Arbeitsjournal. Sonntag, der 26. Juli 2009. Iran und Döllnsee.

8.35 Uhr:
[Döllnsee.]
Aufwachen, und der See glimmt durchs Gatter.Wir sind an den Döllnsee gefahren, der Profi, K. und ich; nachdem ich auf der Iran-Demonstration gewesen war, zu der PEN und Amnesty International aufgerufen hatten; schmählich wenig Kollegen sah ich, aber es regnete ja auch (: ich sah nicht einen). Doch Peter Schneider wurde angekündigt, daß er auch ein paar Worte sagen werde zu den niedergeschlagenen Demonstrationen, geprügelten und getöteten Menschen; das wollte ich mir dann d o c h lieber ersparen und nicht riskieren, daß er etwa n i c h t wasserscheu ist, wenn’s um Demonstrationen geht; es ist ja ein solcher homo politicus, daß er als ganzpersonale Agitationsgruppe wirkt, die sich überall anhängt mir ihren scheinautonomen Plakaten.
Bis er sprach – also bevor ich wegradelte, damit ich ihn nicht hören mußte -, war es allerdings ergreifend. Ein mit den Touristen beidseits Unter den Linden vergleichsweise kleines Häufchen Mensch, dessen iranischer Anteil freilich nicht so klein war, schaarte sich in strömendem Regen um ein Tribünchen, neben das die Fotografie eines Getöteten aufgestellt war, an dem wir fast alle eine Rose niederlegten; die Blumen hatte Amnesty mitgebracht, eine ganze Kofferramladung voll. Es war ergreifend, weil man selbst hätte darauf kommen können als Deutscher, Blumen mitzubringen. Es war auch beschämend, weil man so hilflos ist und auch letztlich das politische Hinter- und Untergrundspiel nicht durchschaut: nur, daß da Ehefrauen sind, die Fotografien von blutig geschlagenen Männern bei sich tragen, das Töchterchen an der Hand. Fotografinnen liefen herum und fotografierten die Fotografien, sowie die eine und andere Aktion: eine wunderschöne persische Frau, die ihren Hals durch die Schlinge steckt, die lose an einem tragbaren Henkeck befestigt ist. Schamlos nahm die Fotografin das nahe, distanzlosest nahe, ins Bild. Gut, für so etwas war die Aktion auch sicher gedacht, sie erfüllte ihren Zweck, der Zweck selber a l s Zweck war schamlos. „Sehen Sie sich die Vorgänge im Fernsehen an?“ fragte mich eine naivblöde Jungreporterin des Tagesspiegels und schrieb meine zögernden Antworten auf in ihrer Kleinemädchen-Handschrift. „Diese Gewalt?“ „Ich brauche keine Bilder zu sehen, um zu wissen, was Gewalt ist“, antwortete ich. Sie verstand nicht, blieb aber in der Übergriffigkeit ihrer bohrenden Reporterpenetranz. „Wo wohnen Sie? Sind Sie zu Besuch in Berlin?“ Gar: „Wie heißen Sie?“ Als wäre es um mich gegangen, als wäre es überhaupt um etwas gegangen, mit dem sich Markterhebung treiben läßt.

Vorher hatte ich begonnen, im Zimmer meines Jungen die Elektrik zu reparieren, die Deckenlampe angebracht, neue Schalter und Steckdosen installiert, weil einige der alten nicht mehr funktionierten. Hinter den Abdeckungen bleckten lose die Kabel. Danach dann fuhrn wir an den See, ich hatte Tintenfische mitgebracht: Oktopus, Calamaro und Sepia; also gab es abends drei Tintenfischgerichte; nach der Sauna, nach dem Schwimmen, nach einigem Wein war das Essen um kurz nach 23 Uhr fertig, wir aßen bis eins, wir sprachen bis kurz vor zwei; jetzt schläft außer mir hier noch jeder. Bin mit dem ersten latte macchiato an den See hinunter, hab mich auf den Steg gesetzt und an die Brüste der Béart gedacht; zweidrei Zeilen fielen mir ein, die habe ich eben notiert. So möchte ich den Tag gern weiterlaufen lassen.

