Es hat an der Schule meines Jungen in den letzten zwei Monaten „Vorfälle“ gegeben, sogenannte, denn aus dem, woraus hoch aufgeängstigte Elternsorge bereits den Sexualtäter in Sachen Kindersmißbrauch zurechtfantasiert hat – es gingen schließlich Gerüchte von „polnischen“ (!!) Lieferwagen um, deren Besetzung auf Kinderfang sei, die Boulevardpresse machte tüchtig bei alledem mit -, war schließlich nicht mal ein Indiz zu erhärten gewesen, es sei auch nur eine Ordnungswidrigkeit vorgefallen, geschweige daß von Straftatbeständen hätte die Rede sein können. Man muß sich dringend merken, daß man als „fremder Mann“, der in einer Schule gesehen wird, ganz schnell in den Verdacht gerät, ein Monster zu sein, allein des Umstandes einer vorgeblichen Fremdheit wegen, und zwar auch dann, wenn man dort ist, um sich um eine Lehrerstelle zu bewerben. Was sich nämlich herausstellte, daß dem in einem Fall so gewesen war. Schnell tauchten danach weitere Männer auf – oder derselbe; die bei der Polizei abgegebenen Beschreibungen differieren von dunkler bis zu blasser Haut, die Haarfarben von blond bis schwarz und außerdem noch gekräuselt –, die den Kindern Süßigkeiten anbieten usw. Eine Geschichte beschäftigt mich bis jetzt: Ein Mädchen habe im Hort einen fremden Mann auf die Mädchentoilette gehen sehen. Das sei ihr verdächtig vorgekommen, weshalb (!!) sie den Mann verfolgt habe und habe sich in die Kabine neben ihn begegeben, sich dann gewundert, daß unten (man kann zwischen den Trennwänden gut durchschauen) keine Füße zu sehen gewesen seien, weshalb (!!) sie sich auf den Boden gelegt und unter dem Durchbruch unten in seine Kabine hochgelugt habe. Da habe der fremde Mann dann oben auf der Klobrille gestanden und versucht, über die Wände in die anderen Zellen hinüberzublicken. – Soweit der Bericht in der polizeilich aufgenommenen Anzeige. Wenn man es gewöhnt ist, Erzählungen zu schreiben und sie glaubhaft zu begründen, kommt man hier durchaus ins Grübeln.
Dann gab es zweimal Männer, die auf dem Schulhof fußballspielende Kinder angesprochen hätten, ob sie mitspielen dürften. Usw. Auch hieraus wurden amtliche „Vorfälle“; im Rechtsdeutsch ist der Begriff angemessen, überall anderswo ist er schlichtweg falsch, weil er eine den Vorgängen völlig unangemessene Aura verbreitet: Kindesmißbrauch ist ideologisch derart aufgeladen, daß man damit aufs leichteste Gesinnungspolitik betreiben kann, ganz unabhängig von in der Tat berechtigter Elternsorge. Kindesmißbrauch ist ein, kann man sagen, moderner politischer, teils sogar genderpolitischer Propagandabegriff. Das habe ich so zwar nicht gesagt, aber mich in der Diskussion doch sehr darüber gewundert, daß in Sachen Straßenverkehr keine auch nur ungefähr so wilde Elternsorge waltet; vor der Schule meines Jungen sind dringend, dringend, dringend Zebrastreifen anzubringen, wenn nicht sogar Ampeln zu installieren; doch selbst die Bereitschaft, Schülerlotsendienste zu verrichten, ist bei den Eltern minimal. Dabei kommen an einem einzigen Tag im Straßenverkehr mehr Kinder zu Schaden als in einem ganzen Jahr durch Mißbrauchsakte. UND: der Skandal ist doch ein ganz anderer, nämlich: die signifikant meisten tatsächlichen Mißbrauchsakte finden eben nicht im Öffentlichen Raum statt, sondern in den Familien selber. Bloß bietet sich der Straßenverkehr nicht als Projektionsfläche für eigene Verdrängungen an, die nicht selten eine pervertierte Wnschabwehr sind. Das h a b e ich so gesagt. „Was pflanzen Sie Ihren Kindern für Ängste in den Kopf?!