Aufräum- und Strukturierungsjournal (2). Dienstag, der 2. Dezember 2008. Mit Wim Wenders‘ Palermo Shooting und Der Deutschen Oper Berlin.

4.59 Uhr:
[Am Terrarium.]
Pünktlich auf: Äußer(lich)e Strukturierungsaktionen wirken auf mich sofort, und zwar auch dann, wenn es nachts zuvor spät wird: Ich sah gestern abend Wim Wenders‘ „Paleromo Shooting“ und saß danach mit dem Profi bis halb eins im Prater, wo ich wieder trank; ich hatte schon daheim, beim Abendbrot, getrunken:: dort zwei Gläser Wein, da zwei Gläser Bier. Der Ramadan ist vorüber, jedenfalls meiner. Gegen eins lag ich im Bett, um halb fünf bin ich hoch.
Gearbeitet habe ich gestern, wie vorausgesehen, gar nicht, aber bin auch nicht ans Cello gekommen. An die zehn Müllsäcke schleppte ich aus Küche und Flur die drei Stockwerke hinab, lauter altes Zeug, von dem ich die beiden Räume befreite; nun haben immerhin auch die Bücher, die sich bislang auf dem Boden des Arbeitszimmers stapelten, einen Platz an der Wand gefunden. Das sieht ganz nett aus: eine lange Reihe Geschirrzeugs, eine lange Reihe Bücher, eine Reihe mit Töpfen, Medikamenten, Rauchkrimskams, anderem Krimskrams, eine weitere Reihe Bücher; die Geräte, die ich nicht mehr nutze, sondern über ebay verticken will, wozu ich aber nie Zeit habe, kamen in eine zuschließbare Hoch-Ablage; dann wütete Domestos auf den Arbeitsplatten, dem Herd, in der Spüle; dann kamen alte Schuhe aus dem Flur weg (aufs Rad, zum Helmholtzplatz fahren, die Schuhe ordentlich unter eine Parkbank stellen, auf welcher sonst immer Obdachlose sitzen – gestern saßen sie nicht da, denn es regnete) – nur die Böden gesaugt und geputzt hab ich in Küche und Flur noch nicht; erst einmal ist heute das Arbeitszimmer dran, auch da gibt es manches zu entmisten; ich schätze mal, es wird dafür abermals ein Tag verstreichen, abermals werde ich nicht arbeiten, abermals kaum ans Cello kommen – na gut, heute abend, bei der Probe für das kleine Weihnachtskonzert. Ist das Arbeitszimmer entmistet und umgeräumt und aufgeordnet, geht die Putzerei los; mit etwas Glück bereits heute, mit etwas Unglück erst morgen.

„Palermo Shooting“: K. hatte so begeistert davon erzählt, daß ich unbedingt hineinwollte, zumal ich viele der Handlungsplätze gut kenne. Jetzt denke ich: Irgend etwas fehlt an dem Film, irgend etwas erreicht er nicht, das er hätte erreichen müssen; es hängt, glaube ich, mit etwas Allegorischem zusammen, das sich nicht einstellen will, obwohl Wenders es anruft wie sein Veni Creator Spiritus. Es hängt womöglich aber auch d a mit zusammen, daß ich den Tod in einem Kapuzenmantel nicht recht ernstnehmen kann, weil ich immer an Star Wars denken muß. Dann werden die Catacombe dei Cappuccini herbeizitiert, in ein paar Bildern, die nur der zuordnen kann, der diese Grüfte kennt; dann aber ist ihre Wirkung hier zu beschwert, wie als ob es irgendwas sein könnte; sie sind wie ein Platzhalter, wie in der rechten Backentasche meines Sohnes der tote Milchzahn, den der Zahnarzt gern erhalten möchte, bis der Zahn darunter durchgebrochen ist; beim Zahnarzt war ich mit meinem Jungen gestern nämlich auch, nachts zuvor war ein Stückchen Zahn herausgebrochen und hatte so geblutet, daß der Bursche Angst bekam. Aber in die Überlegung zurück: für einen toten Milchzahn ist der Tod zu groß; zumal ist die Geschichte der toten Milchzähne Palermos (rund achttausend; >>>> mir selbst sind sie Inspirationsquelle gewesen) etwas ganz anderes als das, wozu sie bei Wenders „stehen“. Wiederum schön, daß Wenders Palermo nicht zur Platte touristischer Attraktionen wird; allerdings hat er ein seltsam entvölkertes Palermo im Blick, als wäre allezeit zur Siesta gefilmt worden, wenn tatsächlich oft kein Mensch auf der Straße ist. Höchst selten zeigt Wenders das Gewusel; sogar die Vucciria wirkt verschlafen bei ihm.