NACHTRAG: Mir ist nicht ganz klar, wieso >>>> das Püppchen ausgerechnet bei d e m Gedicht auf „Dominanz“ kommt. Da scheint richtig Angst zu sein, so untendrunter, physiowabernd bis in den Schritt.

21.28 Uhr:
[Arbeitswohnung. Scelsi, Variazioni e Fuga für Klavier (1940).]
Welch ein schöner Tag das war. Sehr viel Sauna, sehr viel geschwommen, sehr viele Kopfsprünge vom Dreier gemacht, der, sehr einfach, am Steg angebaut ist, sehr viel nur auf den See geschaut, etwas gelesen, etwas über die Brüste der Béart nachgedacht, sogar was notiert dazu heute morgen. Und noch einmal, fast zum Abschluß, Tintenfisch gekocht, es waren von gestern abend noch fünf Calamari-Tuben übriggeblieben, aus der Hälfte davon bereitete ich einen Salat, diesmal mit Kapern und Pesto-Note, aus den anderen ergänzte ich den Rest des Hauptgerichtes; wir mischten für die Pasta offenstehende, viertelgeleerte Packungen. Dann, kurz vor der Abfahrt: „Was meint ihr? Noch einmal schnell einen Saunagang?“ „Und schnell noch einmal in den See springen.“ „Aber einen Saunagang.“ „Ja, und dann noch einmal in den See springen.“
Immer, wenn der Profi fährt, fährt er schnell; wir brauchten keine Stunde, bis er und K. mich vor der Arbeitswohnung absetzten; der Profi ist nun zu U. weiter, ich habe ausgepackt, mein nasses Handtuch und die Zahnbürste blieben gleich fürs nächste Mal am See. Und erstaunt über diese Jugendmusik höre ich Scelsi. Dumm war nur, daß ich gestern den Cellobogen hier vergessen habe; so übte ich, was auch ziemlich nötig ist, etwa anderthalb Stunden lang Pizzicati, mit Metronom, und brach ab, weil ich keine Blase am Zeigefinger bekommen möchte. Nun steht das Cello wieder auf seinem Ständer und schimmert.
Faulkner. Außerdem >>>> Aimé Césaire. Und Pound. So will ich den Abend ausklingen lassen, durch Bücher flanierend.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 26. Juli 2009. Iran und Döllnsee.

  1. „Da scheint richtig Angst zu sein, so untendrunter, physiowabernd bis in den Schritt.“

    Und dieser Eindruck liefert Ihnen Berechtigung –
    fast empfinde ich es als Handlungszwang,
    ordentlich grob nachzutreten?

    1. @Sun-ray. Meine Bemerkung ist nicht fair, das ist mir (jetzt) auch klar. Aber sie ist berechtigt, weil >>>> der Ton der Schmusepuppe diskriminierend ist. Zumal ist außer >>>> Ich lobe das Messer gar nichts an dem Text, das männliche Dominanz (über Frauen, nicht einmal eines Mannes über Frauen oder eine Frau) favorisierte; das Hymnische tut sogar fast das Gegenteil. Insofern ist die Bemerkung der Schmusepuppe auch eine Art Suggestiv-Verurteilung. Ich reagiere auf so etwas ungehalten.

      [Selbst Ich lobe das Messer ist höchst ambivalent und steht bewußt in einem Verhältnis zum Mann-als-Knabe.]

    2. Danke für die Erläuterung.
      Ist auch gar nicht so,
      als könnte ich Ihre Reaktion nicht nachvollziehen.
      Tatsächlich kann ich sie ebenso verstehen,
      wie die der Schmusepuppe.
      Weil ich beide Reaktionsweisen als zwei Seiten
      ein und derselben Medaille sehe.

      Sie sprechen noch mit mir. Das ist schön.
      lach

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