“ Ich war wirklich sauer. Es hat Eingaben gegeben, daß der vorübergehende Politzeischutz, unter den die Schule dieser „Vorfälle“ wegen, die doch nur „Meldungen“ waren, tatsächlich gestellt worden war (es patrouillierten zwei uniformierte Beamte und einer in Zivil), dauerhaft eingerichtet werde; des weiteren sollten die Eltern selbst das Schulgebäude nicht mehr betreten dürfen, weil es so viele seien, daß man nicht jeden kennen könne; überdies sollten die Kinder dazu angehalten werden, nur noch zu zweit auf die Toilette zu gehen. Was ein furchtbarer Unfug unterm Strich! Hätte man sowas durchgesetzt, wäre ich fortan jeden Tag mit meinem Sohn zur Schule gefahren, u m mit ihm die Schule zu betreten. Das fehlt noch, daß einem die Schulpflicht die Elternrechte einschränkt.
Tatsächlich aber hat es auf einem nahen Spielplatz einen Vorfall gegeben, bei dem ein Mann Kinder angesprochen hat, ob sie sich von ihm fotografieren ließen. Das ist erhärtet und rechtsanhängig geworden; aber selbst das wurde kein Strafverfahren sondern endete mit einer – für mich gestern abend nicht ganz durchschaubaren – Beleidungsstrafe. Mehr aber war ganz einfach nicht. Berichte aus drei anderen Schulen klingen ähnlich. Vier Polizisten waren gestern abend angerückt, um mit den Eltern zu sprechen. Der Schulleiter bekam von einigen Eltern unterschwellige Vorwürfe, als wäre er eigens in Funktion, Kindesmißbraucher durch Nachlässigkeit einen Schutzraum zu schaffen …
Ich erinnere mich, daß es, als ich selbst Kind, bzw. Jugendlicher, jedenfalls Schüler war, Exhibitionisten gab, eine ganze Welle, die immer wieder meinten, ihre Mäntel vor kleinen Kindern öffnen zu müssen. Da herrschte eine ähnliche Aufregung. Die einzig angemessene Antwort auf sowas hat damals Hannes Wader gegeben. Ich muß mal gucken, ob ich das Lied finde und/oder sogar einen Link darauf einstellen kann. Jedenfalls hat sich das nicht minder hysterisch aufgenommene Phänomen ziemlich schnell auf eine neue Mode heruntergejuxt, nämlich die „Flitzer“.
[P.S.: Die Kinder, aufgrund von deren Angaben es zu den polizeilichen Untersuchungen gekommen ist, verhielten sich übrigens alle v o r b i l d l i c h. Ich frage mich, weshalb so wenig Vertrauen in ihre Kompetenz gesetzt wird, daß man ihnen eine solche nun eigens noch in Sonderveranstaltungen schulen will. Wie man sich in solchen Fällen verhält, wissen sie längst und offenbar besser als ihre Eltern.]
An die Liedzeile erinnere ich mich – da heißt es sinngemäß dem Exhibitionisten gegenüber: ‚Hau bloß ab, mit deinem blaugeäderten Unding‘ !
Merkwürdig genug, dass solche Bruchstücke im Gedächtnis haften bleiben und auf Abruf zur Verfügung stehen.
„…die Kinder umringten ihn laut lachend und schrien, er solle sich mit seinem blaugeäderten Unding begraben lassen…“ (aus: „Ich hatte mir noch soviel vorgenommen“ von der gleichnamigen LP – YouTube)
Das ist ja ein Ding!
(In der Hauptsache hat mich meine Erinnerung nicht betrogen:)