7.57 Uhr:
[Arbeitswohnung. Fußbad & Fencheltee. Mahler, II. (ff), Sinpoli.]
Seit Viertel vor fünf auf, am Wohnzimmertisch des Am Terrariums am nächsten Segment der >>>> Kleinen Blogtheorie gearbeitet, Post durchgesehen, eine neue Rezension zu >>>> MEERE gefunden, deren ziemlicher Dämlichkeit nicht abträglich ist, daß sie positiv ist; besser argumentierte Verrisse sind mir lieber als solch ein laues, zudem gefühliges Zeug. Suchen Sie selbst, ich verlinke nicht drauf. Dann im >>>> Virtuellen Seminar nachgesehen, da ist wieder was zu tun. Schon war es nach sechs und Weckenszeit, zum Arbeitsjournal kam ich morgens nicht; ich wollte aber auch gern >>>> meinen gestrigen Abschlußsatz noch etwas stehen und wirken lassen. Also die Familie geweckt, dann mit meinem Jungen aufgebrochen, vor der Schönhausertür genau entgegengesetzt je auf dem Rad. Und nach Mahler war mir wieder. Als ich sechzehn war und mir zu Weihnachten die Zweite wünschte, gab es irritierte Brauenwürfe, weil die Sinfonie den Titel „Auferstehung“ trägt. Die hochgezogenen Brauen hatten, erfuhr ich später, nicht nur meinetwegen recht, sondern sogar musikhistorisch: die Sinfonie ist a u c h ein Ausdruck der Konversion des jüdischen Gustav Mahlers zum Katholizismus, was, denke ich, für ihn nicht n u r ein opportunistischer Akt war (um die Leitung der Wiener Hofoper zu übernehmen), sondern eben Lebens- und Gefühlsausdruck eines, der von der tragischen Märchenwelt des >>>> Wunderhornknaben eingenommen, ja besetzt ist, in welcher sich wiederum die mittelalterliche, heidnische Aneignung des Christentums widerspiegelt; man denke nur an Mahlers fast-Fragment gebliebenes frühes >>>> Klagendes Lied: auf einem Menschenknochen Flöte spielen. (Übrigens: >>>> die (soweit mir bekannt) beste Einspielung aller stammt von Kent Nagano).
Ich muß heute früh unbedingt ans Cello, mittags treffe ich Eisenhauer zum Essen, abends ist >>>> Konzert im Konzerthaus; besonders auf den Britten, einen meiner absoluten Lieblingskomponisten, freue ich mich.
8.24 Uhr:
[Mahler II ff., Finalsatz: es stampfen die Motive.]
Gerade schickt mir die Berliner Gazette den >>>> Link zur Site mit meinem Interview.
sundermeiers kritik zeigt vielleicht ganz gut – besonders in den letzten zwei absätzen – dass sie letztlich untergräbt, was sie loben will. sprich, er verhandelt das skandalöse, von dem er dann zugunsten der literatur abzusehen empfiehlt. dazu scheint mir die perspektive nicht mäandernd. auch ein monster kann ich keines entdecken.
es ist nicht die erste und es wird nicht die letzte geschichte sein, die vor allem den magnetismus zweier, die lieben wollen, wo sie ’nur‘ vögeln können, zum thema hat. das ist so skandalös nicht. es ist, in unterschiedlichen graden, der alltag vieler paare, denke ich. sex ist ein guter kit, ein sehr guter, aber er kann sich verheerend auswirken, wenn er zwei unverwandte seelen miteinander verbappt, die ja mehr als einen versuch starten, nicht zuletzt durch die zeugung eines kindes, ihr tertium comparationis zu vergrößern.
es geht nicht ganz so dramatisch aus wie in bruno dumonts 29 palms http://www.filmstarts.de/kritiken/50725-Twentynine-Palms.html, der mir noch sehr präsent ist. was nicht zuletzt an dem ort liegt und der wüste, die ich kenne und so magisch finde, wie irene das meer. es kommt aber vielleicht nicht von ungefähr, dass sich roman wie film orte suchen, die eher zivilisationsfern sind. dumont zeigt deutlicher noch das experiment, das schief geht, die hoffnung auf ein reload jenseits gesellschaftlicher vorgaben und rollen, aus denen seine figuren nicht auszubrechen im stande sind, und gerade in dem moment, wo sie sich am dringensten bräuchten, bricht sich die krude mechanik bahn, von der ich behaupten wollte, sie ist eine eminent gesellschaftliche und keine biologische, oder doch zumindest eine tendenziell veränderliche, denn das ist die biologie, die evolution eben auch, im fluss. ich habe den roman nun nicht hier, aber was blieb mir in erinnerung. ähnlich wie bei dumont sind es szenen, wo sich die figuren zeit nehmen, ihr gegenüber zu studieren, irene beim zwiebel schneiden, katia beim auto fahren. immer dann, scheint mir, entsteht die nähe im detail, um die im ganzen so verzweifelt gerungen wird.
