historischer Verantwortlichkeit, die Opfer und Täter, sonderbar genug, gleichermaßen betrifft. Mich wundert daher nicht, dass in dieser ‚Situation‘ so etwas wie ‚Plötzlichkeit‘ plötzlich protegiert wird! Ich sehe diese Akzentuierung des ‚Jetzt‘ eher als das Vertäuungprogramm eines an sich überholten Subjekts, das der Geschichtsverlauf eindeutig in seine belanglosen Schranken verwiesen hat. Der Versuch, so etwas wie eine ‚Biographie‘ herzustellen, resultiert aus dem Wunschdenken, dass das, was geschehen ist, nicht ausschließlich einer persönlichen ‚Verantwortung‘ zu unterstellen sei. Beste Voraussetzungen für Schizophrenien aller Art….Die Erinnerung sorgt in aller Regel dafür, dass diese ‚Situationen‘ sich zu der ‚Perlenkette‘ eines ‚und dann, und dann‘ auffädeln lässt…

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .