Nur mit schlechtem Gewissen. Stefan Herheims Lohengrin-Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

Bevor ich loslege: Im zweiten Aufzug >>>> dieses Lohengrins gibt es die beeindruckendsten Opernszenen, die ich je sah, inszenatorisch, bühnenbildnerisch, gesanglich. Er enthält wohl auch die beste Musik dieser Oper, vor allem im ersten Teil, da, unter dem Mond, der sich, auf den bühnenhohen, rundgezogenen Vorhang projeziert, derart leibhaftig in einen riesigen Totenkopf verwandelt. Überhaupt: die Verwandlungen! Wie der Vorhang gleich zu Beginn als Gral herabgelassen wird, wie er sich aufweht, ständige Kulisse und Leinwand, auf der Ortrud, die vorn an der Rampe dunkel die alten Mächte beschwört, Zweige und Äste und Blätter aus den Armen wachsen und unversehens Yggdrasil, die Weltesche, auf der Bühne ersteht, um deren Rechte die glühende Frau intrigiert – ja wie insgesamt aus den Personen Marionetten werden, und keiner weiß recht, wer sie zieht… Wagner selber, jaja, so legt’s uns der Anfang und legt das Ende hier nahe, aber der wär nicht selbst nur gezogen? denn w e r, im Vorspiel, saugt ihn in den Gral denn, zieht ihn an seinen Fäden hinein? Und selbst der Anfang des Dritten Aufzugs zitiert wieder Syberberg, seine Schneekugel nämlich; der freilich kommt im Programmbuch dennoch nicht vor; aber hatte nicht e r den >>>> Parsifal in Wagners Kopf hineininszeniert, und was >>>> hält Hellmut Lange als Hitlers Kammerdiener auf dem Schoß? Stefan Herheims Opern-Regietheater ist tatsächlich bei >>>> Syberbergs Filmästhetik angekommen. Das mag rein in der Sache liegen, in ihren Herkünften und den psychischen Maschinen, die sie bedienen – bis hin zu dem seltsam ufo-artigen Gebilde, das sich zum Schluß vom Schnürboden herab- und auf die Menschen senkt, um sie zu erdrücken: eine mechanoide Idee, die den „menschlichen Erlöser“ Gottfried schon vor der Landung nicht nur abwirft, sondern aus der Höhe brutal auf den Bühnenboden runterknallen läßt: nix Erlösung, will das sagen und: Führer schon gar nicht.
Anders als Syberberg freilich, der in den Mythos hineinwill, versucht ihn Herheim zu sezieren. Er hat so eine Methode der Verkleinerung, zu der Syberbergs Marionetten gut passen; sie stäubt in das feineren Gemütern schwer aushaltbare Heeresjubeln einen nicht unwitzigen Abstand; Brecht hat so etwas beabsichtigt, von dem auch Syberberg ästhetisch herkommt. Nach Art des epischen Theater führt Herheim vor, durchaus im doppelten Sinn des Wortes. Doch ist sein inszenatorisches Temperament ein ganz andres: geradezu kintopartig entwirft er unmittelbar berührende Bilder, die eng mit der auf Pathos angelegten Musik zusammengehen; er spürt dabei sehr wohl, w i e gelungen märchenhaft sein Lohengrin sein könnte, wie verführerisch eben – und haut sich selbst auf die Finger, indem er die glänzende Erscheinung mit Ludwig II und Asterix mixt. Allein dieser Bart! Indem er zudem den Ort des Geschehens als Minimundus einer Kleinstadt aus aufgemalten Bühnenkuliss’chen auf eine Bühne auf der Bühne stellt, bekommt die Inszenierung bisweilen den Character von Dorf zu Dorf rollender Schauspieltingler; sozusagen erlebt man das Pathos, als schaute man durchs Okular und nicht durchs Objektiv, während hinter einem schon jemand „zur Arbeit, Kerl!“ ruft. Dadurch verliert das für unsere Ohren schmerzhaft „Deutsche“, das zur Zeit der Handlung sowieso, aber auch zu Wagners Zeiten noch gänzlich anders besetzt war, die ungute nationale Heroik: bei „Für deutsches Land das deutsche Schwert!“, und das auch noch im Chor, k a n n man als Deutscher nur zucken und ist mit Recht verpeint; andere Nationen, bekanntlich, haben eine solche Empfindlichkeit nicht. Dann wieder vergrößert Herheim, nämlich gerade die intimste Stelle des Stücks, wo sich die Liebe erfüllen sollte, es aber nicht kann, weil das Frageverbot dazwischensteht: die ganze Bühne wird quasi zum Schlafzimmer, dessen Vorhangseiten gerafft sind, und alles ist so sauber weiß, daß auch schon deshalb sich jeder Akt ausschließt, den bereits die kitschige Melodie, im Bühnenbild noch durch überdimensionale Rosenprojektionen verdoppelt, ausschließen würde; sexualfreier läßt sich eine Hochzeitsnacht nicht verbringen. Also muß irgendwie Spannung rein. Was Elsa geradezu logischerweise durchs Übertreten des Frageverbots auch hinkriegt. Nur ist die Spannung jetzt tragisch und führt zum frühen Ende des sehr jungen Glücks; Telramunds Meuchelversuch ist gar nicht mehr nötig. Der Mann ist überflüssig geworden, ästhetisch, und wird von Wagner deshalb schnell erlegt.
