10.1.2009. Αναδυομένη.

9.42 Uhr:
[In der Muschel. Küche.]
Ich führe diesen Eintrag unter >>>> „Tagebuch“, nicht unter >>>> Arbeitsjournal, weil das angemessen ist, weil das anders falsch wäre. Die Tage verstreichen. Sie verstreichen organisch, fast ein wenig willenlos, sie verstreichen, wie Ebbe und Flut geht, verstreichen in Umarmungen und langen, langen Gesprächen, von denen ich merke, wie ich sie vermißte, verstreichen in einer Form von Vertrauen, das keinen auf ständige Alarmbereitschaft sensibilisierten Moment kennt; wir können gegenseitig sprechen, von Liebessituationen, von Impulsen des Begehrens, von unserem Umgang mit Körpern, dem eigenen Körper, dem fremden, dem von w i e d e r fremden Körpern; von Traumata und anderem, das uns zu dem gemacht hat und macht, was wir sind. Das „rein“ „perverse“ Begehren tritt momentan ein wenig in den Hintergrund; ich bin sehr erschöpft, liege manchmal nur da, um mich anzuschmiegen, einfach nur schlafen mögen, einfach nur Atem spüren mögen, dann wieder zusammen etwas schauen, gestern „L’histoire d’O“ in einer ziemlich schlechten fünfteiligen Langfassung, an der vor allem die Musik stört: aufdringlich mainstream, über alles drübergeschmiert, in fast derselben Lautstärke, in der aus dem Off gesprochen wird, in der auch die Dialoge geführt werden: man merkt so genau, was möglich gewesen wäre (das übrige Setting stimmt völlig, die Besetzungen stimmen usw.), aber man merkt auch, wo der Schärfe ausgewichen, wo versucht wird, die verfilmte Obsession mit einer letztlich d o c h kleinbürgerlichen Vorstellung von Harmonie kompatibel zu machen… so daß wir einfach einnickten, nebeneinander, erst sie, dann, erwachend, merkt sie: ich auch, ob die Hand dieser Venus nun um meine Hoden liegt oder nicht… und wirklich erwachend, morgens, aus einem Tiefschlaf, dessen letzten Traum ich noch kenne: daß ich gestorben war, „ein Restzweck, so lag er da“, nennt sie mich aus dem Off, ja, aus dem Off dieses „O“-Films, mit derselben darübergeschmierten Musik, unsentimental aber in der Stimme: wie eine emotionslose Feststellung: das Fakt ist, was das Fakt ist. Ich wache auf und erzähle von diesem Traum, und sie lächelt. „Hast d u ein Unbewußtes!“ sagt sie wie einen stillen Ruf.
Abermals die Gespräche, wir können gar nicht aufhören zu sprechen; es ist, als hätte ich Jahre nachzuholen, das hab ich ja auch. Auch sie hat Familie, und wir werden das schützen. Verfangenheiten. Verfallenheiten. Immer wieder: die tragische Verfaßtheit des Menschen in seinen Begehren und seinen Normalitäten, und: das s e h e n, das wissen: das annehmen. Ja, so bin ich, ja, so bist du, ja, so sind wir. Ich erzähle von meinen Devoten, sie hört zu; sie erzählt von ihren… nun ja, nicht eigentlich Sadisten, wo es gut ist, ist es doch immer auch mehr…. sagen wir: sanften Dominanten, die sie führten, und sie lernte; „sanft“ meint nicht „soft“, „sanft“ meint: spürbereit.
Die Woche verstrich quasi ohne einen Handschlag Arbeit. Ja, ich war am Cello, aber auch da momentan ganz sanft, ich nehme das Instrument, übe mein tägliches Ritual, übe die drei Etuden, die mir bis zum Dienstag aufgegeben sind, und immer danach spiele ich ein bißchen vor mich hin, ein paar der Stückerl, die ich schon kann und harmonisch mag, nehme dann immer mal wieder das Cello und spiele einfach n u r sowas… alles fließt. Abends kochen wir. Dann denke ich, wie absurd das alles sei, daß vor allem Rebecca, die doch, um eben so etwas wiederzuleben, ausgebrochen ist, nun genau diejenige ist, die es n i c h t bekommt, nicht derzeit und nicht, weil eben die Umstände so sind, wie sie sind… indes es m i r wird, der ich n i c h t ausgebrochen wäre.
Und ich lese wieder vor, gestern las ich die Hälfte des Scherzos vor, fast sechzig Seiten am Stück, „wieso verstehen die Leute das nicht? weshalb haben sie solche Schwierigkeiten mit dem, was du schreibst? weshalb finden sie das zu schwierig, zu exzentrisch, zu ich weiß nicht was? Das verstehe ich nicht.“ Ich kann es ihr kaum erklären, lese dann einfach weiter. Fast immer begannen meine Liebesgeschichten so, oder es begleitete ihren Beginn doch deutlich: daß ich vorlas, daß wir lachten, daß ich manchmal selbst den Kopf schüttelte über diese Formulierung, jenen Einfall und beider nur scheinbar abstrusen Weiterungen. Es ist dies etwas, das ich aus meinen D/s-Inszenierungen sonst strikt ausschloß, nicht zuließ, so daß mir keine der Frauen wirklich nahkam, was auch wieder einen enormen Sexualreiz hat; aber hier jetzt, bei der, die der Muschel entsteigt, spielt das keine Rolle: wir können wechseln. „Ich will alles können, was dich erregt, aber ich bin nicht devot“, hatte sie mir zu Anfang der Bekanntschaft gesagt, „ich will Hingabe“, schrieb sie einmal, „das kommt wahrer Devotion dann sehr nah, es ist sie aber nicht“. Umgekehrt tu nun ich mit ihr, der Masochistin, was ich mit keiner anderen bisher tat, ja abgelehnt hätte, und: es bereitet mir Lust. Ohne inneres Schuldgefühl. Es ist schlicht berauschend, wie erregt sie wird davon. Hat dann noch diesen Kopf mit dem vielen darin, dem vielen, das eh schon drin ist, dem vielen, von dem sie will, daß es hineinkommt. Nebenbei lerne i c h viel von Naturwissenschaft, und sanft hakt sie zweidreimal bei Stellen in meinen Romanen ein und sagt: Oh, das stimmt aber nicht, das hätte zumindest dein Lektor überprüfen müssen. Dann stört mich nicht, daß es nicht stimmt, ich finde das Buch deswegen nicht weniger gut; nur für ein nächstes Buch werd ich’s nun wissen.
Im Hintergrund läuft Pop. Ich höre zu.

(Mein Junge ist bei seiner Freundin. Am Nachmittag, nach dem Cello, werden wir gemeinsam ins Pergamon-Museum gehen, und abends möchte er gern bei mir in der Arbeitswohnung schlafen.)