Die Nacht des 11. auf den 12. Oktober 2008.

Nun zog er endlich in die neue Wohnung ein; mit gemischten Gefühlen, im übrigen. Denn sie lag nicht, wie er es gewohnt, in der Nähe eines städtischen Zentrums, sondern weit draußen an der Peripherie, in einem Industriegebiet; danach jedenfalls sah es aus, wenn er hinausging. So stellte man sich Los Angeles vor, Kernlosigkeit an sich, Substanzlosigkeit; statt dessen Gebäudemodul um Gebäudemodul, flache Kästen mit weiten Parkplätzen davor; ein Highway kam aus der Ferne und breitete sich vor dem Haus zur andren Uferseite aus, wo wieder nur Module waren an Modul. Bis in die Ferne. Ein heller, doch tiefer Himmel darüber.
Er hatte, nennen wir ihn Beliebig, zur Einweihung der Wohnung geladen, die aber noch nicht eingerichtet war. Als die ersten Gäste kamen, die Terrasse ging jetzt plötzlich aufs Meer, war er noch dabei, einen Platz für seine hohen Lautsprecherboxen zu suchen – erst für die Anlage, die er neben dem Schreibtisch montierte; d a n n für die Boxen, weil ganz falsche angeschlossen waren. Er hatte etwas vorspielen wollen; „die Boxenmembranen haben einen Riß… furchtbar, wie sie klirren!“ sagte ihm ein Bekannter, „das könne nicht sein“, erwiderte er… und dann fand, daß ganz falsche Boxen angeschlossen waren, alte, uralte, die in der vorigen Wohnung in irgend einer Ecke verstaubt waren… nur wohin jetzt mit den neuen?
Es war ein Problem des Wohnungsschnitts. Ständig entdeckte Beliebig neue Räume, bis sich am Ende des Traumes der folgende Grundriß aus dem Unbewußten herausgeschält hatte:Es gab noch weitere Zimmer, schon für die sanitären Anlagen, Küche usw., aber sie spielten weder eine Rolle, noch beschritt Beliebig sie in dem Traum. Es mußte auch Räume für Frau L. gegeben haben, mit der Beliebig die Wohnung angemietet hatte; allerdings hatte Frau L. ein paar Klauseln in den gemeinsamen Mietvertrag hineingeschrieben, die Herrn Beliebig jeglicher Willkür ausgesetzt hätten. So war er allein eingezogen – ohne eigentlich eine Vorstellung von der Wohnung gehabt zu haben, die sich ihm jetzt erst offenbarte und die sich unter seinen Augen auch ständig zu erweitern schien: was einmal Form gefunden hatte, aber, blieb: so der interne japanische Garten mit dem Podest für das Cellospiel darin, so die heruntergekommene, bröckelnde Stadtbrache in Miniatur, in die das Arbeitszimmer direkt überging; bewachsen mit Brennesseln und dörrem Gras, wo es nach Zement roch und bröckelndem Mörtel und nach Insektennestern, Kellerasseln, Tausendfüßern, Ameisen… da hinein, schließlich, stellte er seine edlen ProAc-Boxen; der Klang konnte nun zu den offenen Seiten hinaus und direkt auch auf den Schreibtisch strahlen; überall sonst in der Wohnung empfing man die Klänge nun indirekt.

Es kamen immer mehr Gäste, sie kamen aus dem Literaturbetrieb, Verlagsleiter, Lektoren, aber keine Kollegen; sie kamen aus dem Showbusiness, fläzten sich in den leeren Wohnraum, nahmen von den Getränken, vom fingerfood, plauderten, standen mit Gläsern herum, während Herr Beliebig ein wenig orientierungslos herumging und einen Raum nach dem anderen entdeckte; lange stand er in dem integrierten japanischen Steingarten und sah zu dem Cellopodest und dachte: Laßt mich allein. Und dachte: Wie werde ich hier draußen leben? So ganz anders, so nur Schreibtisch und Cello und Meer. Davon wachte er auf.

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