Kurz vor dem Kino (räumlich und zeitlich) erreichte mich ein Anruf der >>>> Deutschen Oper Berlin: ob ich am Sonntag nachmittag mit aufs Podium kommen würde; es wird ein Gespräch über das Verhältnis von Dichter und Komponisten geben und zuvor unter anderem eine weitere Aufführung von Tschemberdjis Vertonung meines Kindergebetes für K. – Ich habe spontan zugesagt, war von >>>> Christian Filips, über den ich nun für den WDR ein Feature schreiben soll, bereits vorbereitet worden. Die Vorbesprechung wird am Sonntag um 15 Uhr stattfinden, die Veranstaltung selbst beginnt um 16 Uhr. Sie steht bei der Deutschen Oper nicht im Spielplan, ich konnte bislang auch noch keinen anderen Hinweis auf ihrer Website finden; also frag ich mal nach und informiere Sie dann entsprechend weiter.
Guten Morgen. Ab etwa acht verwandle ich mich dann wieder in eine Dreckbeseitigungsmaschine. Gut ist, daß man dabei Musik hören kann. Solang nicht der Staubsauger jault.

15.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Boulez, „Pli sélon pli, Portrait de Mallarmé“ für Sopran und Orchester. (Cass. -„Projekt“ Nr. 74).]
Chaso, Chaos, Chaos: Noch immer nicht fertig mit der Räume- und Ausmüllerei. Immerhin sind Arbeitstisch I und II fertig, und jetzt sitz ich am vermüllten Schreibtisch und greife durch… sogar mein Cassetten„projekt“ hat eine Bremsung erfahren; nicht aufmerksam, nahm ich abermals die Cass. 74; aber Boulez‘ Stück lohnt es wiederum. Dann ruft die Cellolehrerin an, ob ich eine Stunde früher könne, was mir so g a r nicht paßt; selbstverständlich hab ich zugesagt. Aber vorher muß unbedingt noch mindestens eine Stunde geübt werden, auch wenn das meinen Aufräumplan hemmt. Zum Putzen, Staubsaugen, Aufwischen komme ich eh erst morgen.

Dann noch >>>> Dielmann: der Jerusalemer Drucker melde sich nicht mehr; er, Dielmann, habe nicht die geringste Ahnnung, wo DER ENGEL ORDNUNGEN jetzt seien und ob die Bücher überhaupt fertigseien. Ich: „Er geht nicht mehr ans Telefon? Hm, rächt der sich?“ Da lacht Dielmann auf, Humor hat er ja: „Es sieht so aus, aber ich wüßte wirklich nicht, wofür.“ Jedenfalls habe er, abermals Dielmann, jetzt für ein paar Vorab-Bände eine andere, deutsche Druckerei beauftragt. Undsoweiter. Anruf beim >>>> Kesselhaus, wegen des Carla-Bley-Konzert es am Donnerstag: ob meine Anfrage wegen der Pressekarte im Spam gelandet sei… – O nein, Entschuldigung, man habe nur ganz vergessen, mir zu antworten; es sei alles in Ordnung, eine Presse- und eine Kaufkarte seien hinterlegt. Noa oalstan.

Weiter mit Räumen.

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