@diadorim zum Zerfall der Leidenschaft. Was Sie erzählen, trifft aber doch nicht nur auf den Sex zu, der ein gutes Bindemittel sei; es trifft auch auf die Liebe zu in ihrer sog. platonischen Form: auch sie kann vergehen, da muß gar kein obsessives Verhältnis noch Verhalten vorweggegangen sein. Der mögliche Zerfall von Zusammengehörigkeiten – möglicherweise auch hormonell gesteuert – ist a l l e n Bindungsformen eigen. Ein Grund dafür, übrigens, daß nahezu sämtliche großen Liebes-Erzählungen mit dem Tod enden: er verhindert ihren Zerfall und macht es möglich, daß die Liebenden Legende werden und sich nicht irgendwann furchtbar kleinlich zerzanken. Es wäre dabei auch zu fragen, was Sie unter „unverwandten“ bzw. verwandten Seelen verstehen und ob nicht vielmehr solche Verwandtschaft selber der Zeitlichkeit anheimfällt. Man kann verwandt gewesen sein, es aber irgendwann nicht mehr sein, sei’s weil man aus sozialen, sei’s aus anderen Gründen schließlich verschiedene Wege ging. Läge es nur an der sexuellen Obsession, der nichts sagen wir Seelisches entspricht, hätten wir nicht eine solch horrende Scheidungsquote.
Der festeste Kitt aber, nein, dem war der Sex nur vorgängig: sind – Kinder.
ich weiß nicht, bürdet man damit einem neuen leben nicht etwas auf, was es nicht erfüllen kann und sollte? und woher kommen dann die vielen alleinerziehenden, wenn kinder so ein guter kitt wären?
in brasilien gehören kinder dazu. sie sind überall dabei. dass familien darum hier trotzdem nicht besser funktionieren, davon singen auch die los hermanos, familie geht vor, schon, aber sie schickt einen kiffenden sohn auch mal in die geschlossene: http://en.wikipedia.org/wiki/Brainstorm_(2001_film).
die scheidungsrate ist hoch, man bindet sich früh, hat kinder, trennt sich wieder, hat weitere kinder. viele haken, wie cellini neulich schrieb, ihr vorgängiges leben einfach ab. es ist ein feld der verletzungen, die nicht selten die freuden überwiegen. was allerdings nicht dagegen spricht, es zu versuchen. keinesfalls.
mir sagte man mal, dass symbiosen krank machten. und so sehr ich dem stattgeben wollte, so sehr rebelliert eben alles in mir dagegen, nein, verdammt, sie sind auch das ganze glück, es ist der selbe kanal, durch den das gift wie die euphorie geht, die leidenschaft, wie die lähmung. ich kann mich auf alles auch nur halb oder teilweise einlassen, dann ist es aber eben auch nur eine halbe sache, mit halbherzigen gefühlen. es gibt einen alltag, der verhagelt einem die ganze schöne leidenschaft manchmal nicht schlecht, es gibt eine mechanik unbrauchbarer wünsche, aber es gibt auch die mechanik gegenseitiger hilfeleistung auf der grundlage von liebe, die so monoton wie eindringlich bei coltrane, eben supreme sein kann.
nein, ich glaube nicht, dass solch eine verwandtschaft einer zeitlichkeit anheimfällt. denn, woher kommt es, dass man sich menschen verwandt fühlt, die man im alltag manchmal kaum erträgt, und wüsste, müsste man diesen mit ihnen teilen, es wäre eine nicht endende kette kleinlichen gezanks, und trotzdem denkt man, man mag diesen menschen, genau so wie er ist, auch wenn er ein ordnungsfanatiker, eine schreckliche schlampe, an schlumpfigkeit kaum noch zu überbieten, von kontrollzwang völlig besessen scheint etc pp. man kann sich darüber aufspulen, aber es will absolut nichts daran ändern, dass man sich diesem menschen verbunden fühlt, obwohl sich kaum phänomenologische ähnlichkeiten entdecken lassen, man anders über andere bücher denkt, anders andere musik hört, sich anders andere kunst anschaut, anders anderes essen isst, weiter grün wählt und nicht die neu linke, was auch immer. kennen sie das nicht?
ich kann mir das nicht erklären, ich führe mir ja selbst immer die bodenständigsten argumente vor augen, sage mir, hör mal, das lag doch nur daran, dass dies und dass das. aber andere haben auch dies und das und es ließ einen völlig kalt. ich kanns mir nicht so wirklich erklären, nicht mit luhmann nicht und auch nicht mit deleuze, hm. und dann fängt man an, rumzukaspern, wie der kleine schmuddelige wall-e, der so unnachahmlich seine greiferchen aneinanderstößt. pausenfüller von verlegenheitsgesten in der so eine ganze leidenschaft zu schrottgepresst platz hat. que fofo.