30. 4. 2009.

Es ist tatsächlich nur das Sehen. Ich kann telefonieren mit ihr, SMSen, mailen, alles kein Problem, über sie sprechen, über sie nachdenken (und über mich), ich habe dann alle Distanz und alle Klugheit, die es braucht, um mit der Situation umzugehen, und zwar: g u t umzugehen. Ich darf nur eines nicht: sie sehen. Es ist diese meine Hingabe, völlige Hingabe an Schönheit, diese wirklich restlose Bewunderung für Schönheit, die ich in mir habe; es ist gänzlich amoralisch, es ist völlig wurscht, ob jemand gut ist, ob böse, ob sozial, ob asozial, ob begabt, ob klug, ob dumm, ob gebildet oder nicht…. alles alles schnuppe: ist diese Schönheit da, werde ich hilflos und, man muß es so sagen: bete an. Bin opferbereit. Es gibt nur eines, was ich n i c h t gäbe für Schönheit: meinen Sohn; er ist der und das einzige, was mich ihr gegenüber auch g e g e n sie in der Verantwortung hält. Verantwortungslosigkeit gegen Kinder: das ist mein unangreifbares, unanfechtbares Tabu. Übrigens bezieht sich das auch auf die Kinder anderer Menschen, es ist ganz seltsam. Mir fiel das ein erstes Mal auf, als vor etwa vier Jahren eine Freundin, die leider im Ausland lebt, von jemandem schwanger wurde und das Kind abtreiben lassen wollte. Ich war völlig bereit, die Vaterschaft zu übernehmen, wenn nur dieses Kind am Leben bliebe. Wäre mein Junge nicht gewesen und hätte ich also nicht in Berlin bleiben müssen und wollen, ich wäre sofort dort hingereist und hätte den Kampf auch persönlich durchgefochten. So, aus der Ferne, verlor ich ihn. Es lebt nicht mehr, das Kind, oder, wenn man diese Perspektive hat: es k a m nicht in das Leben.
Hätte ich früher diese Einstellung gehabt, mit zwanzig schon und mit dreißig, mit vierzig, fünfundvierzig, ich wäre heute Vater von v i e r Kindern. Ich mußte ein Kind werden sehen, um zu begreifen.