Der immer wieder nächste Gott. Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper Berlin in Robert Carsens Regie.

Dies nennt man >>>> einen rauschenden Erfolg, der mit sicherer Hand auch nicht Hofmannsthal kritische Intentionen vergessen läßt, die, zu des Dichters deutlichem Naserümpfen, Strauss selber durchaus vergessen ließ; >>>> Robert Carsen holt sie schon dadurch feinsinnig auf die Bühne zurück, daß die vielen verschiebbaren Bühnenspiegel des Vorspiels nicht nur eine Zeit lang den Dirigenten, sondern vor allem das begeisterungs(- und zahlungs)bereite Publikum sich selbst sehen lassen, auf das Hofmannsthal ja durchaus a u c h seinen Kunstlebens-Vorbehalt gemünzt haben könnte. Nicht nur das aber, sondern Carsen läßt wichtige Auftritte direkt aus den Saaleingängen vornehmen, ja der Komponist-als-Rolle setzt sich schließlich zum Publikum mit hinein. Sowieso mutet diese Ariadne von 1912, bzw. in der nahezu immer und auch hier aufgeführten Fassung von 1916 wie eine Vorwegnahme dessen an, was fünf Jahre später mit Pirandellos Sechs-Personen-Stück für das Sprechtheater zur zeitweilig bahnbrechenden Störung der Illusionskonventionen werden sollte. Das hat bis heute nichts von seiner ästhetischen Einspruchskraft verloren, ja gewinnt sie in einer Zeit ganz besonders wieder, in der durch den hollywoodgeleiteten Spielfilm eben diese Illusionskonvention zur wieder vorherrschenden Macht einer manipulativen, also politischen Konstruktion von Wirklichkeit(en) geworden ist. Daß Richard Strauss letztlich etwas anderes in die Feder geriet, als der aristokratische, nicht ganz dünkelfreie Dichter-Librettist wollte, bleibt zugleich legitim, da Zerbinetta der Illusion von Liebe, über die sie zugleich so sehr spottet, doch selbst wieder und wieder, und gerade jetzt neu, anheimfällt – das gehört zu den Geheimnissen einer geradezu mythischen, aber eben ständigen, wieder und wieder wiederholten und erlebten Menschlichkeit von der ersten bis zur, möchten wir sagen, letzten Liebe, die alle immer, wenn sie Lieben s i n d, eine erste Liebe b l e i b t. Wen lieben wir, w a s lieben wir, wenn wir lieben? Projektionen. Doch Projektionen doch nicht n u r. Das Blut rauscht immer neu und Ja! Blieben Tristan und Isolde am Leben, auf Isolde-am-Herde, auf Tristan-im-Lehen folgten neue Isolden, neue Tristanen, aber alle von denen wären Isolde und Tristan uneingeschränkt wieder d o c h. Und bleiben es: Ein für alle Male/ist’s Orpheus, wenn es singt.
Von außen betrachtet, gibt das autonomen Anlaß zu schmunzeln, innen, selbst dem Schmunzler, geschieht das Geheimnis. Es ist die Kompositionskunst gerade dieser Oper, wie unser aller emotionaler Grundwiderspruch, eine de facto unmögliche Vereinigung von spöttischem Figaro und leidensgetriebenem Fliegendem Holländer, in die Musik schmilzt, und mit welcher Leichtigkeit das geschieht. An letztrer hat Hoffmansthals innig-poetische Distanziertheit den wohl größten Anteil. Man könnte sagen, Straussens musikalisches Feuer, das in der Partitur noch durch die ziselierteste Lockendreherei hindurchbrennt, habe den Dichter letztlich davor bewahrt, nichts anderes geschrieben zu haben als eine abfällige, doch, Hand aufs Herz, auch dann müßige Geste gegenüber dem geschäftshuberlnden, auf billiges Entertainment angelegten Kunst- und Mäzenatenbetrieb, wenn man den Mäzen zeitgenössisch als Sponsor verstehen wollte.
