Sonntagsjournal. 12. Juli 2009.

20.45 Uhr:
[Arbeitswohnung. Wein. Wasser. Cigarillos.]
Du schläfst – oder versuchst einzuschlafen – auf Deinem Vulkanlager. Wir aßen, Du Hähnchennuggetts mit drei Kartoffeln und, nannte meine Großmutter das, „Leipziger Allerlei“, ich noch einmal von den Tintenfischen in eigener Tinte, diesmal mit Penne; hernach Straciatella-Eis mit einem frischen aufgeschnittenen, vor Süße tropfenden Pfirsich. Vorher eine dreiviertel Stunde Mathematik, zum Cello kamst Du heute nicht, da wieder einmal Läusealarm gegeben war, aber auch diesmal bist Du, wie immer auch ich, um die Tierlein herumgekommen. Es scheint etwas in unserer Körperflüssigkeit zu sein, daß sie nicht mögen; selbst wenn Du – was bisweilen ja vorkam in den letzten Jahren – mit einem von den Läusen erwischten Freund in einem Bett schliefst, ließen die Dinger Dich in Ruhe. Ich war deshalb schon nicht mal nervös, als der Telefonanruf kam. Immerhin, ein Vorwand, Dich dazu zu bringen, Dir das Haar schneiden zu lassen, ohne daß Du protestierst. Verzeih Deinem Vater den fieslichen Trick.
Vater.
Es tut mir derzeit gut, kaum ins Netz zu gehen; ich lese lieber, habe soeben den zweiten Band der Snopes-Trilogie abgeschlossen, der dritte liegt schon zur Hand. Ich geh lieber ans Cello oder schaue auch lieber einfach so vor mich hin. Es war viel Druck in den vergangenen fünf Jahren, seit ich Die Dschungel gegründet habe, viel Druck auf mich selbst, um Genauigkeit und Stetigkeit: auch, um immer zu reagieren, möglichst schnell, wenn jemand was kommentierte… um die Regelmäßigkeit aufrechtzuerhalten und und und. Momentan finde ich das müßig, nicht, daß ich’s tat, nein, das war richtig, auch poetologisch, aber wenn ich nun etwas aus der Distanz schaue, so, um eine Art kleiner Ära zu übersehen und, neben ästhetischen, auch persönliche Folgerungen aus alledem zu ziehen. Dazu scheint auch Talleyrands Satz zu gehören, den schon der >>>> WOLPERTINGER oft wiederholte: „Surtout pas (trop) de zêle“ (oder „zèle“? – meine Dictionaires geben verschiedene Auskunft)… – Es hängt zusammen mit meiner quasi-Familie und diesem zunehmend auch Gefühl werdenden Wissen, daß Lebensläufe tragisch sind, n i c h t frei bestimmt, und daß es eine Frage ist, wie man sich dazu stellt, damit umgeht, daß man sagen kann „Ja, ich nehme das an“ und daß in dem selben Moment der ganze Protest, ja fast die ganze, jedenfalls die laute Trauer von einem abfällt, einfach nur, weil man vier Zwillingskindleinsaugen sieht, denen man als Papa verantwortlich ist, wenn man auch nicht der leibliche Vater ist –
Vater. Ja. Dennoch.
Aber auch die Frau. Man mag verlassen worden sein, nun gut, man war ja a u c h nie ohne Haken und Verwundungstalent, und wenn man dann die schwache Stimme am Telefon hört und die momentane Hilflosigkeit spürt und sich ja doch seine Sorgen macht – ja, welcher Mann bliebe dann weg und setzte sich n i c h t auf sein Rad und besorgte, was zu besorgen ist, und bewachte die Kranken? Und geht morgens, wenn das Schlimmste vorüber, halt wieder und setzt sich an sein Cello und m u ß denken (fühlen), daß es so gut ist. Interessanterweise hat das nichts mit Verlust, gar damit zu tun, einen Verlust zu akzeptieren, aber ich beginne, Unumgänglichkeiten zu akzeptieren, beginne zu verstehen, was das denn i s t, das ich „tragische Verfaßtheit des Menschen“ nenne, daß es gar nicht furchtbar ist, gar nicht vermieden werden muß, sondern schlichtweg in ein Männerleben hineingehört, und in ein Frauenleben ganz sicher auch; vielleicht aber nicht in das Leben von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen, einfach, weil sie es noch nicht zu tragen verstünden und auch gar nicht zu tragen verstehen dürften, weil ihnen, wenn es zu früh geschieht, die Lebensfreude genommen würde, die mir, sowas nach fünfzig Jahren, nicht mehr genommen werden k a n n – es sei denn, eine Katastrophe bräche herein; und unter Katastrophe verstehe ich Katastrophe, Krieg, schwere Krankheit, sowas, nicht die kleinlichen Schmerzen der eigenen Psyche und Psychologie, so tief alle drei nun immer auch seien.
Vater.
Über sowas, Vater, denke ich nach. Es würde mich nur ablenken, dauernd ins Netz zu gehen. Faulkner tut zu dem Nachdenken einiges hinzu; es ist, als ob seine – für mich bisher: beiden – Romane seitlich hinter mir die Pfade befestigten, die ich gerade festzustapfen begonnen hab. Es bestätigt sich einmal mehr, was mir früher schon auffiel: daß es Bücher gibt, die ihre Zeit haben; nimmt man sie zu früh zur Hand, schaden sie nicht, aber richten auch nichts; andere werden mit zunehmendem Alter belanglos wie durchgenudelte Musik, deren Fan man dennoch gewesen ist einst, da hat man die Nudelei nicht bemerkt.

Ich will noch zwei Faulkner-Zitate abtippen, die in Die Dschungel sollen. Dann lese ich weiter. Immerhin habe ich heute die vier Magnus-Lindberg-CDs auf den Laptop überspielt, einige der Musiken auch bereits angehört, mit teils Vergnügen, teils starkem Interesse… nein: mit Interessiertheit, und es hat etwas Zeit gebraucht, die Booklets vermittels OCR in eine Textdatei zu scannen. Auch hier unvermittelt das Gefühl einer Bestärkung: Lindberg nennt Bernd Alois Zimmermann; das ist, wie wenn jemand „Bruno Maderna“ sagt: da bin ich auch sofort immer hellwach. Es kann sein, daß die Bamberger Elegien, das Bleibende Tier, den Faulkner abwarten wollten, so daß ich ihn abwarten m u ß t e.

Vater.

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