Von derselben ausgesprochenen Ambivalenz lebt die Kostümbildung. Treten sie vor Gott – besonders deutlich bei Heinrich -, also werden sie wahr, dann ziehen die Leute sich aus: sie tragen unter der Garderobe geschlängelte enge Trikots mit ausgestellten Brustwarzen. Das hat etwas Zotiges, und die Feigenblätter vor dem Geschlecht – Blattästchen hier – sind ein Ulk, der das noch unterstreicht. Zugleich ist es aber wahrhaftig, und zwar schon deshalb, weil die Trikots unbarmherzig die Körperformen der Sänger nachmodellieren, und wenige von denen sind, sagen wir’s vorsichtig, trainiert. Etwa ist Dorothea Röschmann keine s c h ö n e Elsa, aber eine gute ist sie, und ist es nicht nur stimmlich. Man glaubt ihr die Naivetät, die an jene der Urchristen gegenüber dem verfeinerten, ausgebildeten Geist des antiken „Heiden“tums erinnert. Wenn sie nun quasi nackt dasteht, sich den Blicken aussetzend, die natürlich jede Fettrolle bös registrieren, dann ist da eine Nacktheit als Wahrheit inszeniert, wie sie offener nicht sein kann. Zugleich erlaubt die kostümierte Nacktheit, martialische Aufzüge in Bacchanale umzubrechen, es geht ja, in der Hochzeitsnacht, um Fruchtbarkeit, und Wagners weihevolles Ideologisieren wird quasi in Frühlingsopfer überführt und geerdet. So etwas ist großartig, hier sogar großartig dargestellt. Deshalb nimmt man auch die kleineren Geschmacklosigkeiten Herheims gern mit, etwa daß er den Heerrufer des Königs zu Anfang als Berliner Wowereit-Bären inszeniert und im Zweiten Aufzug als deutlich effiminierten Schwulen: immer wieder wird, mit allen möglichen Mitteln, die Homogenität, ja die Hermetik, die Wagner ideologisch erstrebte, durchbrochen, immer wieder aber auch hergestellt. Die Operninszenierung als Kippfigur. Daß kaum eine andere Opernästhetik als Wagners das nicht nur so herausfordert, sondern eigentlich in sich trägt – Widersprüchlichkeit -, sichert dieser Musik ihr Überleben: nicht nur hat Hollywood ihr Rhetorisches beerbt, auch mancher Pop lebt letztlich nur davon (doch ob er es weiß?); vielmehr: wie tief eingeschrieben ihrer Rezeption die Spannung zwischen dem Ekel vor Kitsch & hohlem Pathos und der Leidenschaft für einen wahren Ausdruck der Gefühle ist, zwischen Hingabe und kritischem – das ist immer: distanzierendem – Bewußtsein, zwischen dem in uns nach wie vor erhaltenen kindlichen Einheitssehnen und dem erwachsenen Wissen, was daraus gemacht werden kann und auch bis zum totalen Zusammenbruch wird. Zudem erzählt Wagner ständig Geschichten der gewaltsamen Usurpation. Aber die Sehnsucht erlischt nicht, sie bleibt noch in der verlogensten Volte ganz rein. Das ist das Faszinosum, eigentlich: das Märchenhafte, kindlich Wahre an Wagner. Geht man „erwachsen“ daran, liegt man immer daneben; geht man nicht-erwachsen daran, auch.
