Silvester- und Raunachtsjournal. Mittwoch, der 31. Dezember 2008.

7.15 Uhr:
[Arbeitsjournal. Furtwängler, Sinfonie Nr. 1.]
Wenn große Dirigenten komponieren, bedeutet das nicht, daß auch d a Großes herauskomme; Ausnahmen waren sicher Leonard Bernstein, aus dessen erster Sinfonie ich ein Thema für >>>> mein Jerusalem-Hörstück als Leitmotiv beigezogen habe, und der von ihm so verehrte Gustav Mahler; Ausnahme ist sicher auch Michael Gielen, von dem ich zwei ausgesprochen beeindruckende Kammermusiken kenne. Aber Furtwängler macht, was Nietzsche Wagner vorwarf: Musik aus Akkorden; mit ein bißchen bequemer Melodik, damit es schön klingt. Ich laß es dennoch laufen.
Ich schlafe und schlafe; es ist, als würde ich in diesen Raunachtstagen nachholen; komme einfach nicht um halb fünf raus, auch heute nicht, obwohl ich bereits kurz nach zwölf auf meinem Couchlager lag. Am Terrarrium eine sehr verstörte, vor Hin- und hergerissenheit traurige Frau, die ich momentlang in den Arm nahm, um ihren Kopf zu streicheln. Ich bin sowas von ruhig und sitze sowas von neben mir vor lauter besonnenem, ja besinntem Überblick. Das hatte was Meditatives und vor allem: Väterliches. Auch dem ist in den BAMBERGER ELEGIEN Ausdruck zu geben. Danach dann der „Feuerwind“, da hat mich die Site getäuscht. Das war ein nervöses Wehen in Gebüsch. Mit schönen Zähnen und schönen ausgestellten Brüsten, aber richtungslos ungespannt. Die Brüste reizten mich, die Zähne reizten mich. Ein Tattoo im Nacken, das leider nicht sorgsam appliziert war, eines am rechten Handgelenk; von möglichen anderen weiß ich nichts. Neigung zur Zote und zu heftig vorgetragene Abneigungen gegen das, worin sich dieses Windlein im Wind zugleich gerne aufhält. Der vorgestellte, inszenierte Ausdruckswille eines Zaunkönig-Kükens, das gegen alles Bewußtsein flügge wurde und zwischen dauerndem Runterfallen und Hochfliegen hektisch flattert. Daß ich mir in meiner Fantasie vorstellen konnte, dieses angepunkte Rockgirl vertone punkig (ich stellte mir darunter schmutzig vor) meine Verse, ist allerdings eine nicht mindere Groteske. Als ich mir gegen die Kälte den Schal zum afghanischen Turban über den Kopf band, fing sie heftig zu lachen an und sagte: „Aber Sprengstoff hast du n i c h t am Körper?“ Ich hatte keine Lust, dazu etwas zu sagen. Das Feuerwinderl löst Konflikte durch Verniedlichung, was einer angemessenen persönlichen Logik durchaus entspricht: nichts ernst zu nehmen, ist eine Form der Ich-Erhöhung dadurch, daß das, was einen bedroht, ins Komische reduziert wird. Aber immer wieder in unserem Gespräch brach ein enorm bedrohter Blick hindurch, einmal, ich war kurz auf der Toilette gewesen, brach das Geschöpfchen fast ganz in sich zusammen und erzählte, als ich zurückgekommen war, geradezu unvermittelt von einer Mißbrauchssituation, in die es bei einem anderen Blinddate geraten war. Als ich nachfragte, schnappte sofort wieder die Abwehr ins Schloß; das war zu hören wie ein Schlag mit der Gerte.
Ich saß allezeit neben mir und dachte: was willst du eigentlich hier? Vögeln? Ja. Die Brüste lockten, die Zähne. Aber wieder eben auch: Nein. Was tust du, wenn ihr in der Erregung das Gesicht zerfällt? Und was tust du mit einem Tierchen dann, dem du das, was es eigentlich, das lag so sehr auf dem Tisch, braucht: Seelenliebe… – dem du die nicht geben kannst? Ich bin mir sicher, sie spürte ganz genau so, daß ich es nicht könne, mal gänzlich abgesehen von den anderen grundsätzlichen Differenzen. „Ich werde von Männern immer als Trophäe betrachtet“, hatte sie mir in einem Chatgespräch gesagt. Etwas in der Art wäre sie auch für mich gewesen. One Night Stands sind erlaubt, ja, aber nur mit Frauen, die genau das ebenfalls wollen und die w i s s e n, daß sie es wollen. Alles andere ist, letztlich, ein Mißbrauch.