Der redet selber nicht, wiewohl er bei Carsen mit auftritt, von Carsen im Geschäftsanzug so treffsicher typisiert wie der Tanzmeister, der, wenn er nichts zu tun hat, nach dem Beat aus den In-Ear-Phones seines I-Pods sitzend vor sich hinravet. Und Hofmannsthals Intentionen finden bei Carsen auch darin Gehör, daß er statt des wohl von uns allen auf der riesigen Rückleinwand erwarteten Feuerwerkes den Haushofmeister den Impresarii beider Darstellertruppen weiße wohlgefüllte Briefumschläge überreichen läßt: Man muß nur sehen, um zu wissen. Carsen inszeniert fein, er klotzt nicht. Das Gegenmodell wäre, schlüssig und a u c h wahr, >>>> Bieito.
Überhaupt liegt eine enorme Stärke in Carsens Nebeneinfällen, zu denen letztlich auch der Haupteinfall gehört: es sind die roten High Heels Zerbinettas, die Carsen dadurch geerdet hat, daß er alle Mitwirkenden außerhalb der realistischen Staffage barfuß auftreten läßt, auch dadurch, daß er die Identität der Hauptpersonen der Ariadne-Oper-in-der-Oper durch Tänzer wie infinitesimal multipliziert: doch bleiben sie eben identisch. Wobei die nackten Füße nicht zuletzt dasjenige sind, was sowohl den Eros als auch die Erotik dieser Inszenierung jenseits einer sonst allzu leichtfertig hininszenierten Nacktheit überhaupt möglich macht: als Zerbinetta ein erstes Mal, im schon Beisammensein mit dem jungen Komponisten, ihre Perücke abnimmt, wird diese Nacktheit unfaßbar zur Zerbrechlichkeit. Was auch immer Regie und Bühnenbild noch an Bildkraft aufbringen: alles fokussiert sich in solchen kleinen Gesten und hebt sich, hegelsch formuliert, darin auf. Das meint den heftigen Symbolismus des die Schwärze durchbrechenden weißen hohen Lichtes vollen Umfanges m i t, von dem wir gegen Ende der Oper zunehmend und schließlich so sehr geblendet werden, daß wir das tragödische Liebespaar nicht mehr anders denn als scharfe Konturen noch erkennen können.
Bei all dem ist das Gelingen dieser herrlichen Inszenierung den Sängern – und dem Orchester unter >>>> Jacques Lacombes Leitung – zu verdanken, und zwar bis in die leibhaftige Typologie; auch die musikalisch nach wie vor klebrige Wasser-und-Blumenmädelei der drei Najaden läßt sich nun, als ein Zitat eben, akzeptieren, und sogar >>>> Violeta Urmanas heroine Korpulenz geht in den „Dienst“ ihrer großen Stimme ein, anstatt daß sie, wie es bei minderen Regiearbeiten wäre, sich lächerlich gegen sie querstellt. Hier ist alles wahr. Da muß man von >>>> Jane Archibalds stimmlicher, na sowieso, aber auch leiblich präsenter Schönheit gar nicht mehr schwärmen… nach ihrem großen Solo tobte der Saal; ich selber tobte mit. Daß die heikle, oft nur pressend zu bewältigende Bacchus-Partie von >>>> Roberto Saccà geradezu schwebend leicht, wie Seide glatt, genommen wird, gibt der Aufführung auch noch das letzte Scheinen einer Opern-Perfektion, die uns danach glücklich auf die Straße zurücktreten läßt. Wo unserer eben auch, und immer wieder ein neuer, Gott der Liebe auflauert. Sofern wir das, Ariadne, der Oper fürs Leben denn gestatten.

[Nächste Vorstellungen im Februar:
Mittwoch, 11. Februar.
Donnerstag, 19. Februar.
Sonntag, 21. Februar.
Freitag, 27. Februar.
Je um 19.30 Uhr.
>>>> Karten.]

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