Allerdings ist nicht nachvollziehbar, weshalb Barenboim auf den zweiten Teil der Gralserzählung verzichtet, ihn also streicht, wenn er doch vor zehn Jahren nachdrücklich schrieb, eigentlich sei der Lohengrin ohne ihn gar nicht zu verstehen; man kann das >>>> im Booklet der Teldec-Aufnahme nachlesen, die 1998 auf der Basis der vorherigen Lohengrin-Lindenoper-Inszenierung eingespielt worden ist. Verglichen damit ist Barenboims Dirigat diesmal insgesamt gröber. Nach der Premiere war zu hören, die Staatskapelle habe unsauber gespielt; das allerdings ist für die dritte Aufführung, die ich gestern gehört habe, n i c h t richtig. Doch Barenboim läßt es krachen, und zwar wo es nur geht – zu oft, das Orchester überwölbt bisweilen die Sänger, vor allem den vergleichsweise hellen Telramund Gerd Grochowskis, man macht halt Show für das Estabishment und was sich dafür hält: >>>> roter Teppich und so: dazu gehört auch, Aufzug III, die losgepompte Blechbläser-Einlage vorm Auftritt Heinrichs, der durch den staatsoperngedienten Kwangschul Youn ein ganz enormes Profil bekommt: ein bewährter Stimmenkämpe, in der Tat. Außerdem kommt die Einlage Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks nahe, indem die Trennung zwischen Bühne und Orchestergraben fällt: die Bläser treten aus dem Orchestergraben herauf in ihrer festlichen Dienstkleidung auf. Die Filmmusik wird selber Thema des Films; was nach bloßer Illustration aussieht, ist schier ihr Gegenteil. Wiederum fällt der längst unerträgliche, allzu leicht aus dem Musikdrama herauslösbare Popkitsch des Hochzeitsmarschs angenehm zurückhaltend aus, was auch daran liegt, daß Herheim die ins Münster prozessierenden Damen als Marionetten auftreten läßt, die die Kreuze, an die ihre Fäden geknüpft sind, dankbar als das Kreuz empfangen.
Hinreißend, sowieso die Rolle, Michaela Schusters Ortrud, deren Gestaltungskraft oft an die düster verzweifelte, wütend schillernde Interpretation Christa Ludwigs unter Kempe heranreicht; es ist eine ausgesprochene Stärke der Inszenierung, daß Herheim letztlich auf Ortruds Seite steht, auch wenn er expressis verbis k e i n e der vorgeführten Seiten vertreten will: KINDER, SCHAFFT NEUES! fordert, bevor der letzte Vorhang fällt, die Tafel über der Technik, die den „Germanen“ als Himmel auf die Köpfe fällt. Da ist der Unwille des Publikums spontan geweckt; schon daß der Erlöserführer Gottfried einfach so herunterknallt, kann ihm nicht gefallen: schließlich hat man bis zu 260 Euro für seine Eintrittskarten bezahlt; da darf man Erlösung schon erwarten. Barenboim dirigierte deren Vorschein gestern, und das Opernhaus, schließlich, brüllte vor Begeisterung. Wie ein siegreicher Feldherr steht der kleine Mann dann mit der gesamten Staatskapelle auf der Bühne, ein Bonaparte der Musik. Selbst, wenn über euch die Pest kommen sollte, ich stelle mich zu und vor euch und fecht es mit ihr aus. So gemeinsam erobern wir Berlin und erobern die Welt. Diese Bemerkung ist politisch nicht korrekt, ich weiß; aber es geht ja nur um Musik.