Eine Nebenfigur also, aber ein Lehm, der sofort zerfällt, wenn man ihn für einen Roman formen möchte. Völlig anders als die hochgebildete, so schmalfeine wie sensible Elbin, die sich immer dann bei mir meldet und herkommt, wenn sie einen akut devoten Sexualschub hat und mich sie ihn ausleben läßt, was dann b e i d e genießen; und anders als Αναδυομένη sowieso, bei der mir nicht mal der Gedanke kommt, sie zu einer literarischen Figur zu machen. Übrigens m e i n e Form der Abwehr, glaube ich. Sie gehört offensichtlich in die Mechanismen der Sublimation: fast zu banal, um’s eigens zu schreiben. Nicht banal ist, daß, jedenfalls bei mir, diese Abwehrform keine Form der Reduzierung, sondern im Gegenteil der Erhöhung ist und damit der Grundbewegung meines Liebens folgt: Bewunderung. Nahezu alle auf diese Weise „verarbeiteten“ Frauen wurden Göttinnen: Anna Häusler im Wolpertinger, die Vergana aus der Niedertracht, Corinna Frieling und Elena Goltz aus den Andersweltbüchern, Irene Payaam aus Meere, Ciane im Sizilienbuch und sogar die Rebellinnen im New-York-Roman. Frauen, die mich nicht eigentlich berührt haben, haben auch nie einen Reflex in einem der Bücher gefunden, auch dann nicht, wenn ich mit ihnen sagen wir ein halbes oder ganzes Jahr zusammenwar; es gehört viel Schmerz dazu, um einen solchen Weg zu gehen. Das, übrigens, hat die Duse dem D’Annunzio ganz zu recht vorgehalten, daß er sie in „Il fuoco“ vorgeführt habe wie eine Marktfrau: „Ich hätte besser eines deiner Bücher gelesen, als dich zu lieben.“ Dennoch, bis in Krankheit und Alter, als er sich zugleich immer noch junge Frauen in Il Vittoriale zuführen ließ, dennoch hatte er bis zu seinem Tod vor seinem Schreibtisch die Büsten der Frauen aufgestellt, die er wirklich geliebt hatte: täglich sah er ihnen ins Gesicht. Das ist das Einzige, was mich beeindruckt hat, als ich seinerzeit >>>> Haus und Gelände besuchte.

Heute ist der letzte Tag des Jahres. Es die alljährliche Zeit für den Rückblick.

9.12 Uhr:
…. imgrunde denke ich, daß das Einzige, was es verlohne, noch geschrieben zu werden, Gedichte sind. Seltsames Ergebnis nach so vielen Romanen und Erzählungen und einem Riesenroman, der quasi fertig ist, aber noch für den Druck gefeilt werden muß. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen: wozu? Meine Frage erinnert mich an des alten Nabokovs Ausruf, er habe die Fiktionen satt. Womit er, selbstverständlich, die permanenten literarischen Verstellungen meinte. Es ist ein ungemeiner Vorteil, daß Lyrik sie nicht braucht.

2 thoughts on “Silvester- und Raunachtsjournal. Mittwoch, der 31. Dezember 2008.

  1. Nur so am Rande Ich lese hier eigentlich auschließich das Arbeitsjournal, sowie diverse Kommentare, oder die Tagebucheinträge von Cellini, die mir noch ganz wichtig erscheinen. Und komischerweise kann ich ihnen dieses seltsame Leseverhalten meinerseits vermutlich sogar genau erklären: Sie reden immer fort davon, dass dieses Blog im Grunde genommen ein fortlaufender Roman; doch ist ihnen irgendwann schon einmal in den Sinn gekommen, dass eigentlich sie selbst diesen Roman bestimmen und vielleicht sogar unbewusst steuern? – Ohne persönliche Unterstellung, doch ich denke tatsächlich, dass sie ein Werk mehr oder weniger forcieren, um ein Denkmal zu setzen, welches zu Lebzeiten ungebührig und keinesfalls sein darf, Die alles entscheidende Frage ist doch, wie kann ein Mann, der in den zurück liegenden Jahren etliche Bücher veröffentlicht hat, nicht von deren Erlös leben, geschweige denn ein angemessenes Leben führen kann? – Dieser Gedanke, nämlich, dass Menschen, die andauernd kreativ und künstlerisch tätig sind, nicht von ihrer Arbeit leben können, macht mich sehr traurig und lässt mich zugleich an den Grundprinzipien der Gesellschaft zweifeln. Wie kann es sonst sein, dass ein unbedeutender, aber für den Staat so wichtiger Beamter im Durschnitt mehr an Verdienst und Sicherheiten genießt, als ein Künstler auf all seinen unsicheren Pfaden, der zudem weitaus mehr riskiert, weil er niemals weiß, wohin ihn seine ungewisse Reise eigentlich führt.
    Es ist irgendwie seltsam, doch die Menschen scheinen tatsächlich auf den Konsum spezialisiet zu sein, und keineswegs auf irgendeine Art von Kunst. Seltsam deshalb, weil wir beinahe unsere gesamte Geschichte, und somit auch unsere Erinnerung, fast ausschließlich den sogenannten Künsten zu verdanken haben, wozu übrigens ebenfalls die Wissenschaften zählen.

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