4.51 Uhr:
[Am Terrarium.]
Noch mal >>>> zu Ruzickas Hölderlin-Oper: >>>> S o ist das (ganz abgesehen davon, daß Ruzicka das nicht interessieren muß bei so viel Jubel, den er bekam) falsch, vor allem hämisch argumentiert: Wenn der Kritiker schreibt, weil viele Ruzicka einen Gefallen schuldeten, werde er regelmäßig aufgeführt, und dann fortsetzt, so seien alle gekommen, die Beweger und Schüttler des Musikbetriebs, die Verleger, Stipendienauslober, Festivalleiter, Theaterchefs, Presselobbyisten, vor allem auch aus seinen früheren und aktuellen Arbeitsorten, in der Berliner Lindenoper zusammen, um seiner jahrelang angekündigten „Hölderlin“-Oper zu huldigen, dann ist das die reine hämische Rhetorik, die Argumente-an-sich schon gar nicht mehr zuläßt, sondern ein persönliches Hühnchen rupft. Das ist widerlich, denn es verläßt dasjenige, um das es geht, und betreibt Lobbypolitik seinerseits. Von sowas möcht ich mich doch gerne distanzieren. Wobei man sich bzgl. welt.online dann wiederum wundert, daß im eigenen Lager so öffentlich geschossen wird. No jo, um einmal wieder mit >>>> Buschheuer zu sprechen. Mit der der Kontakt nun endgültig abgerissen zu sein scheint.
Ich muß nachher schnell aus dem Haus, wir müssen noch einen Jungen sozusagen in den Zug setzen, jedenfalls zur U-Bahn zum Zug schicken, damit er einen wichtigen Termin wahrnimmt, das ist dringend heut früh; um Viertel vor zehn muß und will ich zur Cellostunde in Schöneberg sein und mich vorher wenigstens eine halbe Stunde lang eigespielt haben, und dann hab ich abends abermals eine Cellostunde: erste Probe zu dem kleinen Weihnachtkonzert. Ich übe also Weihnachtslieder. Hübsch. Zumal ich ganz zufällig mitbekommen habe – es steht überm Notentext -, daß O du fröhliche aus Sizilien stammt. Ganz zufällig bekam ich ausgerechnet da die sangliche Hauptstimme. Dann hab ich jetzt, für die Wochenendveranstaltung (übermorgen geht’s >>>> ab nach Oldenburg), lesend >>>>> den Jörg Albrecht am Wickel; Neumeisters >>>> Angela Davis-Buch liegt oben drauf, bzw., wenn ich lese, darunter. Nach der Konzertprobe Treffen mit >>>> Uwe Schütte auf ein meinerseits alkoholfreies Bier; mein Ramadan hat sein Bergfest gefeiert.
Guten Morgen.
7.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Gleich geht’s ans die Nachbarn ärgern: ich will mich etwas einspielen für die Cellostunde (habe mir angewöhnt, jeden Tag eine knappe Stunde lang immer dieselben Übungen zu intonieren, Tonleitern rauf und runter, Intervall-Leitern rauf und runter; dreivier Etuden noch). So habe ich das früher, in meinen Anfangszeiten als Schriftsteller (also seit ich fünfzehn war), auch mit der Literatur gehalten: täglich vier bis fünf einzeilige Seiten schreiben, egal, ob ich eine Idee hatte, egal, einfach schreiben: Technik, Technik, Technik, und wenn es nur war, daß ich die Gardine in meinem Zimmer beschrieb. Ich hab ja schon erzählt, daß ich zur Verwunderung meiner Cellolehrerin, die diese Neigung, sagt sie, n i e gehabt habe, sondern sie habe das gehaßt, gerne Technik-Etuden übe – viel lieber, im allgemeinen, als die einfachen Musikstücke, die natürlich einfach sein m ü s s e n, weil etwas anderes meinem Lernstand noch nicht entspricht. Etuden haben überdies den Vorteil, daß sie Griffsicherheit und Fingerfertigkeit üben. Wie so vieles läuft auch dieses bei mir nachdrücklich über den Willen. Der alte Begriff vom „Kunstwillen“ ist mir geradezu genetisch nahe. Es wird ja immer wieder gesagt, man könne nichts zwingen. Ich halte das nicht nur für falsch, sondern für eine esoterische Ausrede. Zwingen ist darüber hinaus ein moralisch schon vorgefärbtes Wort; ich halte dagegen: man kann alles erkämpfen. So viel Abendland ist in mir.