3 thoughts on “Nur mit schlechtem Gewissen. Stefan Herheims Lohengrin-Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

  1. alles holz. ohne wurm. was für ein fades endspiel das geben kann. dass man hier hat sehen können, wie dieser wagnerische wunsch nach „neuem“ auszusehen hat, wurde ja schon eingehend im feuilleton aufgezeigt und hochgelobt. dass aber herheims inszenierung, wie jede andere dieses unspiel- bzw. unerzählbaren werkes an den alten opernzoten krankt, scheinen dabei alle zu übersehen. personen- und chor-regie heißt es darüber hinaus, seien bewunderswert. davon passiert, außer der schilder-träger-choreographie, nichts auf der bühne. das „ufo“ im übrigen, ist das spielkreuz, an dem der chor hängt, der nicht „geschlängelte“ sondern gemaserte trikots trägt, die sind ja schließlich alle aus holz. und wer da herunter fällt ist auch nicht elsas bruder sondern lohengrin selber, den der bühnengott lustlos in die ecke pfeffert. bravo. naja. alles in allem sollte man doch bitte nicht eine todesstern-artige video-projektion als so herausragendes bühnenmoment loben. die videos hätte man sich im übrigen sparen können, so unnötig sie für die erzählung waren. man hätte das alles mit bühnentechnischem handwerk lösen können, aber dazu hat dann wohl die phantasie nicht gereicht. oder das geld. nach dem denkbar frisch beginnenden, eine erzählung fast vermeidenden ersten akt kommt dann schnell die ernüchterung, dass man hier komplett in der puppenkiste verloren ist. so hat der zweite dann überhaupt keine brüche mehr und der dritte wiederholt den ersten, mit noch mehr technischen pannen und endlos langweiligen szenen. bei der ganzen sache ist der bei ihnen als geschmacklosigkeit betitelte berliner bär noch das unterhaltsamste. alles andere läßt sich an wie eine 8stündige werner-herzog-doku über syberberg mit audiokommentar von alexander kluge. dass es dabei aber auch um die macht der musik, in positiver wie in negativer hinsicht, gehen kann und muss, wird allzu oft – bereits im vorspiel nämlich – aus den augen verloren. das war weder traum noch alptraum sondern einfach nur holz. umso besser, dass man so viele freunde in den kulturredaktionen hat. die berichterstattung war fast erschreckender als die inszenierung selbst. armes deutschland, wenn es sich nun nicht einmal mehr ein objektives feuilleton leisten kann.

    1. @cenci zu Herheims Lohengrin. Kurz vorweg: Ich begrüße es sehr, daß auf Kritiken reagiert wird, auch dann, wenn man mir widerspricht; gern hätte ich hier in Der Dschungel davon mehr. Also danke erstmal.

      Zu Ihren Einwänden:
      1) Langeweile ist so eine Sache; meine (von mir sehr geliebte) Großmutter langweilte sich bei Büchern, die wiederum mir vor Erregung nasse Handflächen machten; „meine“ Musik mochte sie schon g a r nicht hören. Wen was langweilt, hängt schlicht von der Erwartung, selbstverständlich auch ein wenig vom Vorwissen ab und von der Schule, meinethalben des Lebens, in die man ging, nämlich: w e l c h e n.
      2)“alles andere läßt sich an wie eine 8stündige werner-herzog-doku über syberberg mit audiokommentar von alexander kluge“ – da geht es mir nun bei allen d r e i Namen so, daß ich Bezüge auf sie, also auf von ihnen vertretene Inhalte, asgesprochen erfreut registriere.
      3) Eine technische Panne habe ich nicht erlebt; vielleicht waren wir an verschiedenen Aufführungstagen dort?
      4) Das der zweite Aufzug der stärkste aller drei war, empfand ich auch. Nur kam im dritten bei mir nicht 1) auf. Gar nicht sogar, obwohl ich mich etwas fürchtete. Daß nicht Gottfried herunterfällt, sondern Lohengrin wäre eine Beugung des Librettos, von dem ich nicht verstünde, weshalb man sie, sofern Sie recht haben, vollzogen hätte. Zumal es ja um den „Führer“ geht, den Lohengrin, statt es selber noch zu sein, dem Volk „zurück“gibt – heikel, heikel, sowieso – da gefiel es mir g u t, ihn auf die Bretter zu schmettern.
      5) Zur „Maserung“ mag ich nichts sagen; so etwas nimmt man verschieden wahr; ich sah mir, bevor ich schrieb, als Erinnerungsstütze noch einmal die Probenfotos an.
      6) Wegen des Vorspiels sind wir einverstanden; ich hab das ja auch zum Ausdruck gebracht, nachdem ich noch einmal Barenboims ältere CD-Einspielung zum Vergleichen angehört hatte.
      7) Meinen Sie im Ernst, es habe j e m a l s ein „objektives“ Feuilleton gegeben oder w e r d e es geben? Ganz sicher nicht. Es sind aber nicht i m m e r Machtinteressen im Spiel.

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